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PROPAGANDA/1513: YouTube - Knüppelschlag von hinten ... (SB)



Ihr sagt doch immer, dass die jungen Leute mehr Politik machen sollen. Ja, dann kommt auch damit klar, dass die jungen Leute eure Politik scheiße finden.
Rezo in seinem YouTube-Video "Die Zerstörung der CDU" [1]

Der Ruf aus Kreisen etablierter Parteien, die Jugend sei entpolitisiert und müsse mittels geeigneter Angebote wieder an verantwortungsbewußtes staatsbürgerliches Engagement herangeführt werden, schien ungehört zu verhallen. Das hat viele Gründe, unter denen die Politik dieser Parteien nicht der geringste ist. Plötzlich schallt ein Echo zurück, das offensichtlich einen Nerv getroffen hat, zumal es aus völlig unverhoffter Richtung kommt, eine enorme Resonanz zeitigt und im unmittelbaren Vorfeld der Europawahl und des Urnengangs in Bremen einen direkten Übertrag haben könnte. Das 55minütige Video des YouTubers Rezo hat inzwischen 5 Millionen Aufrufe übertroffen, Tendenz steigend, und da er ein recht erfolgreicher Influencer ist, dürfte das zumindest in der jüngeren Wählerschaft einen gewissen Niederschlag finden. Er fordert nämlich seine ZuschauerInnen auf, wählen zu gehen und die Eltern und Großeltern zu bitten, entsprechende Parteien nicht zu wählen.

Welche Parteien sind gemeint? Rezo nimmt eigenen Angaben zufolge vor allem die Union aufs Korn, weil sie den größten Einfluß ausübe, meint aber die gesamte Regierungspolitik der letzten Jahre und damit gleichermaßen die SPD. Diese habe er in bezug auf die Unterstützung beziehungsweise Duldung augenscheinlicher Kriegsverbrechen bloßgestellt, da die Außenminister aus ihren Reihen kamen. Er sei auch kein Fan der FDP, die einfach Glück gehabt habe und nicht erwähnt wird, da das Video schon viel zu lang gewesen sei. [2] Auch solle niemand falsche Schlüsse ziehen und die AfD für eine legitime Option halten, da in ihr auch Nazis vertreten seien und sie ignorant den Klimawandel leugne. Die Frage, welche Partei denn nun die richtige sei, könne und wolle er nicht beantworten. Stattdessen ruft er dazu auf, sich die Standpunkte der Parteien selbst anzuschauen.

Rezos Kritik ist keineswegs neu, vielerorts wesentlich dezidierter entwickelt und insbesondere entschiedener vorangetrieben. Überraschend bleibt jedoch ihre Herkunft aus einem Milieu populären Mediengebrauchs, das bislang eher als Niederung geistlosen Konsums und entpolitisierten digitalen Monadentums galt. Gerade dies macht das Video zum erfolgreichsten politischen Kommentar dieser Woche, zumal nicht auszuschließen ist, daß seine Inhalte auf breitere Kreise übergreifen könnten, die damit bislang eher nichts am Hut hatten. Rezo betreibt zwei YouTube-Kanäle, auf denen er Musik macht oder andere an seinem inszenierten Alltag teilhaben läßt. Es werden Tests durchgeführt, Spiele gespielt oder einfach nur Witze gemacht. Was auf Uneingeweihte völlig bedeutungslos wirken mag, ist eine eigenständige, komplexe und hochgradig codierte Kultur von Influencer-Videos, die ihrer Zielgruppe klare Botschaften senden. Sie erschaffen einen künstlichen Raum, in dem bestimmte Themen zwanglos verhandelt werden, und sollen selbstgemacht wirken, auch wenn aufwendige Bearbeitung und unablässiges Marketing dahinterstehen, läßt sich damit doch unter Umständen sehr viel Geld verdienen. [3]

Und nun das: Plötzlich hat sich aus dieser Sphäre eine politische Botschaft zu Wort gemeldet. Warum? Er habe einfach den intrinsischen Drang verspürt, Bürgerinnen und Bürger aufzuklären, einen Diskurs anzukurbeln und dafür zu sorgen, daß Menschen unabhängig vom politischen Background oder Alter mitdiskutieren, so Rezo. Wie könne es sein, daß Wissenschaftler weltweit geschlossen vor dem Klimawandel warnen und der Kohleausstieg trotzdem in die ferne Zukunft verschoben wird? Warum erlaubt es die Bundesregierung den USA, ihre womöglich völkerrechtswidrigen Drohnenangriffe auch von Deutschland aus zu koordinieren? Warum gibt Deutschland im internationalen Vergleich so wenig für Bildung aus? Warum klafft die Schere zwischen Arm und Reich hierzulande immer weiter auseinander? All diese Thesen sind mit Quellen aus Medien und Wissenschaft belegt, die Literaturliste zu dem Video umfaßt knapp dreizehn Seiten. Mehrere hundert Stunden Recherche sollen in das Video geflossen sein, was schon für sich genommen ein außergewöhnlicher Vorgang in dieser Szene sein dürfte. Zur tiefen Kluft zwischen YouTubern und den Regierungsparteien hat auch die umstrittene Urheberrechtsreform beigetragen, die vom Europäischen Parlament gegen Proteste vor allem junger Menschen Ende März beschlossen wurde und das Ende der Internetkultur bedeuten könnte, der auch Rezo angehört.

Die Reaktion der Union auf den medialen Fehdehandschuh wechselte von herablassender Diskreditierung über eine im Ansatz gescheiterte Gegenkampagne per Video bis zum Anschleimen durch ein Gesprächsangebot. So wurde binnen weniger Tage die gesamte Bandbreite parteipolitischen Umgangs mit oppositionellen Auffassungen junger Menschen abgearbeitet, was nicht nur peinlich anmutete, sondern aufschlußreich offenlegte, welchen Erfahrungen und Empfindungen die eingangs zitierte Stellungnahme entspringt. Von der CDU abgesehen arbeiten sich nun ganze redaktionellen Phalanxen der bürgerlichen Presse an sogenannten Faktenchecks ab, um zu prüfen, ob Rezos Quellenlage womöglich zu dünn oder seine Auswahl selektiv sei. Das nähme die Züge unfreiwilliger Komik an, träte nicht unverhohlen die Absicht hervor, den YouTuber der Einseitigkeit zu bezichtigen und mittels ambivalenter Opportunität einzubinden, man könne das alles so oder so sehen.

Phase eins: Der CDU-Europapolitikers Axel Voss behauptete, Rezo sei ein von irgendwelchen Unternehmen gekaufter Bot, habe von den Themen keine Ahnung und stachle Kinder auf. Marian Bracht, Büroleiter von Ex-CDU-Generalsekretär Peter Tauber, warf Rezo "unsaubere Recherche" vor. Er suggeriere, daß seine Meinung die "einzig richtige sei". CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sah in den Quellen (YouTube-Videos, Wikipedia, aber auch Artikel aus großen deutschen und internationalen Tageszeitungen sowie wissenschaftliche Studien) "eine Mischung aus ganz vielen Pseudo-Fakten". Er "verbuche das Video unter einer ganz persönlichen Meinung eines Menschen", denn er selbst sei "nicht bereit, auf komplexe Fragen einfache Antworten zu geben". Auch sehe er in dem Video einen "Schrei nach Journalismus in Deutschland und nach dessen Stärkung", da ein Journalist früh lerne, daß er für eine Behauptung mindestens zwei Quellen benötige und mehrere Meinungen zu einem Thema einholen müsse. "Rezo tut all das nicht", behauptete Ziemiak. "Differenzierte Berichterstattung mag manchmal langweiliger wirken - um sich eine fundierte Meinung zu bilden, ist sie aber unerlässlich." Der Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer sprach von Fake News und Jens Münster von der Jungen Union bezeichnete Rezo als linksgrünen Aktivisten, der in einem gläsernen Loft zwischen Vollbart-Hipstern in Berlin Mitte oder Knusperinchen in der Kölner Südstadt seine demagogischen Botschaften produziert.

Phase zwei: Heftige Medienschelte, die CDU springe mit Rezo überheblich, bezichtigend und belehrend um, weil sie die Jugend sowieso nicht verstehe, zwang die Partei zu einer Kurskorrektur. Philipp Amthor, mit 26 Jahren gleichaltrig wie Rezo, aber jüngster Bundestagsabgeordneter seiner Partei, bereitete gewissermaßen als leibhaftige Antithese im Konrad-Adenauer-Haus eine Videoantwort vor, für die er sogar seine Krawatte abgelegt haben soll, um besser rüberzukommen. Stundenlang wurde gedreht und geschnitten, es habe ihm viel Freude gemacht und sei klasse geworden, so die Nachwuchshoffnung der Partei, die am Ende einen Rückzieher schlucken mußte. Vermutlich hatte jemand in der Parteiführung den Sturm wahrgenommen, der sich unterdessen in den sozialen Medien zusammenbraute, und angesichts des drohenden Debakels die Reißleine gezogen. Er stehe dazu, nicht in eine Videoschlacht zu verfallen, da man schließlich niemanden zerstören, sondern gute Argumente austauschen wolle, schluckte Amthor als braver Parteisoldat die Kröte des Verzichts auf sein Gegenvideo. [4]

Phase drei: Die CDU hat Kreide gefressen und will mit Rezo reden. "Lass uns über Deine Kritik an der CDU sprechen, aber bitte höre auch uns zu, wie wir die Dinge sehen", schreibt Paul Ziemiak bei Twitter. "Nicht als Show, sondern so, wie die meisten Menschen bei uns: aus Sorge über unsere Zukunft und über Wege, unseren Planeten zukunftsfest zu machen, über Ideen für bessere Lösungen. (...) Wir machen das in der CDU seit 70 Jahren: Wir zerstören einander nicht, sondern wir hören einander zu, wir reden miteinander, wir finden gemeinsame Lösungen. (...) Wir machen nicht alles richtig. Du hast Kritikpunkte benannt, die berechtigt sind. Wir können beim Klimaschutz noch mehr tun, mit besseren Technologien und guten Ideen." Allerdings sei bei der Suche nach Lösungen wichtig, "dass die Menschen in Deutschland unseren Weg akzeptieren und nicht aus Wut über Preise und Vorschriften zu 'Gelbwesten' werden". [5]

Wenn die Prügel nicht fruchten und die Propaganda zum Rohrkrepierer gerät, wird eben eingeseift. So geht Politik. Laß uns die Wut vergessen, vernünftig reden, Kompromisse finden und den in Deutschland eingeschlagen Weg akzeptieren. Unterdessen bricht der Klimawandel ungebremst über den Planeten herein, werden Menschen ausgebeutet, Kriege geführt, Ressourcen geplündert, Hunger, Elend und Tod produziert. Wem das auf die eine oder andere Weise schwant, so daß er oder sie die Schnauze voll hat und zu einem Rezo, einer Greta Thunberg, einer Gelbweste wird, muß zur Räson gebracht werden, ehe die Infektion epidemische Ausmaße annimmt.


Fußnoten:

[1] www.taz.de/Youtuber-kritisiert-Regierungsparteien/!5597282/

[2] www.heise.de/tp/features/CDU-Zerstoerer-Rezo-Es-kamen-Diskreditierung-Luegen-Trump-Wordings-und-keine-inhaltliche-4428522.html

[3] www.sueddeutsche.de/politik/youtube-rezo-cdu-video-kritik-1.4458293

[4] www.bild.de/politik/inland/politik-inland/cdu-kapituliertvor-zerstoerungs-video-von-youtuber-rezo-62096746.bild.html

[5] www.merkur.de/politik/rezo-zeigt-in-video-cdu-wut-amthor-produziert-antwort-video-und-darf-es-nicht-zeigen-zr-12310822.html

24. Mai 2019


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