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PROPAGANDA/1360: Freiheit wozu ...? Antworten auf eine ungestellte Frage (SB)



Freiheit! ... der 9. November kreist um den Begriff einer von jeder sozialen Bestimmung und gesellschaftlichen Bedeutung bereinigten Verheißung. Keines der Probleme, die Menschen in ihrem Alltag umtreiben, soll das hehre Gut kontaminieren. Was in Berlin bejubelt und gepriesen wird, ist schon von seiner Konstitution her alles andere als ungebunden und unabhängig. Die Freiheit, die die Herrschenden meinen, ist der Sieg über einen Staat, den es seit 20 Jahren nicht mehr gibt und dessen Funktionäre dennoch als Büttel eines angeblich diktatorischen Regimes durchs Bundesdorf getrieben werden, als gäbe es keine Zeit, die alle Wunden heilt.

Die Wunde der deutsch-deutschen Zweistaatlichkeit muß mit allen Mitteln der staatsoffiziellen Gedenkkultur künstlich offengehalten werden, um der von tiefen sozialen Klüften und überdehnten Bruchlinien durchzogenen Gesellschaft ein ums andere Mal vorgaukeln zu können, daß mit dem Niederringen des staatssozialistischen Drachens kein weiterer systemischer Entwicklungsbedarf bestehe, sondern sich alle anfallenden Probleme auf technische Fragen reduzieren ließen. Die sogenannte Wiedervereinigung, deren historische Rückbindung in Abrede stellt, daß sie einen Klon jenes Ungeheuers gebären könnte, dessen Mordlust zwei deutsche Staaten zur Folge hatte, wird zu einer Einheit überhöht, die ohne das fremde und feindliche Andere, an dem sie sich abarbeitet, in ihrer Abstraktheit völlig ungreifbar wäre. Das Feindbild des "SED-Regimes" geht fugenlos in die Stigmatisierung systemantagonistischer Bewegungen als "extremistische Gefahr" über. Die Finalität der Freiheit bedarf keiner Entwicklungsimpulse mehr, die Deutschen sind im besten aller Systeme angekommen und sollen sich nun in jeder nur erdenklichen Lebenslage nach der Decke strecken, anstatt grundsätzliche Bedenken zu erheben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich einen "Schlußstrich" verbeten, da dies auf die Verdrängung der Vergangenheit hinausliefe. Um dies zu verhindern, tritt sie nicht etwa für die Förderung mit der Geschichte der DDR befaßter akademischer Einrichtungen ein, denen zusehends die Mittel entzogen werden, damit das von den PR-Abteilungen des systemischen Antikommunismus entworfene Schreckensbild nicht durch alternative Sichtweisen gekontert wird. Sie will keineswegs zur Pflege einer DDR-spezifischen Erinnerungskultur anregen, mit der die in diesem Land aufgewachsenen Menschen ihre eigene Geschichte schreiben. Nein, die Regierungschefin propagiert die Durchsetzung der BRD-apologetischen Doktrin gegen alle Bundesbürger, die die regierungsamtliche Sicht der Dinge nicht zu der ihren machen wollen. Sie besiegelt dies mit der Unverjährbarkeit eines vermeintlichen Vergehens, das den Mitarbeitern des Minsteriums für Staatssicherheit der DDR schwer angelastet wird, während ihre Kollegen vom BND und Verfassungsschutz bei der Abwehr staatsfeindlicher Umtriebe selbstverständlich etwas ganz anderes betreiben.

Man müsse "die Erinnerung an das Geschehene wachhalten (...), um die Zukunft zu gestalten", fordert Merkel, denn das sei man nicht nur "den vielen Opfern des SED-Regimes", sondern "auch kommenden Generationen schuldig. Denn wie wollen wir ihnen erklären, wie kostbar die Freiheit ist, wenn wir die Erfahrungen mit der Unfreiheit verschweigen?" (Leipziger Volkszeitung, Sonnabend-Ausgabe). Diese Frage birgt mehr Sprengstoff in sich, als der Kanzlerin klar sein dürfte. "Die Freiheit" wird am Beispiel der Berliner Mauer und ihrer Öffnung vor 20 Jahren zu einem Symbol überhöht, dessen Strahlkraft die Frage danach, von welchem konkreten Nutzen sie sein könnte, wirksam überblendet. Es macht schließlich einen großen Unterschied, ob Merkel die Freiheit der Investoren meint, nach Belieben Kapital zu akkumulieren und dabei anfallende Kosten auf die Allgemeinheit umwälzen zu können, oder ob sie die Freiheit meint, die kapitalistische Gesellschaft zu überwinden. Letztere Freiheit wird durch den Staatsschutz eingeschränkt, das gilt auch für den Fall, daß Antimilitaristen die Freiheit der Bundesregierung, völkerrechtswidrige Kriege zu führen, zum Gegenstand aktiver Kritik machen. Da auch die Freiheit zu vielen anderen Dingen mit repressiven Maßnahmen kollidiert, schlägt die ideologische Verabsolutierung des Begriffs für all jene, die es wissen wollen, unausweichlich in ein Täuschungsmanöver um.

So unterliegt die mit der Feier des sogenannten Mauerfalls insbesondere gemeinte Reisefreiheit ökonomischen Bedingungen, die viele der für die BRD befreiten DDR-Bürger weiterhin daran hindern, in alle Welt zu reisen. Stehen sie als Empfänger von Arbeitslosengeld unter Aufsicht der Arbeitsagentur, dann müssen sie Erlaubnis einholen, wenn sie sich für längere Zeit von ihrem Wohnort entfernen wollen. Die in Berlin zum Gedenktag abgesonderte Freiheitsrhetorik muß daher ganz und gar auf den symbolischen Anlaß fixiert werden, ansonsten fiele die klinische Sterilität auf, mit der sie sich gegen die Inanspruchnahme durch den Bürger verwahrt. Daß Freiheit, wie Merkel in Hinsicht auf künftige Generationen meint, nur als Desiderat kenntlich gemacht werden kann, negiert alles an ihr, was sich nicht in einem geschichtspolitischen Mythos erschöpft.

Merkel erklärt die DDR zum Popanz der BRD-Gedenkkultur, weil Freiheit als Wert an und für sich aussagelos ist. Mit jedem Versuch, dieses Sakrament eines zivilreligiösen Bekenntnisses in der gesellschaftlichen Praxis zu verankern, stößt das bürgerliche Subjekt auf Zwangs- und Gewaltverhältnisse, die den BRD-Liberalismus als Demagogie entlarven. Es geht nur in einem Sinne um die Gestaltung der Zukunft - in ihr sollen jene Interessen unwiderruflich dominieren, die mit dem Anschluß der DDR freigesetzt wurden, um Deutschland im Zeitalter verschärfter Überlebenskonkurrenz in den Stand einer imperialistischen Großmacht zu erheben, die sich einen Platz an der Spitze der globalen Freßkette erkämpft.

9. November 2009