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PROPAGANDA/1391: Abgeordnetenkauf in der neoliberalen Mediendemokratie (SB)



Hessische Verhältnisse in aller Munde - das scheint manchen dazu zu ermutigen, öffentlich über unkonventionelle Methoden der Regierungsbildung in Nordrhein-Westfalen nachzudenken. Mußten die hessischen SPD-Dissidenten noch unter dem Vorschützen ideologischer Bauchschmerzen die Wahl Andrea Ypsilantis zur Ministerpräsidentin torpedieren, so zeigt der Chefredakteur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ), Ulrich Reitz, daß es auch ohne solche Krämpfe geht, wenn man nur den Preis kennt, zu dem sich ohne langes Hin und Her unvorhergesehene Mehrheiten bilden lassen.

Im Mediengespräch auf Deutschlandradio Kultur (11.05.2010) nahm Reitz das Fehlen von nur einem Abgeordneten zur Bildung einer rot-grünen Regierungsmehrheit in Düsseldorf zum Anlaß, die Vorteile der Möglichkeit auszuleuchten, einen Abgeordneten der Linkspartei zum Übertritt zu den Grünen oder der SPD zu bewegen. Nachdem SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles im ARD-Fernsehen auf die Frage nach eventuellen Überläufern geantwortet hatte, daß das so wäre, als würden "Ostern und Weihnachten zusammenfallen", überlegte Reitz unter Verweis auf die "Hoffnung und den Wunsch auch der Bundes-SPD unter dem Vorsitzenden Sigmar Gabriel, unter allen Umständen eine rot-rot-grüne Koalition zu verhindern", wie man dies anstellen könne. Um das "riesige VaBanque-Spiel" einer solchen Regierungsbildung zu verhindern, müsse man "einen suchen innerhalb der Fraktion der Linkspartei", allerdings ohne darüber zu reden. Auf den Einwand der Moderatorin, daß "geteert und gefedert zu werden für diesen Politiker dann das Allergeringste" wäre, machte Reitz den Vorschlag, die Schmerzen des Überläufers mit einem Staatssekretärsposten zu lindern.

Der WAZ-Chef blieb jedoch nicht dabei stehen, über die Käuflichkeit von Abgeordneten der Linkspartei - und nicht etwa der CDU oder FDP - zu spekulieren, sondern zeigte einen praktikablen Weg auf, wie man den Judas, dessen Anwesenheit die SPD-Fraktion nicht gerade zieren dürfte, für besagten Kaufpreis sogleich wieder los würde. Man könnte den Beutesozialdemokraten nach der Wahl Hannelore Krafts zur Ministerpräsidentin etwa als verbeamteten Staatssekretär in die Landesregierung aufnehmen, um ein SPD-Mitglied nachrücken zu lassen, "dann hätte die SPD eine lupenreine rote Fraktion - eine schöne Variante, oder?"

Genüßlich führte die WAZ gleichen Tags unter dem Titel "SPD wirbt um Überläufer aus der Linkspartei" aus: "Bei der Linkspartei wurden Spekulationen über einen möglichen Überläufer zur SPD scharf dementiert. 'Das ist albern', sagte Parteivize Ralf Michalowsky der WAZ. 'Es gibt bei uns niemanden, der zur SPD wechseln würde'" (WAZ, 11.05.2010). Wäre ein Karrieresprung vom frischgebackenen Abgeordneten in ein Regierungsamt mit Pensionsanspruch doch schon so etwas wie ein Hauptgewinn im Lotto, so ist nicht damit zu rechnen, daß ein Abgeordneter der Partei Die Linke gleich zu Beginn seiner politischen Laufbahn die Korrumpierung des parlamentarischen Systems durch Kapitalinteressen am eigenen Beispiel belegte.

Dazu bedarf es kaum profaner Bestechlichkeit, wie die innige Verschränkung der politischen und wirtschaftlichen Funktionseliten belegt, um nur einen Faktor im formalen Demokratieverständnis nicht vorgesehener Einflußnahme zu nennen. So spielt Kapitalmacht auch im Vorfeld demokratischer Wahlen eine wichtige Rolle, wie das Beispiel der WAZ zeigt. Das Flagschiff der WAZ-Mediengruppe verfügt mit dem ehemaligen Chef des Bundeskanzleramtes der ersten rot-grünen Bundesregierung, Bodo Hombach, über einen Geschäftsführer, der seiner Partei stets verbunden geblieben ist. Auf die neoliberale Transformation der SPD, für die Hombach unter Bundeskanzler Gerhard Schröder maßgeblich verantwortlich zeichnete, folgte eine nicht minder auf Rentabilität getrimmte Umstrukturierung der WAZ-Redaktionen. Massiver Stellenabbau geht zu Lasten redaktioneller Qualität, um von Unabhängigkeit nicht zu reden, so daß sich die Leser der WAZ nicht darüber wundern brauchen, wenn ihr Blatt mit antikommunistischen Verschwörungstheorien aufwartet, anstatt sich in ihrem Interesse und nicht dem der SPD mit sozialen Widersprüchen zu befassen, an denen im ehemaligen Revier kein Mangel herrscht.

11. Mai 2010