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RAUB/0992: Griechenlandkrise - Wertverlust der Arbeit im Spannungsfeld imperialer Konkurrenz (SB)



Weltweit tobt ein unerklärter Krieg, der nicht an Nationalgrenzen gebunden ist und von oben nach unten mit dem gesamten Arsenal an Gewaltmitteln geführt wird, dessen sich die von ihm profitierenden Interessensgruppen bedienen können. Nur eine Variante von vielen und nicht einmal die bedeutendste läuft auf die unmittelbare physische Elimination der Betroffenen im Rahmen eines klassischen kriegerischen Aufeinanderprallens von Armeen hinaus. Viel effektiver, im Verhältnis zu solchen Konflikten aber weitaus weniger beachtet ist die gezielte Verarmung von Menschen, die unter anderem das Vorenthalten von Nahrung einschließt. Dieser Krieg wirft derzeit rund eine Milliarde Menschen, die nicht genügend zu essen haben, in unmittelbare Existenznot. Viele von ihnen würden alles tun, um ihr entfliehen zu können.

Die Griechen bekommen zur Zeit auf eine für europäische Verhältnisse besonders brutale Weise die Anwendung eines Gewaltmittels zu spüren, dem im Prinzip auch die Bevölkerungen anderer Länder ausgesetzt sind: Die von ihnen geleistete Arbeit wird herabgewürdigt. Das drückt sich über den Umweg der Herabstufung der griechischen Staatsanleihen durch die Ratingagentur Standard & Poor's um drei Schritte von B auf CCC aus. Seit Montag gelten griechische Anleihen vollends als Ramsch - das könnte der Todesstoß gegen den Euro werden.

Die heftigen Regulationskämpfe, die sich zur Zeit zwischen den USA, der EZB, dem IWF, der EU-Kommission, den Regierungen Griechenlands und anderer europäischer Staaten, Ratingagenturen sowie privaten Gläubigern abspielen, gehen auf die systemimmanente Konkurrenz zwischen den USA als Führungsmacht des Dollarraums und den Ländern der Eurozone zurück. Der Euro, der von den Europäern mit dem Ziel eingeführt wurde, bis zum Jahr 2010 dem Dollar den Rang abzulaufen, beziehungsweise alle Länder, die sich an die neue Währung gebunden haben, sind gescheitert. Entkleidet man den Konflikt Dollar versus Euro, vor dessen Hintergrund die Bonität Griechenlands trotz der Milliardenspritzen und Zusicherungen europäischer Länder, die Hellenen weiterhin unterstützen zu wollen, vom komplexen Geflecht finanzpolitischer und -wirtschaftlicher Maßnahmen, so bleibt am Ende übrig, daß bei der Regulierung der Krise die administrative Verfügungsgewalt zunimmt und die Arbeit der Griechen als weniger wert erachtet wird - welches Establishment auch immer sich am Ende durchsetzen wird.

Dabei ist zu beachten, daß der Begriff "Arbeit" unhinterfragt als ausschließlich fremdbestimmt verstanden wird, was bedeutet, daß die einzelne Arbeit, bzw. diejenigen, die sie leisten, im Prinzip bereits einem Rating unterworfen wurden, nämlich dem ihrer Verwertbarkeit. Wohingegen eine Tätigkeit, die ausschließlich der Subsistenz diente und ein Leben ermöglichte, das keinerlei Berührungspunkte zum ansonsten vorherrschenden Verwertungssystem hätte und nicht einmal die Perspektive einer späteren Unterwerfung zuließe, theoretisch von vornherein außerhalb der Bewertung bliebe.

Für die Griechen, über deren Volkseigentum gegenwärtig die Wegelagerer in einem Ausmaß herfallen wie es bis dahin nur die in die Schuldenfalle getriebenen Entwicklungsländer erlitten haben, wäre es vielleicht gar keine so schlechte Vorstellung, sich vom Diktat der Ratingagenturen und der sie an der Leine führenden Staaten, die dem kapitalistischen Akkumulationsmodell samt seiner Zins- und Verschuldungspolitik anhängen, zu befreien. Ein solcher Versuch würde allerdings massiv hintertrieben und notfalls mit militärischen Mitteln vereitelt - sieht am einmal davon ab, daß es "die Griechen" als in sich geschlossene Interessensgemeinschaft gar nicht gibt. Die meisten, aber eben nicht alle Profiteure der aktuellen Bemühungen, Griechenland zu unterwerfen, ziehen aus dem Ausland die Fäden.

In den Medien wird der Eindruck verbreitet, Griechenland befände sich in einer Krise. Der Begriff verschleiert mehr, als daß er zur Benennung der Nutznießer der gegenwärtigen Lage, ihrer Interessen und der von ihnen eingesetzten Werkzeuge der Sicherung ihrer Vorteilsposition beitrüge. Die Griechen erwischt es lediglich als erste, die Arbeiterschaften anderer Länder werden folgen ... so wie die jahrelange "Lohnzurückhaltung" in Deutschland, die auf einen beträchtlichen Reallohnverlust hinauslief, der Griechenlandkrise vorausging und sie mit ausgelöst hat. Die eigentlichen Produzenten werden gegeneinander ausgespielt, und die lassen es mit sich machen.

Mal wird der Knebel der Ausbeutung etwas gelockert, mal schärfer angezogen. Zur Zeit des Kalten Kriegs, als noch dem Kapitalismus das realsozialistische Staatsmodell gegenüberstand, wurde im Westen die soziale Marktwirtschaft eingeführt, um die sozialistische Alternative unattraktiv erscheinen zu lassen. Zwanzig Jahre nach der erfolgreichen Zerrüttung und Zerschlagung des Ostblocks existiert real keine Systemalternative mehr, so daß die Kräfte der Herrschaftssicherung, die zuvor das treibende Moment der Gewährung sozialer Errungenschaften waren, nunmehr die Maske fallenlassen können. Dem widerspricht nicht, daß die USA und Europa untereinander Positionskämpfe austragen, um auf der nächst höheren Ebene der Ordnung, die von den herrschenden Kräften als Antwort auf die Krise etabliert werden wird, gegenüber dem Konkurrenten im Vorteil zu sein.

Indem die Bonität griechischer Staatsanleihen herabgesetzt wird, sollen die Griechen dazu gebracht werden, in Zukunft mehr zu arbeiten und weniger Lohn zu erhalten. Das wird das entscheidende Ergebnis sein, das am Ende aus der Krisenbewältigung herauskommt. Setzt sich dieser herrschaftsförmige Mechanismus der staatlichen Subordination durch, wonach es trotz wiederholter Generalsstreiks und laufender Proteste in Griechenland aussieht, kommen weitere Länder an die Reihe. Damit sind nicht nur Irland, Portugal und Spanien gemeint, sondern auch die wirtschaftlich vermeintlich stabilen Länder. Es handelt sich bei der Griechenlandkrise mitnichten ausschließlich um einen Konflikt der Nationen, auch wenn sich manche Entwicklungen zunächst an nationalen Grenzziehungen festmachen lassen - sind es doch beispielsweise die griechischen und nicht die deutschen Staatsanleihen, die herabgestuft werden. Der Hauptstreich wird jedoch gegen die von Wohl und Wehe einer höherinstanzlichen Bewertung abhängigen Lohnarbeiter geführt.

Bis zu einer gewissen Schwelle gilt: Je mehr die Menschen tun müssen, um ihr Überleben mittels fremdverfügter Arbeit zu sichern, desto stabiler die Herrschaft. Dieses auf Unterwerfung und Beteiligung gegründete System ist allerdings Gefahren ausgesetzt und wird ständig qualifiziert. So könnte es auch in Europa zu einer überraschenden Revolution wie in der arabischen Welt kommen, weswegen die herrschenden Kräfte einen Gewaltapparat aus Polizei und Militär installiert haben und aufrechterhalten, der im Ernstfall die lohnarbeitende Bevölkerung in Schach halten soll.

Die deutsche, niederländische, dänische, französische und auch die US-amerikanische Arbeiterschaft, sie alle sind keinen anderen Ausbeutungsformen ausgeliefert als die griechische. Es wäre daher nur folgerichtig, würden sich diejenigen, über die hier verfügt und denen immer mehr Leistung abgepreßt wird, die Gemeinsamkeit ihrer Interessen erkennen und sich zusammenschließen. Die Idee einer europaweiten, ja, womöglich sogar transatlantischen Verweigerung gegenüber jeglichem Herrschaftsanspruch bricht allerdings frühzeitig an der Spaltbarkeit der Massen, die wiederum aus der Beteiligung jedes einzelnen und seines Strebens nach Vorteilen innerhalb der vorgegebenen Verwertungsordnung herzuleiten ist.

14. Juni 2011