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PROPAGANDA/1355: Bundesinnnenminister Schäuble bestätigt offiziellen Kriegsgrund (SB)



Die kurz vor der Bundestagswahl erfolgte Androhung eines terroristischen Anschlags für den Fall, daß die Bundeswehr nicht aus Afghanistan abzieht, kann als Vorteil für diejenige Partei verbucht werden, die am stärksten mit der Verschärfung der Inneren Sicherheit um Wähler wirbt. Den Unionsparteien kommt das sogenannte Terrorvideo so gelegen, wie es anderen, die für eine Rücknahme der Antiterrorgesetzgebungen eintreten, in die Parade fährt. Bundesinnnenminister Wolfgang Schäuble spricht daher durchaus im eigenen Interesse, wenn er auf die Frage einer Radiomoderatorin, ob diese Bedrohung eine Konsequenz aus dem Afghanistaneinsatz der Bundeswehr wäre, "die wir zu tragen haben, wie andere Staaten sie auch zu tragen haben", antwortet:

"Ja, ich sage da aber immer, man darf Ursache und Wirkung nicht verwechseln. Der Afghanistaneinsatz ist eine Folge des Terrorismus, der sich gegen die westliche Welt insgesamt richtet. Es sind ja auch viele Deutsche am 11. September 2001 in New York umgekommen und bei anderen Anschlägen auch, in Afrika, in Asien. Wir sind alle bedroht von einem Terrorismus, der der modernen Welt den Krieg erklärt hat, und um diesen Terrorismus zu bekämpfen, das ist ja die Grundlage des Afghanistaneinsatzes, wie es die Vereinten Nationen beschlossen haben. Also die Bundeswehr und unser Einsatz in Afghanistan im Kampf gegen den Terror ist nicht die Ursache, sondern es ist eine Folge, daß wir gemeinsam bedroht sind und daß wir auch gemeinsam dieser Bedrohung wehren müssen."
(Deutschlandfunk, 21.09.2009)

So grundsätzlich, wie Schäuble die Frage beantwortet, sollte seine Erklärung auch in Frage gestellt werden. Zwar meinen viele Experten, daß es sich bei der Bekämpfung des Terrorismus in Afghanistan um einen vorgeschobenen Grund handelt, hinter dem konkrete geostrategische Ziele verfolgt werden, dennoch ist die offizielle Begründung für die Kriegführung der NATO keineswegs irrelevant geworden. Sie legitimiert außen- und sicherheitspolitische Entscheidungen von erheblicher Tragweite für Leib und Leben der vom Kriegseinsatz der NATO Betroffenen wie für die gesellschaftliche Verfaßtheit der Bundesrepublik, die sich zusehends in Richtung auf einen autoritären Sicherheitsstaat bewegt.

Schäuble bedient sich der klassischen kulturalistischen Argumentation, daß terroristische Anschläge nicht als Mittel im Rahmen eines asymmetrischen Krieges eingesetzt werden, sondern daß es sich bei ihnen um das Ergebnis einer rückständigen, vormodernen Gesinnung handelt, der der Westen als solcher, als liberale, säkulare, technologisch hochentwickelte Gesellschaftsform ein Feindbild ist. Diese von US-Neokonservativen geprägte Ideologie arbeitet mit der groben Verallgemeinerung einer Dichotomie, die die eigene zivilisatorische Entwicklung als so fortschrittlich und überlegen darstellt, daß sie unter an ihren vermeintlichen Segnungen nicht teilhabenden Vertretern eines fundamentalistischen Islam Haß und Neid sät.

Das Problem dieser simplen Gut-Böse-Konstellation liegt unter anderem darin, daß der sogenannte islamistische Terrorismus oder Jihadismus mit Akteuren assoziiert wird, die ihrerseits Modernisierungsprodukte der kolonialistischen Subordination der islamisch geprägten Welt sind. Im Falle der Mujahedin, aus denen Al Qaida und die Taliban hervorgegangen sind, ist allgemein bekannt, daß sie im Krieg gegen die afghanische Regierung und ihre sowjetischen Unterstützer von der CIA über den pakistanischen Geheimdienst ISI aufgerüstet und gelenkt wurden. Ein Rückblick auf Publikationen der 1980er Jahre belegt, daß die Mujahedin von der antikommunistischen Politik und Presse des Westens als Freiheitskämpfer glorifiziert wurden. Die unter Beteiligung mit den USA zusammenarbeitender arabischer Regierungen nach Afghanistan entsandten Kämpfer verbreiteten dort eine Form des Islam, die unter der einheimischen Bevölkerung zuvor weitgehend unbekannt war. Der globalisierte Charakter ihrer Ideologie, die Durchsetzung einer rigiden, frauenfeindlichen Moral und die strikte Ablehnung der säkularen Doktrin des Sozialismus kennzeichneten diese Varietät des Glaubens als innerislamische Reformoffensive, der es an keiner Stelle um emanzipatorische Ideale ging und die gerade deshalb von den USA und ihren Verbündeten unterstützt wurde.

Daß sich die Geister der imperialistischen, gegen die Sowjetunion gerichteten Agenda Washingtons schließlich gegen die Herren wendeten, die sie riefen, konnte für die Planer der CIA keine Überraschung sein. Es war nicht das erste Mal, daß eine Fußtruppe, derer man sich bediente, um Ziele zu erreichen, die nur partiell im Sinne der gedungenen Söldner sein konnten, aus dem Ruder lief. Der Appell Schäubles, sich als Bundesbürger unter das "Wir" der westlichen Welt zu subsumieren, entspricht zwar der Bündnispolitik der BRD, die den Krieg der Mujahedin gegen die afghanische Regierung unterstützte. Die Übernahme der Last, wie die USA Ziel terroristischer Anschläge zu werden, ist jedoch eine politische Entscheidung der rot-grünen wie der amtierenden Bundesregierungen. Sie ist keineswegs von der Notwendigkeit bestimmt, das aus den geostrategischen Interessen der USA resultierende Gefahrenpotential teilen zu müssen, sondern wurzelt im Interesse bundesrepublikanischer Eliten, an der kapitalistischen Durchdringung der Welt, der Verwertung ihrer natürlichen wie humanen Ressourcen auch zum Preis kriegerischer Durchsetzung unbedingt teilzuhaben.

Geht man einmal, wie es die offizielle Lesart verlangt, davon aus, daß es sich bei Osama Bin Laden tatsächlich um die Spinne handelt, die im globalen Al Qaida-Netzwerk die Fäden zieht, dann erfährt man aus den Kampfansagen des ehemaligen US-Verbündeten, daß er konkrete Ziele mit seinen Aufrufen, Anschläge gegen US-Einrichtungen zu begehen, verfolgte. 1998 verfaßte er eine Fatwa, laut der er Muslimen das Recht verlieh, US-Amerikaner umzubringen, weil die Truppen ihres Landes nach dem Golfkrieg 1991 in Saudi-Arabien, Heimat Bin Ladens und Zentrum islamischer Religiosität, verblieben waren, weil sie mit den gegen den Irak verhängten Sanktionen den Tod hunderttausender unschuldiger irakischer Kinder verursachten und weil sie Israel bei der Durchsetzung des gegen die Palästinenser gerichteten Besatzungsregimes unterstützten.

Während islamische Kleriker durchaus bestreiten, daß Bin Laden überhaupt befugt war, ein solches Rechtsgutachten auszustellen, wurde die Bedeutung der strategischen Ziele, die dem Wortlaut dieser und ähnlicher Erklärungen, die er oder andere im Namen Al Qaidas verfaßten, zu entnehmen waren, im Westen ignoriert. Die Verallgemeinerung der Anschlagsgefahr zu einer ausschließlich ideologisch motivierten terroristischen Bedrohung paßte zu gut ins Konzept des von der US-Regierung nach dem 11. September 2001 ausgerufenen Terrorkriegs, als daß man diesen Effekt durch eine differenzierte Analyse der Kampfansage Bin Ladens verwässern wollte. Diese Überhöhung wurde auch bei anderen großen Anschläge wie denen in London und Madrid praktiziert, damit die Regierungen der betroffenen Länder nicht als an der Entstehung dieser Gewalttaten durch ihre Kriegführung beteiligte Akteure dargestellt werden konnten.

Unter allen Vorbehalten, unter die aus dunklen Quellen stammende Erklärungen von Attentätern zu stellen sind, läßt sich immer wieder feststellen, daß die westliche Kriegführung in islamisch geprägten Staaten als Grund für das Ausführen dieser Gewalttaten angegeben wird. Dies zu leugnen ist eine ideologische Konstante der NATO-Staaten auch viele Jahre nach den Ereignissen, die als Initialzündung zur Durchführung seit langem geplanter Eroberungen fungierten.

An der großen Geschichte des Kulturkampfes zwischen der westlichen Moderne und der islamischen Vormoderne haben zwar prominente westliche Kulturwissenschaftler wie Samuel Huntington oder Orientalisten wie Bernard Lewis mitgestrickt, doch zahlreiche Wissenschaftler haben profunde Einwände gegen diese Sichtweise erhoben und sie als Handreichung für die Legitimation westlichen Hegemonialstrebens kritisiert. Das bloße Wiederholen der Theorie, daß nicht zuletzt aufgrund ihrer repressiven Triebstruktur gegen die Permissivität westlicher Kultur und Gesellschaft von Haß erfüllte Glaubensfanatiker im fernen Afghanistan Anschläge in Deutschland planten, macht sie nicht plausibler.

Zudem widerspricht es der von zahlreichen sogenannten Terrorismusexperten vertretenen These, daß es sich bei Al Qaida eher um eine Idee, eine Ideologie oder bestenfalls ein informelles Netzwerk handelt als um eine Organisation mit festen Strukturen und Stützpunkten, wenn mit der Behauptung, Afghanistan müsse als "sicherer Zufluchtsort für Terroristen" ausgeschaltet werden, Politik gemacht wird. Die Ermittlungen zu den großen Anschlägen, auf die sich dabei berufen wird, legen schon aus logistischen Gründen nahe, daß sie im Westen vorbereitet wurden, um von Hinweisen auf geheimdienstliche Verwicklungen zwecks Instrumentalisierung der Anschläge als Provokationsakte nicht zu sprechen. Die Gefahr des Terrorismus als Begründungskonstrukt für die neokolonialistische Besatzungspolitik der NATO in Afghanistan glaubhaft zu machen kann nur bei einer weitgehend uninformierten Bevölkerung gelingen. Die Stellungnahme des Bundesinnnenministers dient jedenfalls nicht dazu, daß sich an diesem beklagenswerten Zustand etwas ändert.

21. September 2009