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RAUB/1096: Kein Flugzeug entkommt seiner Brandspur (SB)



Höchstens sieben Prozent der Weltbevölkerung nehmen ein Flugzeug zur Fortbewegung in Anspruch, und das soll sich nach Möglichkeit ändern. Wachstumsraten von bis zu 700 Prozent im internationalen Luftverkehr sind im Gespräch. Auch eingedenk dessen, daß einzelne Personen vielleicht noch häufiger fliegen als ohnehin schon und die realen Wachstumsraten niedriger sein werden, beschleunigt sich der Zuwachs an Flugzeugen und ihrer Infrastrukturen stärker als die Zahl der Menschen. Von einer Demokratisierung dieser Form von Mobilität kann jedoch nicht die Rede sein. Einen egalitären Zugang zum Fliegen wird es ebensowenig für alle Menschen geben, wie andere klassengesellschaftliche Barrieren aufgehoben werden. Die Benutzung eines Passagierflugzeuges oder gar Privatjets wird ein Privileg globaler Eliten und der Touristen aus den reichen Metropolengesellschaften bleiben.

Um diese Fortbewegungsart vor dem Hintergrund ihrer besonders großen Klimaschädlichkeit, die pro Personenkilometer bis an die 20mal so hoch wie der Eisenbahnverkehr ist, zu rechtfertigen, planen die in Montréal zum 39. Treffen der UN-Luftfahrtkommission ICAO zusammengekommenen Staaten- und Verbandsvertreter die Etablierung einer "marktbasierten Maßnahme" (MBM). Der Markt soll richten, was sich mit Regulationen und Beschränkungen angeblich nicht bewerkstelligen läßt, will man doch nicht in die Freiheit derjenigen hineinpfuschen, die es sich etwas kosten lassen, auch in Zukunft in Stunden von Kontinent zu Kontinent zu reisen.

Welcher Markt kann das Wunder vollbringen, angesichts einer fünfprozentigen Wachstumsrate im zivilen Luftverkehr ein erklärtermaßen "klimaneutrales Wachstum" zu verwirklichen? Alle Effizienzsteigerungen im Treibstoffverbrauch, Triebwerkbau und Flugzeuggewicht reichen nicht aus, der zunehmenden Emission klimawirksamer Gase in dazu besonders empfindlichen Schichten der Atmosphäre so sehr entgegenzuwirken, daß der Schaden nicht weiter anwächst, geschweige denn sich verringert, was eigentlich erforderlich wäre. Es ist ein Markt, der die Abstraktionsfähigkeit in Gebrauchswert- oder Nutzenkategorien denkender Menschen auf eine harte Probe stellt, besteht doch der primär wertbildende Faktor der dort gehandelten Ware in dem Schaden, den die Luftfahrtindustrie am Klima anrichtet.

Um ihr Produkt - den Transport von Menschen und Gütern - verkaufen zu können, soll ein Teil der dafür aufgewendeten Kosten in den Kauf sogenannter Verschmutzungsrechte wie CO2-Zertifikate oder Biodiversitäts-Offsets fließen. Um die Freisetzung einer Tonne Kohlendioxid oder äquivalent klimawirksamer Gase zu kompensieren, wird an einer Börse ein Zertifikat erworben, laut dem an anderer Stelle eine entsprechende Menge an Emissionen eingespart wird. Wie diese Zertifikate zustandekommen und wie zuverlässig ihre Berechnungsgrundlagen sind, ist alles andere als unumstritten, und das ist nur ein Teil des Problems. Neben der Kritik indigener Bevölkerungen, die im Rahmen sogenannter REDD (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation)-Projekte [1] ihren Lebensraum, den Wald, nicht mehr auf traditionelle Weise bewirtschaften dürfen oder gar aus ihm vertrieben werden, gibt es zahlreiche Belege dafür, daß die in Wert gesetzte Verhinderung von Waldzerstörung so fiktiv ist wie eine Zahlungsverpflichtung, die als Guthaben in weitere Geschäfte fließt, obwohl niemand weiß, ob sie jemals beglichen werden wird.

Bei der Inwertsetzung nichtvollzogener Naturzerstörung wie realer Klimaschutzmaßnahmen in Form von Wertpapieren, die, an "grünen" Börsen gehandelt, in ein geldförmiges Verhältnis zur Zerstörung der atembaren und klimaregulierenden Atmosphäre gebracht werden, erhält die destruktive Verbrennung fossiler Treibstoffe ein Preisschild, das sie handelbar und wertvoll macht. Das ist auch die dunkle Seite jeder Dekarbonisierung [2], die auf Marktmechanismen anstatt an den Bedürfnissen von Mensch und Natur ausgerichtete Reduktionsziele setzt.

Bei aller Komplexität des Themas Emissionshandel und Offsetting bleibt unter dem Strich die Gewißheit, daß sich an der Zunahme klimawirksamer Emissionen im Flugverkehr durch den Handel mit Verschmutzungsrechten nichts ändert. Die in diesem Gewerbe produzierten Kompensationsszenarios basieren auf Maßnahmen, die zu treffen in jedem Fall vonnöten sind, um die Klimaziele des Paris-Abkommens auch nur annähernd zu erreichen. Der Erhalt bedrohter Wälder und Naturlandschaften, die Wiederaufforstung abgeholzter Flächen, die Wiedervernässung von Moorlandschaften zur Reduktion von Methanemissionen oder die Bereitstellung solarzellengetriebener Kochmöglichkeiten, die das Verbrennen von Holz ersetzen, werden nicht dadurch produktiver für den Klimaschutz, wenn sie die Zerstörung der Atmosphäre und das Anheizen des Treibhauseffektes an anderer Stelle legitimieren. Ganz im Gegenteil, mit der Zertifizierung dieser Vorkehrungen als geldwerter Anspruch, die bereits praktizierte Zerstörung zu maximieren, wird ihr Nutzen für den Klimaschutz aufgehoben.

Und nicht nur das - die geldförmige Inwertsetzung der beim fossilen Brand anfallenden Schäden bahnt der Privatisierung der natürlichen Lebensvoraussetzungen auf diesem Planeten den Weg. Das notwendige Minimum an Ressourcenverbrauch, das als Ascheprodukt jener Stoffwechselprozesse, die einen Sauerstoff verbrennenden Bioorganismus am Leben erhalten, in der Ökosphäre wirksam wird, sollte der natur- und menschenrechtlichen Universalität gemäß jedem Menschen gleichermaßen zustehen. Was anhand der Prognosen der Klimawissenschaften zu dem der Menschheit noch zur Verfügung stehenden Budget an CO2-Emissionen ausgewiesen wird, bietet sich wie jedes andere knappe Gut zur privaten Aneignung an und wird in einen Nutzen überführt, bei dem der Wunsch nach schneller Fortbewegung und das nackte Überleben in ein einander ausschließendes Verhältnis gebracht werden. Dabei wird über die Größe dieses Budgets anhand von Klimazielen befunden, für deren Erreichen bereits erhebliche Zerstörungen in Kauf genommen werden sollen, so daß dieses Guthaben auf dem Rücken derjenigen Menschen zustandekommt, die schon jetzt in Form von Dürrekatastrophen und Ernteausfällen unmittelbar vom Klimawandel betroffen sind. Auf den Begriff globaler Verteilungskämpfe gebracht, heißt das nichts anderes, als daß ihr Leben selbst negativ in Wert gesetzt wird.

Diese Form von entgrenztem Kolonialismus, der den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur als solchen kommodifiziert, erhält dadurch, daß als weitere Klimaschutzmaßnahme für den Flugverkehr die Ersetzung des fossilen Treibstoffs durch Agrosprit vorgesehen ist, eine noch vernichtendere Qualität. Ob zu dessen Herstellung Biomasse, Ölsaaten oder Getreide verwendet wird, führt im Ergebnis stets zur Verschärfung der Flächenproblematik in der globalen Landwirtschaft. Wie schon im Autoverkehr treten Teller und Tank in Konkurrenz zueinander, was den für die betroffenen Menschen desaströsen Landraub beschleunigt und mehr Hunger erzeugt. Zur Verkleinerung der räumlichen Lebensgrundlage indigener Bevölkerungen wie kleinbäuerlicher Subsistenzbetriebe in aller Welt trägt der Flächenverbrauch für Emissionshandel und Offsetting ohnehin schon bei, werden die dafür genutzten Ländereien und Wälder doch unter einen besonderen Schutz gestellt, der ihre bisherige Bewirtschaftung häufig unterbindet.

So steht der angemessene Vorgehensweise eines Klimaschutzes, an jeder erdenklichen Verbrauchsfront einzusparen, was für den Erhalt des Lebens nicht essentiell vonnöten ist, die Funktionslogik eines Kapitalismus entgegen, für den Verschmutzungsrechte ein wichtiges Feld dringend gesuchter Anlagemöglichkeiten darstellen. Es ist anhand der überall sinkenden Kapitalproduktivität und der um sich greifenden Negativzinsen leicht ersichtlich, daß Investitionen in CO2-Zertifikate und Biodiversitäts-Offsets eine willkommene Möglichkeit sind, vor dem krisenhaften Entwertungsdruck auf immer entlegenere Felder abstrakter Wertbildung zu fliehen. Der damit zunächst gesicherte Bestand des Geldwertes treibt den Zyklus von Konsum und Verbrauch weiter an, anstatt ernstzumachen mit Reduktionen, ohne die das Leben für Milliarden Menschen in wenigen Jahrzehnten zur mangel- und katastrophenbedingten Hölle werden könnte. Die Abschaffung des Emissionshandels [3] sollte mithin ebenso zum breiten Katalog sozialökologischer Forderungen gehören wie das unbescheidene Nachdenken über Alternativen zur kapitalistischen Wachstumsdoktrin im Kontext emanzipatorischer Politik [4].


Fußnoten:

[1] BERICHT/102: Waldvorräte, Kolonien - Beutespiel mit Lebensraum ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0102.html

[2] BERICHT/064: Klimacamp trifft Degrowth - Rechenbar, teilbar, frei zum endlichen Verbrauch ... (1) (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0064.html

[3] BERICHT/066: Klimacamp trifft Degrowth - Rechenbar, teilbar, frei zum endlichen Verbrauch ... (3) (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0066.html

[4] RAUB/1091: Black Lives Matter ... nicht im internationalen Flugverkehr (SB)
http://schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1091.html

1. Oktober 2016


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