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PROPAGANDA/1480: Wenn sich die Fußtruppen imperialistischer Kriege selbstständig machen ... (SB)




Glaubt man den Schlagzeilen und Kommentaren deutscher Journalisten, dann muß die Republik nicht nur in der Ukraine verteidigt werden, sondern auch im Innern. Islamistische Terroristen wollen sich nicht mehr damit begnügen, im Nahen und Mittleren Osten Furcht und Schrecken zu verbreiten. Schon patrouilliert die Scharia-Polizei durch die Straßen, stets bereit, ungebührliches Benehmen aufs härteste zu bestrafen. Undank ist der Welten Lohn - 13 Jahre Demokratieexport nach Afghanistan, und doch befindet sich Deutschland im Belagerungszustand.

Was gerne vergessen wird, wenn sich das christliche Abendland als Opfer islamistischer Aggression geriert, ist die systematische Zerstörung der säkularen Staatenwelt in der Region durch moderne Kreuzzügler. Der Stellvertreterkrieg gegen die Sowjetunion in Afghanistan, die Regimewechsel im Irak und Libyen und der Bürgerkrieg in Syrien, den die NATO-Staaten mit ihrer gegen die Regierung in Damaskus gerichteten Politik internationalisiert haben, brachten Spaltprodukte ungezügelter Grausamkeit hervor, in denen die Willkür imperialistischer Politik blutigste Blüten treibt. Insbesondere die USA haben es stets verstanden, die reaktionärsten Kräfte als Fußtruppen eigener Interessen auf das globale Schlachtfeld zu schicken. Werden sie dabei von den Folgen eigener Machtpolitik eingeholt, dann läßt sich der Terror umstandslos in neue Formen sicherheitsstaatlicher Herrschaft ummünzen.

So brutal das Regime panarabischer Despoten wie Saddam Hussein oder Muamar al-Gaddafi gewesen sein mag, in der Diktion Washingtoner Geostrategen waren es immerhin "unsere Schweinehunde". Solange mit ihnen gute Geschäfte zu machen waren, solange sie westlichen Akteuren mit Gewaltdienstleistungen wie der Folterung politischer Gefangener zur Verfügung standen oder die Flüchtlingsabwehr vor Europas Grenzen organisierten, solange waren sie als Verbündete wohlgelitten. Was heute noch für das monarchische Despotenregime in Riad gilt, das seine Herrschaft nicht anders als die Soldateska des Islamischen Staates mit Enthauptungen durchsetzt, könnte, wenn es die hegemonialpolitische Lage erforderte, von einem Tag auf den anderen in die moralische Bezichtigung eines Westens umschlagen, dem die einstigen Vasallen dann als probates Feindbild dienen.

Diese Politik wurde von der Bundesrepublik stets wohlwollend unterstützt, was nicht zuletzt als alternativloser Preis für die Unterstützung Israels erachtet wurde. Auch wenn die "Geburtswehen eines neuen Nahen Ostens", wie die damalige US-Außenministerin Condoleezza Rice die flächendeckende Bombardierung des Libanon durch Israels Luftwaffe 2006 nannte, nicht mehr aufhören wollen, hält die Bundesregierung an der Notwendigkeit dieses und anderer Kriege fest. So legitimiert sie die wiederholte Drangsalierung der Palästinenser als Selbstverteidigung Israels und stellt das Ausmaß des von diesen zu entrichtenden Blutzolls in Rechnung künftiger Kriege, in denen die Bundeswehr maximalen Rechtsschutz genießen soll. Wird die Bevölkerung Gazas rücksichtslos niedergemacht, scheint man das in Berlin bestenfalls als Streßtest für die Belastbarkeit des eigenen Wertekorsetts zu verstehen.

Da die Waffengänge der NATO-Staaten in der Region von der Bundesrepublik offiziell oder zumindest informell gutgeheißen und materiell unterstützt werden, bleiben Rückstoßeffekte wie die Radikalisierung in Deutschland lebender Islamisten nicht aus. Auch die Absicht, den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zu stürzen, wird von der Bundesregierung geteilt, was die jungen Bundesbürger, die meinen, in Syrien die Meriten eines Jihadisten erlangen zu können, eigentlich nur als Rechtfertigung eigenen Tuns verstehen können. Was das Land in einen Abgrund aus Gewalt und Not gestürzt hat, erfolgte mit Gutheißung der gleichen NATO-Regierungen, die in den Kriegsheimkehrern nun eine terroristische Bedrohung erkennen. Da die Formierung des IS mit der Zerstörung Syriens und des Iraks unauflöslich verbunden ist, kann sich auch die deutsche Außenpolitik nicht von der Entstehung eines mittelalterlich anmutenden Monstrums freisprechen.

Dabei ist der IS wie der gesamte politische Islam, aus dem auch Al Qaida hervorgegangen ist, das Ergebnis einer postkolonialen Hegemonialpolitik, die die Gesellschaften des Nahen und Mittleren Ostens mit neoliberalen Methoden bewirtschaftet und auf die zweckdienliche Rolle westlicher Peripheriestaaten festlegt. Nachdem die Sachwalter des panarabischen Säkularismus vergeblich versucht hatten, das koloniale Erbe mit wechselnden Bündnissen zwischen Sowjetunion und USA in die eigenen Hände zu bekommen, erwuchsen auf den Trümmern der gescheiterten Modernisierung reaktionäre Doktrinen, denen die Barbarei quasi in das Vermächtnis ihrer hybriden Herkunft eingeschrieben ist.

Von daher ist es ganz und gar irreführend, mit Verallgemeinerungen über die angeblich besondere Nähe des Islam zu archaischer Grausamkeit antimuslimischen Rassismus zu schüren. Als Produkte einer Gesellschaft, die den Menschen als Marktsubjekt isoliert und enthistorisiert, während sie das biblische Gebot, sich die Erde untertan zu machen, im Gewand zivilisatorischer Befreiungsmissionen weiterverfolgt, tragen die in den Glaubenskrieg gezogenen Jihadisten die politische Kultur ihres Herkunftslandes, ob sie es wollen oder nicht, stets mit sich. Ihnen einen Zivilisationsbruch anzulasten, ohne die eigene Verstrickung in diese Entwicklung einzugestehen, hieße, Zeugnis vom antizivilisatorischen Charakter eines Imperialismus abzulegen, dem die Inkohärenz eigener Werturteile Instrument seiner Durchsetzung ist.

8. September 2014