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RAUB/1053: Göttingen, Regensburg, München, Leipzig - Transplantation ist nicht für alle da (SB)




Daß sich in einer Klassengesellschaft die Lebenserwartung am sozialen Status bemißt, nimmt nicht wunder. Ausgerechnet bei der Gesundheitsversorgung Gleichheit zu postulieren, ginge an der gesellschaftlichen Realität so weit vorbei wie die Bezichtigung, jeder habe sein Schicksal selbst zu verantworten. Daher ist kostspielige Hightech-Medizin wie die Transplantation nicht für alle da, auch wenn die sie unablässig flankierende Propaganda das Gegenteil behauptet. Beim internationalen Organhandel und Transplantationstourismus liegen die Verhältnisse klar auf der Hand: Zahlungskräftige Patienten reisen zu bestimmten Kliniken, wo sie das benötigte Organ erhalten. Woher die Organe im einzelnen stammen, liegt oftmals im Dunkeln, doch ist hinlänglich bekannt, daß man sie in aller Regel armen Leuten zum Spottpreis abkauft oder schlichtweg raubt. Nicht selten geht also die Lebensverlängerung des Empfängers mit der gewaltsam herbeigeführten Lebensverkürzung oder dem Tod des sogenannten Spenders einher.

Prinzipiell gilt das für die Transplantation als solche, da nur lebende Organe übertragen werden können. Um lebende Organe angeblich toten Spendern zu entnehmen, bedarf es medizinischer, ethischer und juristischer Konstruktionen wie jener des Hirntods oder der diskutierten Entnahme nach erfolgtem Herztod. Wenngleich die Bereitschaft, sich kritisch mit diesem Thema auseinanderzusetzen, nach wie vor gering ist, wächst doch eine eher intuitive Skepsis vieler Menschen, die in geringer Spendebereitschaft ihren Ausdruck findet. Dies gilt um so mehr, wenn sich die Manipulationen in deutschen Transplantationskliniken häufen und immer deutlicher wird, daß die von den Befürwortern gebetsmühlenartig rezitierte Gerechtigkeit und Unbestechlichkeit des Systems Eurotransplant offenbar auf tönernen Füßen steht.

Erst Göttingen, dann Regensburg, dann München, jetzt Leipzig: Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, daß die sogenannten Manipulationsskandale nicht Ausnahmen darstellen, sondern System haben. Wenn die ermittelnde Staatsanwaltschaft bislang keinen Zusammenhang zwischen den Vorfällen in verschiedenen Kliniken sieht, so gilt das nur im rechtlichen Sinn hinsichtlich der jeweiligen Täterschaft. Gerade weil die einzelnen Vorfälle keines personellen Bindeglieds bedürfen, zeugen sie von einer grundlegenden Praxis der Vorteilsnahme sowohl der profitierenden Mediziner als auch bestimmter, wie man vermuten darf gutsituierter Patienten.

Am Uniklinikum Göttingen waren in mehr als 20 Fällen Daten von Patienten manipuliert worden, am Regensburger Uniklinikum geht es um mehr als 40 Fälle. Die Untersuchungen am Münchner Klinikum rechts der Isar sind noch nicht abgeschlossen, doch sind dort mindestens vier Manipulationsversuche bekannt geworden. Auch am Universitätsklinikum Leipzig scheint es zahlreiche Manipulationen gegeben zu haben. Offenbar wurden bei insgesamt 38 der 182 Patienten, denen in den Jahren 2010 bis 2012 eine Spenderleber transplantiert wurde, Daten manipuliert. [1]

Die Vorgehensweise an den genannten Kliniken weist bemerkenswerte Übereinstimmungen auf. Auch in Leipzig wurden Patienten, die auf eine Lebertransplantation warteten, fälschlich als Dialysepatienten ausgegeben, um sie auf der Warteliste zur Organtransplantation besser zu positionieren. Wird ein Patient mit einer fortgeschrittenen Lebererkrankung wegen Beeinträchtigung der Nierenfunktion einer Dialyse unterzogen, gilt dies als zusätzlicher Hinweis auf die Dringlichkeit einer Transplantation.

Ans Licht gebracht wurden die Manipulationen durch Untersuchungen der Prüfungs- und der Überwachungskommission der Bundesärztekammer, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und des GKV-Spitzenverbandes. Die Unregelmäßigkeiten müßten nun bei ausführlichen Sonderprüfungen noch genauer untersucht werden, hieß es in einer gemeinsamen Presseerklärung der beiden Kommissionen, die seit September 2012 die Transplantationszentren in Deutschland auf Regelverstöße und Auffälligkeiten untersuchen.

Nach derzeitigem Kenntnisstand wurden in Leipzig fast alle Manipulationen in den Jahren 2010 und 2011 vorgenommen. Hingegen gab es im abgelaufenen Jahr nur noch einen einzigen derartigen Fall. Das dürfte darauf zurückzuführen sein, daß Eurotransplant in Reaktion auf den Organspendeskandal von Göttingen, dessen Aufdeckung den Stein ins Rollen gebracht hatte, die Verfahrensweise verändert hat: Inzwischen müssen Kliniken die Dialyseprotokolle beilegen, wenn sie Patienten auf die Warteliste bei Eurotransplant setzen. Die Vorfälle an anderen Kliniken hatten den Vorstand des Klinikums Leipzig veranlaßt, das eigene Haus zu überprüfen. Auch habe die Innenrevision darauf hingewiesen, daß das System in Leipzig anfällig sei. Deshalb habe man das Transplantationsbüro direkt dem Vorstand unterstellt und ein Mehraugenprinzip installiert, wie es die neuen Richtlinien der Bundesärztekammer verlangen. Demnach können nun nicht mehr einzelne Ärzte allein Entscheidungen fällen, wen sie bei Eurotransplant auf die Warteliste setzen.

Die beiden Oberärzte, die das Transplantationsbüro des Klinikums geleitet hatten, wurden beurlaubt, wie man auch den Direktor der Klinik für Transplantationschirurgie von seinen Aufgaben entbunden hat. Das Motiv für die Unregelmäßigkeiten kann sich die Leitung des Klinikums eigenen Angaben zufolge nicht erklären, doch sagte Wolfgang Fleig, der medizinische Vorstand des Universitätsklinikum Leipzig: "Ich kann nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass kein Geld geflossen ist." Derzeit prüft die Staatsanwaltschaft einen Straftatverdacht.

Im fieberhaften Versuch zu retten, was mit jedem weiteren aufgedeckten Manipulationsszenario zunehmend schwieriger zu retten ist, kündigt die Allianz der Transplantationsbefürworter immer neue Mechanismen an, die das System angeblich sicher machen. So erklärte eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums in Berlin, die seit August neu eingeführten Kontrollinstrumente zeigten Wirkung. Es gebe mehr Transparenz bei der Vergabe von Organen, wobei das Erfordernis einer Gesetzesänderung zu prüfen sei. Unterdessen kündigt die Bundesärztekammer die Einrichtung einer Sonderermittlungsgruppe an. Nach den Worten des Vorsitzenden der Ständigen Kommission "Organtransplantation", Hans Lilie, soll die Kommission innerhalb von drei Monaten einen Bericht vorlegen. Erst dann werde genau feststehen, in wie vielen Fällen Ärzte am Universitätsklinikum Leipzig Manipulationen an Akten von Patienten vorgenommen hätten.

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz stößt ins selbe Horn einer Verbesserung des Transplantationssystems. Sie fordert dessen staatliche Kontrolle wie auch die Schaffung einer bundesweiten Schwerpunktstaatsanwaltschaft. Zudem reiche die Hälfte der bestehenden 49 Transplantationszentren in Deutschland aus. Notwendig seien konkrete Schritte, damit die Menschen dem Organspendesystem vertrauen könnten. [2]

Nun müssen Köpfe rollen, fordert man allseits schonungslose Aufklärung, droht man harte Strafen an. Selbst die Deutsche Stiftung Organspende (DSO) ist nicht länger sakrosankt auf ihrem Thron selbstherrlicher Eigenregie. Man ist sich einig darüber, daß Machenschaften wie jene in Göttingen, Regensburg, München, Leipzig und wer weiß noch wo das Thema Organspende in Verruf brächten, obgleich das deutsche System doch geradezu perfekt sei: "Die Organe, die gespendet werden, werden nach nachvollziehbaren und transparenten Kriterien auf die Wartenden verteilt, Abläufe und Operationen verlaufen hochprofessionell", wie es der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn im Gefolge des Göttinger Skandals ausdrückte. Ob er das heute genauso behaupten würde, ist nicht bekannt.

Fußnoten:

[1] http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/manipulierte-daten-am-transplantationszentrum-neuer-organspende-skandal-in-leipzig-1.1562857

[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/transplantation-organspende-skandal-auch-in-leipzig-12011952.html

2. Januar 2013