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PROPAGANDA/1400: Christine Haderthauers erhellender Lapsus (SB)



Die Aufregung um die rhetorischen Irrwege der bayerischen Sozialministerin Christine Haderthauer wäre unangemessen, wenn es sich bei ihrer Bezichtigung lediglich um eine Verwechslung oder Wissenslücke handelte. Ihr Anwurf, der FDP einen Schlingerkurs "zwischen Klientelpolitik für Superreiche und sozialistischer Familienpolitik à la Pinochet" vorzuwerfen, läßt durchaus Überlegungen zu, die die Familienpolitik der Liberalen wie das Verhältnis der Christsozialen zum chilenischen Militärdiktator in ein so bezeichnendes wie peinliches Licht rücken.

Einig waren und sind sich die Unionsparteien und die Liberalen darin, das Elterngeld für diejenigen besonders knapp zu bemessen, die es am dringendsten benötigten. Familien mit niedrigem Haushaltseinkommen waren bereits bisher benachteiligt, weil sie den niedrigsten Satz erhielten, und sind es im Fall der auf Hartz IV angewiesenen Eltern künftig noch mehr, weil es ihnen im Rahmen des Sparpakets vollständig gestrichen werden soll. Diese nicht anders als sozialeugenisch zu bezeichnende Politik wird nicht weniger armenfeindlich dadurch, daß Haderthauer die FDP dafür rügt, nun auch nicht berufstätige Eltern von dieser Finanzhilfe ausschließen zu wollen.

Interessanterweise hat die CSU-Politikern mit Juntachef Augusto Pinochet einen frühen Vorreiter des neoliberalen Strukturwandels sozialistischer Umtriebe geziehen, wurde Chile doch unmittelbar nach dem Militärputsch vom 11. September 1973 zum ersten Großexperiment des marktfundamentalistischen Monetarismus nach Milton Friedman. Dessen als "Chicago Boys" bekannte Schüler stürzten einen Großteil der Chilenen in bittere Not, indem allein der bislang subventionierte Brotpreis innerhalb eines Jahres um das 36fache stieg. Deregulierung und Privatisierung führten dazu, daß das Ziel Pinochets, "Chile nicht zu einer Nation von Proletariern, sondern Unternehmern zu machen", für 85 Prozent der Bevölkerung bedeutete, unter die Armutsschwelle gedrückt zu werden. Es war die erste neoliberale Schocktherapie nach Rezeptur der kapitalistischen Globalisierung, die noch viele Bevölkerungen zugunsten anwachsender Profitraten der Kapitaleigner mit materieller Not und politischer Unterdrückung schlagen sollte.

Man kann verstehen, daß CSU-Chef Horst Seehofer Haderthauer für diesen Eklat abgewatscht hat, erinnert der Vorfall doch unfreiwillig daran, daß kein Geringerer als der CSU-Altvordere Franz Josef Strauß ein guter Freund des chilenischen Diktators war. Nach einem Besuch 1977, nur vier Jahre nach der Ermordung Salvador Allendes, schwärmte Strauß vom "inneren Friede" und der "politischen Stabilität" Chiles . Sein Loblied auf die freiheitliche Entwicklung eines Landes, dessen Regierung Regimegegner folterte und ermordete, drückte tiefe Zufriedenheit mit der Torpedierung des sozialistischen Kurses Allendes aus.

Dieser antikommunistische Schulterschluß von Lateinamerika bis Westeuropa hätte verlangt, daß Haderthauer Allende anstelle Pinochets an den Pranger sozialistischer Solidarität stellte. Damit hätte die Ministerin in Sachen antilinke Hetze sogar die FDP überholt. Deren Empörung ist verständlich, kann es für die rabiatesten Kommunistenfeinde der Republik doch nichts Schlimmeres geben, als auch nur irrtümlicherweise sozialistischer Ambitionen bezichtigt zu werden.

Der Lapsus der CSU-Ministerin zeigt, wie sehr sich alle Beteiligten darüber ärgern, unfreiwillig und unnötig einen Blick in die Karten ihrer sozialfeindlichen Ambitionen gewährt zu haben. Der Kurs der Umverteilung des gesamtgesellschaftlichen Produkts von unten nach oben liegt unverändert an. Kleine Modifikationen am großen Plan, die angeblich Unproduktiven dauerhaft und unumkehrbar auszuhungern, dienen kosmetischen Zwecken, die man so lange vorhalten muß, als das unter Pinochet erreichte Ausmaß an autoritärer Durchsetzung herrschender Interessen auch hierzulande verwirklicht ist.

27. Juni 2010