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PROPAGANDA/1414: Mit breit orchestrierter Terrorgefahr in neue Kriege ziehen ... (SB)



Die inflationär um sich greifenden Anschlagswarnungen werden von dem beschwichtigenden Hinweis begleitet, daß es ganz falsch sei, auf sie panisch oder hysterisch zu reagieren. Tatsächlich empfiehlt sich eine solche Reaktionsweise in keiner Lebenslage, wie jeder weiß. Es handelt sich um eine Nullaussage, die den Zweck verfolgt, ein besonnenes Vorgehen der Behörden zu unterstellen, in deren Schatten die Instrumente staatlicher Repression geschärft werden. Angetrieben durch eine sensationsheischende Berichterstattung, die auch kleine Warnhinweise im dramatischen Tenor akuter Gefahr kolportiert, wird eine Stimmung der Verunsicherung und Angst geschürt, in der untergeht, daß die Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden zumindest so dürftig sind, daß sie keine zielgerichteten Maßnahmen gegen die angeblichen "Gefährder" ergreifen können.

Nichts genaues weiß man nicht, dies aber auf eine Weise, die die Bevölkerung in Atem hält. Ein Angriff auf das Reichstagsgebäude soll laut dem "Spiegel", der sich auf Quellen deutscher Sicherheitsbehörden beruft, im Februar oder März erfolgen und auf einen Jihadisten zurückgehen, der beim Bundeskriminalamt anrief, um seinen Ausstiegswillen zu bekunden. Während die Bundeskanzlerin Angela Merkel am Rande des NATO-Gipfels von "einer realen Gefährdung durch den Terrorismus" spricht, erklärt BKA-Präsident Jörg Ziercke, daß es "keinen konkreten, nachvollziehbaren Verdacht" [1] gebe. Es sei alles eine Frage der Quellenlage, die in diesem Fall aus nichts anderem als Telefonanrufen zu bestehen scheint, mit denen eine umfassende Terrorplanung auf denkbar schnellem Weg öffentlich gemacht wurde.

Hinweise auf weitere Anschlagspläne sollen von der US-Bundespolizei FBI stammen, lautet eine der bruchstückhaften Informationen, die stets unter Geheimnisvorbehalt auf die Bevölkerung losgelassen werden. Diese fürchtete sich, wenn sie rational mit dieser Herausforderung umginge, nicht nur vor etwaigen Anschlägen, sondern auch einem Sicherheitsapparat, dem sie im Endeffekt ohnmächtig ausgeliefert ist. Wer auch immer aus welchen Gründen Alarm schlägt, wer Bombenattrappen in Flugzeuge legt oder unbescholtene Bürger aufgrund ihres fremdartigen Habitus als Terrorverdächtige stigmatisiert, bleibt im Dunkeln. Die naheliegende Reaktion, den Maximalforderungen rechter Sicherheitspolitiker zu folgen, ist absehbar und läßt sich systematisch provozieren.

Der im herrschaftstechnischen Sinne produktive Umgang mit dem Aktivposten der Terrorgefahr beschränkt sich nicht auf die Verschärfung von Sicherheitsgesetzen, die am Ende gegen ganz andere Menschen eingesetzt werden als die vorgeblich Deutschland bedrohenden Jihadisten. Markus Hesselmann wendet die aktuelle terroristische Offensive, die bislang ausschließlich in der Wahrnehmung der Sicherheitsapparate existiert, im Berliner Tagesspiegel (18.11.2010) in einen publizistischen Aufruf, endlich offensiv zu werden und zu den Verbündeten USA und Britannien aufzuschließen. Was die Republik jetzt erregt, sei "für uns Deutsche ein Ankommen in der Normalität, seit die Bundeswehr das Kämpfen in Krisengegenden nicht mehr nur den anderen, vor allem Briten und Amerikanern, überlässt". Der ehrenrührige Anwurf, die einst so kriegserprobten Deutschen drückten sich vor dem Kämpfen, gerät durch die Ankündigung eines Rückzugs aus Afghanistan just zur Zeit hoher Terrorgefahr zum politischen Debakel. Es wirke so, "als ob unsere Repräsentanten sich dem Druck von Terroristen beugen".

Das ist die Stunde wehrhafter Bürger wie Hesselmann, der den Lesern des Hauptstadtblattes erklärt, daß "Al Qaidas Zorn für uns eine Auszeichnung" sei:

"Wenn Amerikaner, Briten und Juden auf der 'Hassliste' der Islamisten ganz oben stehen, dann ist das eine Gesellschaft, in der wir Deutschen uns wohlfühlen dürfen. Immerhin sind wir ja jetzt auf Platz vier, wie wir jetzt erfuhren. Wobei diese spezielle Top Four doch die Frage aufwirft, wo sich da eigentlich amerikanische, britische und deutsche Juden einordnen sollen. Wenn es nicht so zynisch klänge, weil es hier um potenziellen Massenmord geht, könnten wir historisch analytisch festhalten: Deutschlands langer Weg nach Westen kommt hier zum Abschluss. Das ist prinzipiell gut. Jetzt müssen wir nur noch mit Al Qaida fertig werden - gemeinsam mit Briten und Amerikanern, ob sie nun jüdisch sind oder nicht." [2]

Da die Bundeswehr sich bereits mit einem größeren Kontingent an Soldaten an der Besetzung Afghanistans beteiligt, kann dieser Willkommensgruß nur meinen, daß der Krieg auch deutscher Soldaten mit noch brutaleren und menschenfeindlicheren Mitteln geführt werden soll, als es bisher schon der Fall ist. Hesselmanns Lob auf das Abwerfen letzter Bedenken ist neokonservativer Bellizismus in Reinkultur und als solcher nicht eigens erwähnenswert, kennt man diese Rechtfertigung aggressiver Kriegführung doch zu Genüge aus den Meinungsbekundungen US-amerikanischer Publizisten. Zudem arbeitet sich diese Propaganda an einem Feindbild ab, das die auf US-amerikanische und britische Soldaten angestimmten Heldengesänge angesichts aus unerreichbarer Höhe vorgetragener Angriffe auf Menschen, die der Feuerkraft der NATO-Truppen auch am Boden nichts Vergleichbares entgegenzusetzen haben, als eitle Hybris erkennen lassen.

Besorgniserregend allerdings ist die Tatsache, daß derartige Kriegsaufrufe heute zum guten Ton führender deutscher Tageszeitungen gehören und in einer Gesellschaft, in der staatlicherseits zum Denunzieren "seltsamer Menschen" aufgerufen wird, auf fruchtbaren Boden fallen. Die Inanspruchnahme jüdischer Betroffenheit für das Anliegen aggressiver Vergeltung abstrahiert nicht umsonst vom Nahostkonflikt und blendet ganz im Sinne der Bundeskanzlerin auf einen selbstevidenten Haß gegen "unsere Lebensweise der Freiheit" [1] über, der vorsorglich beantwortet, was nicht gefragt werden soll. Der Haß, der so gesät wird, bedarf des Hasses Al Qaidas nicht, setzt er doch auf Dispositionen sozialen Elends und kapitalistischer Herrrschaft, die schon häufiger in der Geschichte dieses Landes blutige Ernten gezeitigt haben.

Fußnoten:

[1] http://de.reuters.com/article/topNews/idDEBEE6AK00C20101121?sp=true

[2] http://www.tagesspiegel.de/meinung/al-qaidas-zorn-zeichnet-uns-aus/2892316.html

21. November 2010