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PROPAGANDA/1342: Afghanistankrieg ist okay, nur Massentötung war Fehler (SB)



Bei einem Bombenangriff der US-Luftwaffe am 4. Mai in der afghanischen Provinz Farah wurden nach Angaben der Karsai-Regierung über 140 Einwohner getötet. Es seien Fehler gemacht worden, räumte das US-Militär in seinem am Freitag veröffentlichten Untersuchungsbericht ein. Abgesehen von 78 Taliban-Kämpfern seien in der Ortschaft Gerani auch 26 Zivilisten umgekommen, vielleicht auch mehr. Bei dem Luftangriff seien einige "spezielle Leitlinien" nicht eingehalten worden, hieß es nun, mehr als sechs Wochen nach dem Vorfall.

Sechs Wochen, in denen zahllose weitere Einwohner Afghanistans, durch Kugeln oder Bomben der Besatzungsmächte ihr Leben verloren. Die verzögerte Informationsfreigabe der Amerikaner erfüllt eine wichtige Funktion mit Blick auf die bevorstehende Ausweitung des Kriegs: Wen interessieren noch die vielen Toten aus Farah? Womöglich verblaßt die Erinnerung daran selbst bei den vielen Prostestierern, die damals wegen des Vorfalls auf die Straße gegangen waren. Denn die Angriffe reißen nicht ab. Das Kriegsgebiet wurde längst auf Pakistan ausgedehnt, wo ganze Ortschaften ausradiert werden.

Die genauen Umstände des Vorfalls werden sich wohl nie vollständig klären lassen, wird in dem Bericht behauptet. Übersetzt lautet die Aussage: Wir werden die genauen Umstände gar nicht klären. Wozu auch, das verkompliziert allenfalls die Lage. Die Erde dreht sich weiter, der nächste "Fehler", zu dem eine Untersuchungskommission einberufen werden wird, dürfte nicht lange auf sich warten lassen.

Doch die eigentliche Botschaft des Untersuchungsberichts setzt viel tiefer an, nämlich in den Köpfen derjenigen, an die sie adressiert ist und die den Kriegseinsatz durch ihr Schweigen und ihr Wahlverhalten immer wieder von neuem legitimieren wollen: Das System ist leider nicht perfekt, aber wir arbeiten daran. Wir müssen noch die letzten bedauerlicherweise auftretenden Fehler ausräumen, aber wir befinden uns auf dem richtigen Weg.

Wo ein Fehler begangen wird, geht der Rest schon in Ordnung. Der Krieg an sich muß geführt werden, daran soll kein Zweifel aufkommen. Diese Denkweise soll sich tief in uns eingegraben, so daß wir akzeptieren, daß die USA alle jungen und erwachsenen Männer als Taliban-Kämpfer bezeichnen und sie durch diesen Sprachgebrauch von der übrigen Zivilbevölkerung abtrennen. Als ob sich ein Volk nur aus Kindern, Greisen und Frauen zusammensetzte.

Übrigens: US-Verteidigungsminister Robert Gates zeigte sich von dem Untersuchungsbericht ehrlich betroffen: "Die unbeabsichtigte Tötung von Zivilpersonen in Afghanistan ist zu einem der größten strategischen Probleme des Krieges geworden", erklärte er laut Spiegel Online (20.6.2009). Mit Verlaub, diese Sorge teilen die Angehörigen der Opfer der imperialistischen Kriegführung der USA sicherlich nicht.

20. Juni 2009