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PROPAGANDA/1350: Sauerland-Gruppe kein Aktivposten für den Sicherheitsstaat (SB)



Die große Aussagebereitschaft der Sauerland-Gruppe hat viele Kommentatoren dazu veranlaßt, die vom sogenannten islamistischen Terrorismus ausgehenden Gefahr nun erst recht zu beschwören. Durch die freimütigen Bekenntnisse des Anführers der Gruppe, Fritz Gelowicz, und der drei weiteren Angeklagten soll die von den Behörden attestierte Bedrohung der Bundesrepublik besondere Bestätigung erfahren haben, so der Tenor einer Berichterstattung, die die von dem Fall ausgehende Relativierung der Terrorgefahr nicht eingestehen will.

Zwar erscheint die Bedrohung plausibel, da Gelowicz die Anschlagplanungen unumwunden einräumt und im Unterschied zu früheren Aussagen auch die Existenz der Islamischen Jihad Union (IJU) bestätigt. Was nichtsdestotrotz an der vermeintlich alle anderen Gefahren übertreffenden Bedeutung des Terrorismus rüttelt, ist die Beiläufigkeit, mit der sich vier vermeintlich zu allem entschlossene junge Männer in sprudelnde Informationsquellen verwandelt haben. Einer der Angeklagten begründete seine Mitteilsamkeit gar mit der Langeweile in der Untersuchungshaft, die auf diese Weise schneller beendet sei. Die Einblicke, die sie den Sicherheitsbehörden in die islamistische Szene gewähren, werden dort mit großem Interesse, ja Lob über die Kooperationsbereitschaft der Sauerland-Gruppe quittiert. Die Angeklagten legen bekundetermaßen alles auf den Tisch und sollen untereinander abgesprochen haben, ohne Hemmungen über die Aktivitäten des jeweils anderen zu berichten. Dementsprechend werden auch Personen aus ihrem Umfeld belastet, was das ihnen zugeschriebene konspirative Selbstverständnis nicht eben glaubwürdig macht.

Wie die fast lückenlose Dokumentation ihrer Anschlagsvorbereitungen durch die Sicherheitsbehörden belegt, scheinen die verhinderten Attentäter von Anfang an wenig Anlaß zur Geheimhaltung gehabt zu haben. Obwohl die Sauerland-Gruppe frühzeitig bemerkt hat, daß sie observiert wurde, verzichtete sie nicht auf die Durchführung ihres Plans und legte auch keine Vorsichtsmaßnahmen an den Tag, wie man sie bei hochkarätigen Terroristen vermuten müßte. Nach allem, was bekannt ist, waren die vier Angeklagten von einer Leichtfertigkeit und Sorglosigkeit, die kaum ins Bild wütender Fanatiker paßt. Dementsprechend unglaubwürdig wirkt ihr Bekenntnis, aus tiefer Empörung über die Lage der Palästinenser zu ihren Taten bewegt worden zu sein. Eher scheint hier ein Fall von jugendlicher Flatterhaftigkeit vorzuliegen, die im Aktionismus um jeden Preis ein Ventil für das Unbehagen an den eigenen Lebensperspektiven gefunden hat.

So wirkt das Geschehen am Oberlandesgericht Düsseldorf weniger wie ein ausgemachter Staatsschutzprozeß denn wie eine Lehrstunde über den Nutzen der pädagogischen Strategie, die Traktanden mit einer in Aussicht gestellten Strafminderung vom Vorzug reumütiger Umkehr zu überzeugen. Daß es dazu kaum des Einsatzes des Gerichts bedarf, sondern die vier Angeklagten von sich aus reinen Tisch machen, legt die Plausibilität der These nahe, daß sie Opfer sinistrer Manipulationen waren. Um so weniger hat ihr Treiben mit einer Bedrohung zu tun, die Anlaß zu einer sicherheitspolitischen Aufrüstung ohnegleichen gibt und die in eine Feindseligkeit gegenüber Muslimen mündet, die angesichts des Bilds, das die Angeklagten abgeben, nicht unbegründeter sein könnte.

Was immer sie zu ihren Plänen getrieben hat, hat mit der Religion des Islam nichts zu tun. Je mehr sie sich als Opfer fremder Interessen darstellen lassen, desto austauschbarer werden die Beweggründe ihrer kriminellen Aktivitäten. Darin liegt auch das Problem eines Sicherheitsstaates, der sich des sogenannten islamistischen Terrorismus bedient, um Ermächtigungsoptionen zu erwirtschaften, die ganz anderen Zwecken als denen der Terrorismusbekämpfung dienen. Die Bedrohung verliert mit ihrer ideologischen Entkernung zusehends an Kontur, so daß selbst umfassende neue Erkenntnisse über das internationale Terrornetzwerk Al Qaidas eher zur Schwächung dieses vorgeblichen Sachzwangs beitragen.

11. August 2009