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RAUB/1082: Zurück in die Zukunft der Ausbeutung (SB)



"Die Arbeit der Zukunft gestalten wir!" Das Motto des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zum 1. Mai dieses Jahres klingt wie das Pfeifen im Wald. Die Zukunft der Arbeit hat längst begonnen, und sie wird maßgeblich von einer Innovationoffensive bestimmt, die die weitere Digitalisierung der Arbeitswelt zum Zwecke ihrer optimierten Verwertung zum Ziel hat. "Industrie 4.0" (Institut zur Zukunft der Arbeit), "Arbeiten 4.0" (Bundesministerium für Arbeit und Soziales), "Digitales Wirtschaftswunder" (Microsoft Deutschland), "Grand Coalition for Digital Jobs" (EU-Kommission), "Arbeitswelt der Zukunft" (SAP) - einflußreiche Akteure in Staat und Kapital treiben die mikroelektronische Produktivkraftentwicklung mit großer Entschlossenheit voran, und das vor allem mit Blick auf die harten Verteilungskämpfe im kapitalistischen Weltsystem.

Im Kern geht es darum, den Preis menschlicher Arbeitskraft weiter zu senken, sei es durch den Ausbau des Niedriglohnsektors und informeller Beschäftigungsverhältnisse, sei es durch die Intensivierung der Arbeit durch ihre hochauflösende Bewertung und maximale Flexibilisierung. Da die Effizienzmaßstäbe industrieller Massenfertigung in der sogenannten Fabrik der Welt, der Volksrepublik China, gesetzt werden, verlegen sich die Unternehmen und Investoren der westlichen Metropolengesellschaften auf das neofeudale Geschäftsmodell der Wertschöpfung durch Eigentumstitel, Rechte und Lizenzen, am Geld- und Aktienmarkt sowie durch monopolkapitalistische Konzentrationsprozesse. Zum andern wird im Rahmen der Wissensgesellschaft oder des Knowledge Capitalism versucht, den Zugriff auf das sogenannte Humankapital im Sinne seiner wirksameren Zurichtung auf die Erfordernisse der Arbeitsgesellschaft zu vertiefen.

Zwar ist der auf dem Rücken der Lohnabhängigenklasse ausgetragene Konflikt zwischen Produktivkraftentwicklung und Produktionsverhältnissen seit jeher zentrales Merkmal kapitalistischen Fortschritts, doch haben sich dessen Bedingungen auch für die Investoren stetig verschärft. Um die Geldmengen, die inzwischen ein Vielfaches des ihnen gegenüberstehenden Angebots an verfügbaren Waren und Dienstleistungen ausmachen, trotz stagnierender Wachstumsraten in Wert zu halten, muß der Faktor Arbeit immer kostengünstiger und flexibler werden. Nur so läßt sich die schmaler werdende Abschöpfung seines Mehrwertes, also der dem Käufer der Arbeitskraft kostenlos überlassenen Mehrarbeit, überhaupt noch im betriebswirtschaftlichen Sinne rentabel gestalten.

Und so verspricht die Zukunft der Arbeit für das Gros der Lohnabhängigen vor allem, in die Vergangenheit vermeintlich überwundener Formen der Ausbeutung zu führen. Die umfassende Auslagerung regulärer, sozialpflichtiger Beschäftigungsverhältnisse in informelle Job- und Projektstrukturen bringt eine Art digitalisierte Tagelöhnerei hervor, die die Menschen, die ihr Erwerbsleben als Clickworker oder beim Crowdsourcing [1] bestreiten, unter enormen Konkurrenzdruck setzt und ihnen erhebliche Vorleistungen abverlangt, die zuvor integraler Bestandteil ihres Arbeitsverhältnisses waren. Wenn Menschen, die in Gesellschaften mit hohen Produktivitätsunterschieden leben, weltweit um die Verrichtung elektronischer Dienstleistungen konkurrieren, dann folgt daraus ein Race to the Bottom, von dem nur die Käufer der Arbeitskraft profitieren [2].

Mit der minutiösen Kontrolle individueller Arbeitsabläufe, die von der Bemessung absolvierter Wegstrecken bis zur Verweildauer im Warenlager oder Krankenzimmer reicht, mit der Bemessung der Tastenanschläge am Computer, der Etablierung von Workflow-Prozessen in Verwaltungen oder der Überwachung der Kundenabfertigung im Call-Center, also der maximalen Standardisierung und Formalisierung der Arbeit, wird letzten Endes die Austauschbarkeit des Menschen durch Maschinen vorbereitet. Die ständige Erreichbarkeit durch Mobilgeräte legt ihn an die lange Leine permanenter Verfügbarkeit und stellt sein Leben unter den Vorbehalt, zu jeder Zeit von fremden Interessen vereinnahmt zu werden. Lebenslanges Lernen dient nicht etwa der Entwicklung eigenständiger Erkenntnisfähigkeit und kritischen Denkens, sondern der schnellen Adaption des apparativen Aufwands, der die algorithmische Wirklichkeit produziert.

Das sogenannte Internet der Dinge wird zahlreiche Versorgungs- und Distributionsprozesse automatisieren, und die Rationalisierung von Verwaltungsarbeiten läuft nicht minder auf die Entbehrlichkeit menschlicher Arbeit hinaus. Das wäre eine gute Nachricht, denn wer wollte schon stundenlang sinnentleerten Routinetätigkeiten nachgehen. Solange der Mensch jedoch auf Lohnarbeit angewiesen ist, um zu überleben, verschärft die Robotisierung der Arbeit das Problem, das Leben allein über den Verkauf der Arbeitskraft fristen zu können. Die "kreative Zerstörung", von der in diesem Zusammenhang gesprochen wird [3], meint denn auch in erster Linie den Widerstand, den der einzelne der Erschließung letzter noch vorenthaltener Reserven an Kreativität und Leistungsfähigkeit entgegenstellt.

Im Endeffekt kannibalisiert die Arbeitsgesellschaft unter der ständigen Androhung, ihr könne das Lebenselixier des Kredits entzogen werden, weil Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr ausreichen, die Substanz allen Lebens, das sich gegenüber dem singulären Maßstab der Rentabilität nicht rechnet. Die Verfügbarkeit der Arbeit durch eine Kapitalmacht, die sich vor allem über Eigentumstitel und Rechtsansprüche reproduziert und daher immer weniger auf die individuelle Arbeitsleistung angewiesen ist, tritt denn auch oberhalb des Zwangsregimes Hartz IV als Ausdruck eines gesellschaftlichen Gewaltverhältnisses hervor. Gewerkschaften, die dies nicht beim Namen nennen wollen, weil sie als Teilhaber an der Zurichtung der Menschen auf die Anforderungen verschärfter Verteilungskämpfe dann nicht mehr in Frage kämen, können denn auch keinen widerständigen oder subversiven Begriff von der Zukunft der Arbeit entwickeln. Als sozialreformerische Steigbügelhalter wissenschaftlich-technischer Innovation und Agenturen des europäischen Standortwettbewerbs fällt es einigen von ihnen sogar schwer, so offenkundige Werkzeuge qualifizierter Ausbeutung wie das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) wirksam zu bekämpfen.


Fußnoten:

[1] REZENSION/593: Markus Lause und Peter Wippermann - Leben im Schwarm (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar593.html

[2] INTERVIEW/142: Kapitalismus final - Betrieb, Kontrolle und IT-Systeme (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0142.html

[3] Industrie 4.0: Die neuen Formen der Ausbeutung
https://www.wsws.org/de/articles/2015/01/23/indu-j23.html

Zur Kritik an der Digitalisierung der Gesellschaft im Schattenblick siehe auch:

BERICHT/035: Suchmaschine - Neue Pfründe ... (1) (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/bildkult/report/bkrb0035.html

BERICHT/036: Suchmaschine - Neue Pfründe ... (2) (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/bildkult/report/bkrb0036.html

30. April 2015


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