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PROPAGANDA/1443: Wer dominiert wen? Springer-Konzern vs. Bundespräsident Wulff (SB)



Ein ganz unverkrampftes Verhältnis zum kollaborativen Verhältnis zwischen Staats- und Medienmacht legte einst Bundeskanzler Gerhard Schröder an den Tag, wird ihm doch die Äußerung zugeschrieben: "Zum Regieren brauche ich nur Bild, BamS und Glotze." Daß ihn sein Machtinstinkt nicht trügte, bestätigt nun kein geringerer als Bundespräsident Christian Wulff auf allerdings gänzlich unsouveräne Weise. Der Versuch, nicht nur den Chefredakteur der Bild-Zeitung, Kai Dieckmann, sondern auch den Vorstandsvorsitzenden des Axel-Springer-Verlages, Mathias Döpfner, um Nachsicht bei der Berichterstattung über die ihm zu schaffen machende Hauskreditaffäre zu bewegen, dokumentiert so geringes Geschick beim Taktieren mit den Medien, daß die Frage aufkommt, wie es dieser Politiker ins höchste Staatsamt der Bundesrepublik geschafft hat. Die unausgegorene Mischung aus Bitten und Drohen, mit der Wulff Einfluß auf Deutschlands mächtigsten Pressekonzern nehmen wollte, kündet jedoch vor allem von einer Abhängigkeit demokratisch mandatierter Amtsträger von privatwirtschaftlichen Akteuren, die die in der Staatschulden- und Finanzkrise hervortretende Subordination des staatlichen Gemeinwesens unter kapitalistische Partikularinteressen mit einem fetten Ausrufezeichen versieht.

Von daher erweisen sich die Kommentatoren, die Wulff nun des unlauteren Einwirkens auf die angeblich unabhängige Presse bezichtigen, über die prinzipielle Relevanz dieser Kritik hinaus als ausführende Organe jenes Interessenkartells aus Politik und Medien, das in seiner alltäglichen Praxis nichts anderes macht als das, was dem Bundespräsident nun auf die Füße fällt. Die Kollaboration von Politikern und Journalisten fungiert nicht nur in der Bundeshauptstadt als Schmiermittel einer Konsensbildung, an deren ideologische Parameter sich alle halten, weil alle davon profitieren. Wer Informationen aus dem Inneren des Machtgetriebes erhalten will, verdirbt es sich mit seinen Zuträgern ebensowenig, indem er diese harscher Kritik unterzieht, als diese den Ast, an dem ihre öffentliche Anerkennung hängt, nicht ohne Not absägen. Indem Wulff dies androhte, wurde seine Not offenkundig, doch ist auch die Angst vor Enthüllungen nur zum Teil dem Sachgehalt der skandalisierten Verfehlungen geschuldet. Wenn Petitessen - und um solche handelt es sich bei pekuniären Vorteilsnahmen politischer Mandatsträger in Gesellschaften, deren Eigentümerklasse das herrschende Klassenverhältnis mit Hebeln ökonomischer und politischer Machtentfaltung durchsetzen, von denen Parlamentarier und Regierungsbeamte nur träumen können - zu schlagzeilenträchtigen Affären hochgeschrieben werden, dann nicht selten deshalb, weil es den publizistischen Akteuren gerade opportun erscheint, die dabei absehbar unter die Räder kommenden Politiker zu beschädigen.

So kann es nicht weiter erstaunen, daß Politikerinnen und Politiker der Linkspartei schon bei geringfügigen Verstößen gegen die antikommunistische Staatsdoktrin unter massenmedialer Häme durchs Bundesdorf getrieben werden, während die sozialrassistische Verunglimpfung der Empfänger von Sozialtransfers zum guten Ton neofeudaler Eliten auch in den Medien zu gehören scheint. Den politischen Funktionseliten der DDR wurden materielle Privilegien als Beweis politischer Korrumpierbarkeit angelastet, die zum selbstverständlichen Konsum eines Normalverdieners der BRD gehören, während materielle Begünstigungen ehemaliger Regierungsmitglieder oder aktiver Parlamentarier durch Lobbyisten sakrosankt sind, obwohl sie allemal verständlich machen, wieso das Kapital in der Bundesrepublik mit Samthandschuhen angefaßt wird. Der Regierung des Iran werden insbesondere von der Springer-Presse massenmörderische Absichten gegenüber Israel unterstellt, während aggressive Kriegsdrohungen gegen das Land seitens der USA und Israel als eine Form von Selbstverteidigung auf hohem Niveau unterstützt werden.

Die Liste der Beispiele, bei denen die Verlagskonzerne im Gleichschritt mit den Herrschenden marschieren, während sie an die Ausgegrenzten und Ohnmächtigen fast unerfüllbare moralische Maßstäbe anlegen, ließe sich noch lange fortsetzen. Es ist allerdings so müßig, marktwirtschaftlichen Akteuren vorzuhalten, der eigenen Sache zu dienen, als von öffentlich-rechtlichen Medien zu erwarten, etwas anderes als eine Staatsräson zu propagieren, die sich durch die Proporzapparate der den Rundfunk organisierenden Gremien und Räte artikuliert. Der Skandal um Wulffs vergebliche, das aufzuhaltende Verhängnis erst richtig lostretende Intervention ist mithin auch das Sittenbild einer Republik, auf deren politische Willensbildung einige profitorientierte, mit den herrschenden Kapitalinteressen auf vielerlei Weise verbandelte Verlags- und Medienkonzerne überproportionalen Einfluß nehmen.

Die erbärmliche Unterwerfung eines Staatsoberhaupts unter ein Meinungskartell, das dem deutschen Imperialismus verpflichtet ist, den der Bundespräsident an erster Stelle repräsentieren sollte, läßt denn auch ahnen, daß mehr auf dem Spiel steht als die Glaubwürdigkeit dieses Politikers. Das gilt auch für das Taktieren der Bild-Zeitung, die den Vorfall erst zurückhielt, um sich nun als Opfer politischen Drucks darzustellen. Wäre es ihr um den ungebrochenen Berufsethos gegangen, gegen den Wulff die Drohung ins Feld geführt haben soll, mit dem Springer-Verlag zu brechen, dann hätte dieser den Vorstoß des Bundespräsidenten in eigener Sache sofort zum Problem seiner Amtsführung machen müssen. Wo Beziehungen zur angeblich unabhängigen Presse abgebrochen werden können, existieren offenkundig Formen der Zusammenarbeit, die über die konventionelle Berichterstattung weit hinausgehen. So erweisen sich Dieckmann und Döpfner nicht minder als Kulissenschieber des bundesrepublikanischen Staatstheaters, als es Wulff tut, wenn er deren Berichterstattung in seinem Sinne zu beeinflussen versucht.

Das hohe Gut der Meinungsfreiheit wurde schon zigfach an den Meistbietenden versteigert, betreiben quoten- und auflageorientierte Medien doch nichts anderes als eine permanente Auktion unter den Fondsmanagern ökonomischer wie administrativer Verfügungsgewalt. Daß die Herrschenden das Gewaltverhältnis, auf dem ihre Herrschaft beruht, nicht kritisch reflektieren, liegt in der Logik der von ihnen produzierten Beschwichtigung und Ablenkung. Die zentralen sozialen Widersprüche so geschickt zu umfahren, daß der Eindruck entsteht, man nehme sich ihrer auf produktive Weise an, zeichnet die hohe Kunst einer Publizistik aus, die zur gleichen Zeit Erwerbslose und Großverdiener eigenütziger Gier anprangern, den Weltfrieden beschwören und Eroberungskriege legitimieren, Muslime des Terrors verdächtigen und christliche Bomberpiloten glorifizieren, gegen Sexualtäter hetzen und plakativem Sexismus frönen. Nun, da Wulff auf dem Altar einer Moral geopfert wird, deren Priester so bigott sind wie der Klerus in der Blüte vorreformatorischer Selbstherrlichkeit, scheint es nicht zuletzt darum zu gehen, künftige Inhaber des Präsidentamtes unter dem Vorzeichen liberaler Werte auf die neue deutsche Härte eines eurozentrischen und sozialrassistischen Gewaltprimats einzuschwören.

3. Januar 2012