Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

RAUB/0977: Hungerbekämpfung - Weltbankpräsident bemüht Mythos des freien Marktes (SB)



Würden die Menschen die Erde als Raumschiff begreifen, sähen sie leicht ein, daß die Nahrungsvorräte notgedrungen begrenzt sind, und würden sich womöglich nicht so viel über ihre prekäre Lage vormachen. Obgleich doch die Anzeichen für einen ausgewachsenen Mangel eine deutliche Sprache sprechen: Fast eine Milliarde Menschen hungert, eine weitere Milliarde kann sich nur unzureichend ernähren; Grundnahrungsmittel werden immer teurer und haben laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) im Dezember ihren bisherigen Höchstwert vom Juni 2008 überschritten; die globalen Getreidereserven sind auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Statistik geschrumpft und reichen nicht einmal für zwei Monate, um die Weltbevölkerung zu versorgen; die Zahl der Menschen steigt und steht kurz davor, die 7-Milliarden-Marke zu überschreiten; klimatische Stressfaktoren wie Dürre in Rußland, Trockenheit in Argentinien, winterliche Eiseskälte auf der Nordhemisphäre und sintflutartige Überschwemmungen im australischen Bundesstaat Queensland innerhalb der letzten sechs Monate haben Mißernten in wichtigen landwirtschaftlichen Anbaugebieten ausgelöst bzw. werden noch zu schweren Ernteverlusten führen. Sollten sich die Klimaveränderungen weiter verstärken, wie es die Wissenschaftler voraussagen, muß mit noch größeren Ernteausfällen gerechnet werden.

Summa summarum bleibt festzustellen, daß auf dem Raumschiff Erde unter den gegenwärtigen Produktionsbedingungen nicht genügend Nahrung für alle Menschen vorhanden ist. Diese Nachricht den Passagieren ungeschminkt mitzuteilen, hätte unabsehbare Folgen und könnte eine Meuterei auslösen.

Damit das nicht passiert, versprechen politische Entscheidungsträger und Funktionseliten seit Jahrzehnten, Experten kümmerten sich um das Hungerproblem. Im Jahr 2000 wurden die sogenannten Millenniumsziele vereinbart, die unter anderem eine Halbierung der Zahl der Hungernden bis 2015 vorsehen. Logischerweise bedeutet das, daß die andere Hälfte a priori dem Hunger überantwortet wird. Damit wären die Betroffenen, so sie davon erführen, daß sie selektiert wurden und keinerlei Bemühungen um ihr Überleben seitens der Staatengemeinschaft erwarten dürfen, ganz und gar nicht einverstanden.

Also werden fleißig Beruhigungspillen verteilt. So wiederholte diese Woche Weltbankpräsident Robert Zoellick in einem Gastbeitrag für die "Financial Times" (5.1.2011) das Mantra von den glückseligmachenden freien Märkten im Kampf gegen den Hunger ("Free markets can still feed the world"). Dabei ignorierte er, daß zusätzlich zum generellen Nahrungsmangel ausgerechnet den Marktkräften eine erhebliche Mitverantwortung für das Entstehen von Nahrungsmangel zukommt. Das stets nach lukrativen Anlagemöglichkeiten global vagabundierende Finanzkapital hat sich vor und während der Finanz- und Wirtschaftskrise auf Future Bonds und andere mit der Nahrungsproduktion befaßte Optionen gestürzt. Die Lebensmittelpreise stiegen global, 100 bis 200 Millionen Menschen wurden zusätzlich dem Hunger überantwortet. Auch daß die USA und EU die Vernichtung von Nahrung in Verbrennungsmotoren subventionieren, trägt zum Hunger bei.

Darüber hinaus erwerben oder pachten staatliche und private Investoren unter Hochdruck landwirtschaftliche Flächen in Afrika, um sich die Produktionsoptionen für Nahrungs- und Energiepflanzen dauerhaft zu sichern - sehr zum Leidwesen vieler Kleinbauern, die noch nie einen Eigentumsnachweis für ihr Land erbringen mußten und nun von ihrer kleinen Scholle vertrieben werden. Anschließend sollen sich einige wenige von ihnen auch noch glücklich darüber schätzen, daß sie als Plantagenarbeiter des Investors schuften dürfen.

Zoellicks "freier Markt" ist ein Mythos, der allein dazu dient, die Herrschaftsinteressen des mangelgenerierenden Akkumulationsregimes zu verschleiern. Mit anderen Worten, es wird davon abgelenkt, daß sich der Reichtum von wenigen als Not von vielen ausdrückt. Für die dauerhafte Befestigung der Spanne zwischen arm und reich wurde ein weit entwickelter institutioneller und militärischer Gewaltapparat in Stellung gebracht. Sachwalter dieses Systems wie der Weltbankchef behaupten dann wider besseren Wissens, daß man den Kampf gegen den Hunger getrost denen überlassen kann, die ihren Reichtum auf der Not anderer gegründet haben, also ausgerechnet den Profiteuren der vermeintlich freien Märkte. Auf keinen Fall aber sollen die als bloße Verfügungsmasse in der Bilanz der Herrschenden auftauchenden Hungerleider ihre Fesseln zerreißen, das Zepter zerbrechen und sich selber um ihr höchsteigenes Anliegen kümmern. Dabei liegt es auf der Hand: Eine Hungerbekämpfung wird um so mehr Wirkung entfalten, je stärker die systemischen Voraussetzungen der Hungerproduktion in Angriff genommen werden.

6. Januar 2011