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RAUB/0901: Kampf um Ressource Ackerboden verschärft sich (SB)



Laut den Vereinten Nationen beschleunigt sich der Erwerb großer Landwirtschaftsflächen durch Investitionen staatlicher wie privatwirtschaftlicher Akteure erheblich. Wie die britische Tageszeitung The Guardian (03.07.2009) berichtet, gehen Analysten bei der Food and Agricultural Organisation (FAO) davon aus, daß in den ersten sechs Monaten des Jahres etwa 20 Millionen Hektar Agrarland vor allem in Afrika in den Besitz von Unternehmen des Finanzmarkts, aber auch der Nahrungsmittel- und Autobranche, wie von Staatsfonds der G-20-Staaten übergegangen sind. Dies entspricht ungefähr der halben landwirtschaftlich nutzbaren Fläche der EU. Im ganzen Jahr 2008, als diese Entwicklung mit der drastischen Erhöhung der Lebensmittelpreise erstmals publik wurde, betrug die Gesamtfläche der in afrikanischen, lateinamerikanischen und einigen osteuropäischen Ländern an ausländische Investoren veräußerten Agrarflächen noch zehn Millionen Hektar. Laut des Washingtoner International Food Policy Research Institutes (IFPRI) geben die Industriestaaten jährlich 20 bis 30 Millarden Dollar für den Erwerb von Ackerflächen in den Ländern des Südens aus.

Für den UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf angemessene Ernährung, Olivier de Schutter, wollen sich die Investoren auf diese Weise der Risiken möglicher Preissteigerungen entledigen, um selbst Gewinne zu machen oder die Ernährungssicherheit ihrer Bevölkerungen zu gewährleisten. Damit deutet er auf vorsichtige Weise an, daß ein Kampf um die essentielle Ressource Ackerboden begonnen hat, der durch die reale Verknappung von Nahrungsmitteln initiiert und durch die Weltwirtschaftskrise beschleunigt wird. Daß dieser mit wirtschaftlichen Mitteln geführt wird, heißt nicht, daß damit nicht der Tod von Millionen Menschen riskiert wird, die sich, ihrer Substitutionsgrundlage beraubt, bestenfalls als Landarbeiter bei den neuen Herren verdingen können, wenn sie nicht schlimmstenfalls zu den Zehntausenden Hungeropfern zählen wollen, die bei einer offiziellen Gesamtzahl von über einer Milliarde unterernährter Menschen täglich sterben.

Die auch von UN-Funktionären vertretene Behauptung, neben den offensichtlichen Risiken für die Bevölkerungen der betroffenen Länder bestehe die Chance, von diesen Direktinvestitionen entwicklungspolitisch profitieren zu können, ist angesichts dessen, daß sie die Verfügungsgewalt über die eigene Ernährungsgrundlage verlieren, der blanke Hohn. Die beschönigende Perspektive einer makroökonomischen Doktrin, laut der der Wohlstand armer Länder durch den Export von Agrarprodukten gesteigert werde, wird durch das Eigeninteresse der Investoren dementiert, unter Einsatz nicht nur in Ländern des Südens häufig knapper Landwirtschaftsflächen, sondern vor allem des dort um so knapperen Wassers für einen Weltmarkt zu produzieren, auf dem arme Menschen vom knapper werdenden Angebot durch für sie unerschwingliche Preise ausgeschlossen werden.

Selbst wenn die agroindustrielle Bewirtschaftung in den Erzeugerstaaten zu einer Steigerung des Bruttoinlandsprodukts und der Steuereinnahmen führt, sorgt die dort herrschende Verteilungsordnung, die nicht umsonst die Bedingungen des kapitalistischen Welthandels reflektiert und eine entsprechende Sozialstruktur erzeugt hat, in der Regel dafür, daß diese Vorteile von einer kleinen Schicht Begünstigter aufgezehrt werden.

Es liegt auf der Hand, daß bei dieser profitorientierten Form der Bewirtschaftung kostengünstig erstandener Böden kaum daran gedacht wird, ressourcenschonende Anbaumethoden zu verwenden, mit denen die Ernährungsgrundlage künftiger Generationen in den betroffenen Ländern geschützt wird. Wenn die agroindustrielle Karawane weiterzieht, bleiben erschöpfte Wasserbestände und ausgelaugte Böden zurück, die die ohnehin voranschreitende Wüstenbildung begünstigen. Zu den Gepflogenheiten imperialistischer Landnahme gehört, den betroffenen Ländern unter dem Titel des Investitionsschutzes die eigenen Verwertungsbedingungen aufzuoktroyieren, die neben der Garantie dauerhafter Nutzungsrechte die Abwehr staatlicher Umweltschutzauflagen und Arbeitsbedingungen umfassen.

Die agroindustrielle Ausbeutung der Länder des Südens wird dementsprechend durch sicherheitspolitische Maßnahmen flankiert, die jeden Versuch der betroffenen Bevölkerungen, etwa durch die Kollektivierung des Bodens das eigene Überleben zu sichern, im Keim ersticken. Landraub in dieser Größenordnung, zumal unter Beteiligung der Regierungen wohlhabender Länder, kann ohne eine Weltordnung, die die eigenen Verwertungsinteressen global verallgemeinert, nicht funktionieren. Angesichts einer Krise des Kapitals, in der das Wertäquivalent des Geldes selbst substantiell ausgehöhlt ist, ist der rücksichtslose Griff nach den materiellen Grundlagen der Wertschöpfung so konsequent wie die dabei erhobene Behauptung, die davon betroffenen Menschen könnten ihre Lage auf irgendeine Weise verbessern, wenn sie diese Praktiken akzeptierten, irreführend. Es sollte also niemanden verwundern, wenn die Hungernden sich eines Tages zur Wehr setzen, um mit dem ganzen Recht der Besitzenden als Terroristen niedergemacht zu werden.

6. Juli 2009