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PROPAGANDA/1316: Wer für die Opfer Israels eintritt, wird ausgegrenzt (SB)



Wann immer Menschen durch eine übermächtige Militärmaschinerie niedergemacht werden, ist ihnen die Fürsprache und Sympathie fortschrittlicher und engagierter Mitmenschen hierzulande sicher. Das sollte man zumindest annehmen, wenn man die demokratischen und humanistischen Grundwerte der bundesrepublikanischen Gesellschaft ernst nimmt. Im Fall der Palästinenser jedoch steht die Welt kopf, ihnen kann mit äußerster Brutalität zugesetzt werden, und dennoch müssen sich Personen, die nicht einmal für sie Partei ergreifen, sondern lediglich darum bemüht sind, die Faktenlage korrekt darzustellen, gefallen lassen, dafür massiv angefeindet zu werden.

Selbst ein alter Haudegen wie Peter Scholl-Latour, dem man wirklich nicht nachsagen kann, für die palästinensische Befreiungsbewegung Partei zu ergreifen oder gar ein gestörtes Verhältnis zu machiavellistischen Politikern wie Benjamin Netanjahu zu haben, mußte in der Talkshow "3 nach 9" erleben, was es bedeutet, ein wenig Licht in das Dunkel israelischer Kriegspropaganda zu bringen. Daß seine Sorge im wesentlichen darin bestand, nicht in die falsche Ecke - die der Hamas - gerückt zu werden, und er ob der gegen ihn gerichteten Attacken einer ganzen Runde gutbürgerlicher Apologeten des israelischen Angriffskriegs gegen die Bevölkerung Gazas zu dem Schluß gelangte, man hätte ihn mit seiner Einladung in die Sendung "in eine Falle gelockt", dokumentiert die Unvoreingenommenheit seiner erhellenden Anmerkungen.

Um so unnachgiebiger wird mit Menschen verfahren, die es wagen, nicht nur die erwünschte Maximalposition - Israel hat einen legitimen Verteidigungskrieg gegen die mörderischen Raketen einer terroristischen Organisation geführt - zu verlassen, sondern auch den Minimalkonsens der Äquidistanz - die Bevölkerung Gazas ist zwischen die Fronten eines Krieges zwischen Israel und der Hamas geraten - zu unterschreiten. Wer unter Aufklärung der Vorgeschichte dieses Krieges vom konstitutiven Gewaltverhältnis zwischen Besatzern und Besetzten über die Boykottierung der demokratischen Wahl der Palästinenser und die unter Einflußnahme Dritter erfolgte Spaltung der Palästinenser in zwei miteinander verfeindete Lager bis zur völkerrechtswidrigen Abschottung und Aushungerung des Gazastreifens und den Bruch des Waffenstillstands durch Israel Partei für die Seite der Angegriffenen nimmt, den schützt nicht einmal mehr die Zugehörigkeit zum jüdischen Volk vor diffamierenden Nachstellungen.

Unter den jüdischen Stimmen, die sich in der Bundesrepublik durch die nüchterne Analyse des Konflikts und die daraus resultierende Parteinahme für die Seite der Opfer uneingedenk aller politischen Opportunitäten und ideologischen Vorbehalte auszeichnen, hat sich Evelyn Hecht-Galinski als mutige Fürsprecherin für das Recht der Palästinenser auf Freiheit und Selbstbestimmung hervorgetan. Als Tochter des langjährigen ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland Heinz Galinski verkörpert sie gerade deshalb, weil sie sich nicht auf die Rolle eines prominenten Mitglieds der jüdischen Gemeinde beschränkt, sondern den Konflikt mit ihren die politischen Leitlinien der israelischen Regierung mitvollziehenden Honoratioren nicht scheut, die Kontinuität des aus der Shoah resultierenden moralischen Imperativs, nicht zu schweigen, wenn Menschen welcher Religion und Nationalität auch immer mit staatlichen Gewaltmitteln in eine Situation äußerster Ohnmacht gezwungen werden.

Daß sie dies nicht erst seit Beginn dieses Krieges tut, hat vermutlich etwas mit dem besonderen legitimatorischen Konstrukt zu tun, die Unterdrückung der Palästinenser ausgerechnet mit der Vernichtung der europäischen Juden durch den NS-Staat zu rechtfertigen. Selbst wenn dies nicht explizit getan wird, speist sich die vorbehaltlose Unterstützung der Regierung Israels durch die Bundesregierung wie den Zentralrat der Juden in Deutschland wesentlich aus dem Gedanken, daß die Opfer eines historischen Genozids alles Recht haben, jeder Möglichkeit einer Wiederholung dieser Katastrophe mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln entgegenzutreten. Dies jedoch auf die Palästinenser anzuwenden, die als sekundäre Opfer der Shoah ihr Land verloren haben und denen der Staat Israel seit Jahrzehnten grundlegende Menschenrechte vorenthält, ruft gerade auch bei Juden in aller Welt entschiedenen Widerspruch hervor. Wer die Forderung "Niemals wieder" ernst nimmt und nicht als machtpolitischen Vorwand mißbraucht, der kann sie nur unter der Voraussetzung erheben, jede Form rassistischer, nationalistischer und kolonialistischer Suprematie auszuschließen.

Unter dieser Vorgabe bleibt verantwortungsbewußten Menschen gar nichts anderes übrig, als in diesem Konflikt Partei zu ergreifen und für die Zukunft aller Menschen im Nahen Osten wie auch einer von ideologischen Dogmen unverbauten demokratischen Kultur hierzulande zu streiten. Daß Hecht-Galinski und andere beherzte Bürger, die die groteske Aufhebung aller menschlichen Vernunft und Empathie in Politik und Medien bei der Bewertung des Geschehens in Gaza nicht akzeptieren können, mit der ganzen Intoleranz und Demagogie der Sachwalter des herrschenden Meinungsdiktats zu rechnen haben, sollte nicht weiter erstaunen. Zu vermuten, daß die traumatisierende und vernichtende Gewalt, der 1,5 Millionen Palästinenser drei Wochen lang in einem kleinen Gebiet, in dem akuter Mangel an allem Lebensnotwendigen herrscht und aus dem es kein Entkommen gibt, schutzlos ausgeliefert waren, auf eben dieses Territorium und seine Bevölkerung beschränkt bliebe, hieße, ihren zweckbedingten und machtpolitischen Charakter zu verkennen.

Daher dürfte Hecht-Galinski von den vielen verletzenden Anwürfen, mit der ihre Person in einschlägigen Internet-Foren belegt wird, ebensowenig überrascht sein wie von der Reaktion eines DGB-Sekretärs für die Region Südhessen, der sich gegen ihre Einladung zu einer Veranstaltung zum Thema Israel und Palästina aussprach. In einer dem Schattenblick vorliegenden E-Mail vom 19. Januar behauptet der namentlich ungenannt bleibende DGB-Funktionär, Hecht-Galinski werde "durch alle Talkshows gereicht als Kronzeugin für anti-israelische Propaganda". Er verwahrt sich gegen ihren Auftritt mit der Begründung:

"Die islamistische Hamas, unter deren Herrschaft es keine demokratischen Rechte, kein Gewerkschafts- und Frauenrechte und keine Glaubensfreiheit gibt, und die faschistische NPD, freuen sich über derartige 'Kronzeugen'."

Hecht-Galinski ist nicht bekannt dafür, als Propagandistin der Hamas oder der NPD aufzutreten. Indem sie dafür eintritt, die Hamas als Verhandlungspartnerin zu akzeptieren, gibt sie sich als Mitglied der wachsenden Zahl politisch besonnener Menschen zu erkennen, denen die Boykottierung der palästinensischen Regierungspartei ein Akt antidemokratischer Willkür zugunsten einer völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik ist. Die politischen Mängel der Hamas ändern nichts daran, daß sie als Vertreterin des Interesses aller Palästinenser an einem eigenen Staat in den Grenzen von 1967 auftritt. Zudem kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, daß ein von außen unbeeinträchtigter, nicht unter die gewaltsam erzwungene Forderung einseitig zu erfüllender Zugeständnisse an Israel gestellter Verlauf ihrer Regierungszeit in einen islamischen Gottesstaat gemündet hätte. Parteien mit einer religiös-fundamentalischen Agenda gibt es in den meisten westlichen Staaten ebenso wie in Israel, ohne daß deren Gesellschaften daran scheitern müßten.

Dem DGB-Funktionär geht es nicht einmal darum, politische Einwände gegen eine Begünstigung der Hamas zu formulieren, um vom Totschlagargument, die NPD könne - was sie im übrigen gerne bei der Stärkung autoritärer Staatlichkeit durch SPD und CDU tut - ihr eigenes Süppchen kochen, gar nicht erst zu sprechen. "Ich habe kein Interesse an 'Beifall von falscher Seite'", heißt es lakonisch zur ablehnenden Haltung des DGB gegenüber einer Teilnahme Hecht-Galinskis an der geplanten Veranstaltung. Im Angesicht der Katastrophe des Kriegs in Gaza hat der Mann Imageprobleme, fürchtet er sich vor einem Eklat, der das ganze Problem offenkundig machte, daß aus der Unterdrückung wirksamer Kritik am Verhaltens Israels in Politik und Medien entspringt. Würde die Aufklärung über das verbrecherische Vorgehen der israelischen Führung gegen die Palästinenser nicht vermieden, dann könnte es gar nicht dazu kommen, daß sich mißliebige Trittbrettfahrer des Themas bemächtigten.

Der kleine Ausschnitt aus dem Panoptikum bundesdeutscher Meinungskontrolle läßt nicht eben darauf schließen, daß diese Gesellschaft vital genug ist, sich politischer Kampagnen und Manipulationen zu erwehren, die im Endeffekt durchaus dazu führen könnten, daß deutsche Soldaten an fernen Kriegschauplätzen alte Schuld aktualisieren. Um so unterstützenswerter sind all diejenigen, die sich von der Aussicht, im Widerspruch zur herrschenden Doktrin zu stehen und mit dementsprechend aggressiven Mitteln diffamiert zu werden, nicht schrecken lassen, sondern ihrem menschlichen Urteilsvermögen und ihrem Gewissen treu bleiben.

22. Januar 2009