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PROPAGANDA/1324: Antisemitismuskampagne gegen Linken-Politiker Dierkes (SB)



Der Rücktritt des Linken-Politikers Hermann Dierkes von seinen Ämtern als Fraktionschef seiner Partei im Rat und als Kandidat für das Amt des Oberbürgermeisters der Stadt Duisburg erfolgte aufgrund massiver Vorwürfe, mit seinem Eintreten für Boykottmaßnahmen gegen Israel antisemitischem Haß Vorschub geleistet zu haben. Dierkes hatte die unter Linken in den USA und Britannien schon länger geführte Kampagne für das Ergreifen wirksamer Maßnahmen, mit Hilfe derer sich politischer Druck auf die israelische Regierung ausüben läßt, um die Beendigung der Besatzungspolitik in den Palästinensergebieten zu erzwingen, ins Gespräch gebracht. Auf einer Veranstaltung zum Thema Palästina beantwortete er die Frage nach Möglichkeiten, etwas gegen die an den Palästinensern verübte Gewalt zu tun, indem er die auf dem Weltsozialforum 2009 im brasilianischen Belem angesichts der jüngsten Aggression des Staates Israel aufgegriffenen Aktionsformen des Waffenembargos, der Sanktionen und des Boykotts israelischer Exporte zur Diskussion stellte.

Diese Maßnahmen richten sich nicht gegen Israelis oder Juden im allgemeinen, sondern gegen die Betreiber und Unterstützer einer völkerrechtswidrigen Besetzung im besonderen. So lassen sich Boykottmaßnahmen und der Abzug von Investitionen spezifisch gegen israelische und internationale Unternehmen einsetzen, die von der Besatzungspolitik profitieren. Diese besitzt durchaus eine ökonomische Seite, wenn man bedenkt, welchen Bedarf an Rüstungsgütern und Sicherheitstechnik sie erzeugt und in welchem Ausmaß die Produktion für den Export bestimmter Landwirtschaftsprodukte im Westjordanland zu Lasten des knappen Süßwassers der Palästinenser geht, aus deren Quellen die dafür verbrauchte Ressource stammt. Die eklatante Ungerechtigkeit bei der Verteilung des vorhandenen Wassers ist jedoch nur eine Facette dieses alten Konflikts, den zu beenden keine vollmundigen Friedensbekundungen ausreichen.

Da die Regierungen der EU und USA jegliche Einflußnahme wirksamer Art auf Israel strikt vermeiden und die Besatzungspolitik zudem durch politische Maßnahmen wie den Boykott der demokratisch gewählten Hamas, die Begünstigung der israelischen Wirtschaft durch besondere Handelskonditionen oder die Ausstattung der Israelischen Streitkräfte mit modernsten Zerstörungsmitteln unterstützen, ist es Sache ihrer Bürger, diese Lücke zu schließen. Dabei geht es nicht um generalisierte Boykott- und Sanktionsmaßnahmen. Die aktive Unterstützung aller israelischen Bürger, die sich die Forderung nach Beendigung der Besatzungspolitik zu eigen gemacht haben, also auch die spezifische Förderung von Firmen, die dies im Rahmen ihrer Unternehmenspolitik tun, sollte stets mitbedacht werden.

Der gegen Dierkes und andere Befürworter derartiger Maßnahmen gerichtete Vorwurf, damit eine Neuauflage der vom NS-Regime initiierten Kampagne "Kauft nicht bei Juden" zu betreiben, ist insbesondere deshalb infam, weil sich die damals in Deutschland verfolgten Juden äquivalent zu den heute von Israel unterdrückten Palästinensern in einer ohnmächtigen Position gegenüber einer übermächtigen Staatsgewalt befanden. Genau genommen ist die Unterstellung, die Forderung nach dem Ausüben politischen und ökonomischen Drucks auf Israel zum Zwecke der Beendigung der Besatzungspolitik entspreche der Intention der NS-Rassepolitik, ihrerseits rassistischer Art. Die diskriminierende Maßnahme einer Politik, die schließlich zur Vernichtung der davon betroffenen Menschen führte, eins zu eins auf einen politischen Aktivismus zu übertragen, der sich seinerseits für von staatlicher Gewalt betroffene Menschen stark macht, ist nur unter Nutzung jüdischer Identität als Bindeglied möglich. Damit wird dieser nicht nur aufgelastet, identisch mit der Regierungspolitik Israels zu sein, was viele Juden, die die ethischen Ideale ihrer Religion hochhalten, ablehnen, sie wird als ethnisch-religiöses Merkmal identitätspolitisch mißbraucht, um zwei Positionen in eins zu setzen, die im Sinne des jeweils gegebenen Gewaltverhältnisses antagonistisch zueinander stehen.

Dabei ist es zweifellos vonnöten, das Verhängen politischer und ökonomischer Sanktionen auf die Frage hin zu überprüfen, ob es sich nicht um unzulässige gewaltsame Formen der Einmischung in die Angelegenheiten anderer Länder und Bevölkerungen handelt. Das von linken Kritikern Dierkes geltend gemachte Argument, damit werde vor allem die Bevölkerung Israels getroffen, nicht jedoch seine Regierung, ist vor dem Hintergrund anderer Beispiele für internationale Sanktionen durchaus bedenkenswert. Allerdings ist kaum zu erwarten, daß nicht in staatlicher Regie ergriffene Maßnahmen jemals eine derart verheerende Wirkung entfalten wie das gegen den Irak gerichtete UN-Embargo, das Hunderttausenden Kindern einen frühzeitigen Tod bescherte. Von den Personen, die nun einem verdienten Gewerkschafter und Antifaschisten mit dem Antisemitismusstigma belegen, ist nicht bekannt, daß dazu von ihnen ein vergleichbarer Aufschrei zu vernehmen gewesen wäre.

Die Isolierung ganzer Gebiete und Staaten vom internationalen Handels- und Reiseverkehr und die Aushungerung ihrer Bevölkerungen ist ein ein mit anwachsender Häufigkeit eingesetztes Gewaltmittel imperialistischer Politik. Dazu zählen auch die gegen die Bevölkerung des Gazastreifens gerichteten Boykottmaßnahmen Israels, die dort schon vor den jüngsten Angriffen der Israelischen Streitkräfte zu einer humanitären Krise geführt haben. Mit dieser Maßnahme und ihrer Billigung durch EU und USA sind die Unterstützer der Palästinenser allemal legitimiert zu versuchen, auf entsprechende Weise politischen Druck auf Israel auszuüben.

Indem der Duisburger Kommunalpolitiker einer breit angelegten Kampagne linker Aktivisten in aller Welt auch hierzulande Gehör verschaffte, durchbrach er das die Unschuld des vermeintlich Unwissenden in Anspruch nehmende Schweigen, mit dem hierzulande auch die ärgsten Übergriffe des Staates Israel auf die Palästinenser gebilligt werden. In der Bundesrepublik wird die deutsche Schuld an der Judenvernichtung in einen moralischen Freibrief umgewidmet, sich nicht um die Probleme der sekundär vom Holocaust betroffenen Palästinenser kümmern zu müssen. Von einer Ignoranz zur nächsten zu schreiten ist jedoch kein Wesenszug aufgeklärter Menschen, sondern Ausdruck reaktionärer Gesinnung. Diese tritt auch in einem generalisierten, politisch instrumentalisierten Antisemitismusvorwurf, der maßgeblich zur Indifferenz rassistischer Einstellungen beiträgt und diese befördert, in Erscheinung. Wer Aktivisten wie Dierkes, über deren antirassistische Einstellung kein Zweifel besteht, als Antisemiten schmäht, betreibt das, was er damit vorgeblich bekämpft.

28. Februar 2009