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PROPAGANDA/1366: Schuld am Scheitern des Klimagipfels? Antikolonialismus! (SB)



Bei der Suche nach Schuldigen für das Scheitern des Klimagipfels in Kopenhagen hat die Zeitung Die Welt wortwörtlich ins Schwarze getroffen. Indem sie die Kritik der Länder des Südens am selbstherrlichen Vorgehen der Industrie- und Schwellenstaaten als Produkt "völkermörderischer, diktatorischer und autokratischer Regime vom Schlage des Sudan, Venezuelas, Kubas und des Iran" (Die Welt, 21.12.2009) denunziert, übertüncht sie die häßliche Fratze des globalen Gewaltverhältnisses mit dem Talmi der moralischen Suprematie, derer sich die größten Ressourcenverschwender bedienen, um ihre privilegierte Position zu sichern.

Der Ärger in der Redaktion des Springer-Blattes scheint groß. Der den Sachwaltern der Neuen Weltordnung stets zum Vorteil gereichende Verweis auf die universellen Werte, die einzuhalten stets die Pflicht des anderen, weniger stimmgewaltigen Akteurs ist, hat in Kopenhagen Schaden genommen: "Forderungen nach Einhaltung der Menschenrechte können sie mit dem Argument kontern, der Westen solle erst einmal seinen CO2-Ausstoß wirksam reduzieren. Schließlich habe er seine technologische Überlegenheit historisch ja der Ruinierung des Weltklimas zu verdanken." Man beachte den Konjunktiv dieses auf den Menschenrechtsdiskurs ausgeweiteten quid pro quo, das man auf dem Klimagipfel vorschützte, um das Zustandekommen eines verbindlichen Ergebnisses zu verhindern.

So haben die größten Staaten der G20-Gruppe, die etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung und 90 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung auf sich vereinen, durchaus kooperiert, nämlich in dem Interesse, sich auf nichts festzulegen, das den wirtschaftlichen Interessen ihrer Eliten schaden könnte. Als exemplarisches Beispiel für diese "rücksichtslose nationale Interessenpolitik", bei der es sich tatsächlich um die Verschärfung des internationalen Klassenantagonismus handelt, fungiert China. Diese "autoritäre Macht" will sich "in ihrem brachialen Wirtschaftsaufstieg keinesfalls durch fremde Klimaschutzideale stören" lassen, heißt es im Kommentar der Welt.

Daß die Bevölkerung der Volksrepublik im Prokopfaufkommen an klimawirksamen Gasen noch weit hinter den westlichen Industriestaaten liegt, sollte kein Grund dafür sein, die Sanierung des Weltklimas zu blockieren. Ausgerechnet ein Land für das Scheitern des COP 15 zur Verantwortung zu ziehen, das selbst Opfer des Kolonialismus war und gegenüber den wirtschaftlichen Führungsmächten eine nachholende Entwicklung vollzieht, dessen Führung in der Länderbilanz der CO2-Produzenten nicht zuletzt der Tatsache geschuldet ist, daß es als Produktionsstandort für im Westen konsumierte Waren fungiert und das mit dieser Rolle im System der internationalen Arbeitsteilung den ökonomischen Kollaps der Vereinigten Staaten verhindert, dokumentiert allerdings die apologetische Stoßrichtung dieses Affronts. Auch nur den Hauch der Erinnerung daran zunichte zu machen, daß die Dominanz der westlichen Industriestaaten auf territorialer, ressourcentechnischer und ordnungspolitische Expansion beruht, ist die unabdingbare Voraussetzung für die Anklage, um die es dem Welt-Kommentator im Kern geht:

"Im Zeichen solcher rücksichtsloser nationaler Interessenpolitik erfährt der alte antiwestliche 'Antikolonialismus' eine makabere Auferstehung. Gerade dieses Rühren am schlechten Gewissen der westlichen Welt macht große Teile der intellektuellen Eliten des Westens für den Klimaschutz so empfänglich."
(Die Welt, 21.12.2009)

Als wäre nichts gewesen außer dem Beharren auf eine Weltordnung, in der den ärmsten Staaten wie den Armutsbevölkerungen in der reichen Welt nicht nur die Butter vom Brot, sondern das Brot selbst genommen wird, noch bevor dieses Mangelregime einem klimapolitischen Legitimationswechsel unterzogen wird, zieht man in der publizistischen Zentrale des deutschen Neokonservativismus gegen Menschen zu Felde, denen Klimaschutz eben kein Mangelregulativ und Spekulationsobjekt, sondern egalitärer humanistischer Auftrag ist. Warum den eigenen Raub überhaupt mit einem schlechten Gewissen überschatten, wenn es auch ganz anders geht, indem jeder, der an das Scheitern emanzipatorischer Ideale erinnert, zum Feind erklärt wird? Hier warten neue Aufgaben auf die Propagandisten des antikommunistischen Gesinnungsverdachts - wer konsequent für eine natur- und menschenfreundliche Nutzung natürlicher Ressourcen kämpft, der kommt an der Überwindung der kapitalistischen Verwertungslogik, die alles und jedes durch die Teilbarkeit des Tauschäquivalents atomisiert und den Preis finaler Konsumierbarkeit stets niedriger ansetzt als den Wert des bloßen Erhalts, nicht vorbei.

21. Dezember 2009