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RAUB/1098: Mit Peitsche und Perlen - Die Kanzlerin in Afrika (SB)



Pistole auf die Brust und ein paar Silberlinge in die Hand - nach dieser Maxime sucht die Bundeskanzlerin derzeit die drei afrikanischen Länder Mali, Niger und Äthiopien heim, um die Migration vor Ort auszubremsen. Die Lage ist in der Tat fatal: Innenminister Thomas de Maizière warnt vor einem wachsenden Migrationsdruck aus Afrika. Schätzungen, daß in Libyen derzeit 200.000 Migranten auf die Überfahrt nach Europa warten, hält er für zu niedrig. Vor allem in den Subsaharastaaten gebe es noch weitaus mehr Menschen, die angesichts der verheerenden wirtschaftlichen Lage nach Deutschland und Europa kommen wollten. [1] Allein seit Januar dieses Jahres sind 50.000 Menschen aus Afrika nach Europa aufgebrochen, 3000 von ihnen auf der Flucht gestorben, die Überlebenden werden in Internierungslagern festgehalten. In den kommenden Jahren wird ein enormer Bevölkerungszuwachs auf dem afrikanischen Kontinent erwartet, wo Prognosen zufolge im Jahr 2050 bis zu 2,6 Milliarden Menschen leben werden. Zugleich sind dort gravierendste Auswirkungen des Klimawandels zu befürchten. [2]

Wenn deutsche Regierungspolitik anmahnt, man dürfe die Flüchtlinge gar nicht erst bis an die Festung Europa herankommen lassen, sondern müsse die Fluchtursachen bekämpfen, ist damit die Vorverlagerung des Abwehrregimes in die Herkunfts- und Transitländer gemeint. Durch eine Mixtur aus Erpressung, Geschenke an die einheimischen Eliten und einen großen Ballon leerer Versprechen, garniert mit einer Prise Militärpräsenz, soll das Prinzip der Eigenverantwortung und Selbsthilfe - nämlich Bezichtigung und Ausgrenzung - umgesetzt werden.

Nicht thematisiert werden hingegen die Fluchtursachen, welche die Afrikapolitik der Europäischen Union und der Bundesrepublik zu verantworten hat. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Freihandelsabkommen namens EPAs (Economic Partnership Agreements) zu nennen, die festlegen, daß die afrikanischen Länder ihre Märkte bis zu 83 Prozent für europäische Importe öffnen und dazu schrittweise Zölle und Gebühren abschaffen müssen. Im Gegenzug wird ihnen weiterhin zollfreier Zugang zum europäischen Markt gewährt, den sie zum großen Teil ohnehin schon hatten. Weil viele afrikanische Regierungen das Abkommen nicht unterzeichnen wollten, verhängte die EU zum 1. Oktober 2014 Einfuhrzölle auf mehrere Produkte aus Afrika. Auf diese Weise erpreßt, haben die meisten noch zögernden Länder unterschrieben.

Da die afrikanischen Staaten mit einer Wirtschaft wie der deutschen nicht konkurrieren können, gefährden Freihandel und EU-Importe bestehende Industrien und führen dazu, daß zukünftige gar nicht erst entstehen. Die EPAs werden die einheimischen Märkte in Müllhalden für europäische Produkte verwandeln und deren Diktat etablieren. Zudem stehen europäische Unterhändler und Spekulanten längst Gewehr bei Fuß, um sich der Rohstoffe wie Erdöl, Metalle, Holz oder Kakao zu bemächtigen. Vor dem Hintergrund der Bestrebungen Europas und Deutschlands, Fluchtursachen in den Herkunftsländern zu bekämpfen und wirtschaftliche Perspektiven vor Ort zu schaffen, sind diese Freihandelsabkommen absolut kontraproduktiv. [3]

Um zu verstehen, wozu die deutsche Delegation ihre afrikanischen Gastgeber zwingen will, muß man sich vor Augen führen, daß die sogenannte illegale Migration aus diesen Ländern zumeist erst mit dem Betreten der EU beginnt. Auf dem afrikanischen Kontinent herrscht eine weitgehende Reisefreiheit, die allermeisten Flüchtlinge werden von den jeweiligen Nachbarstaaten aufgenommen, und nur ein Bruchteil kommt überhaupt nach Europa. Beispielsweise können Malier ohne Visum problemlos nach Algerien und Libyen reisen. Zugleich verdankt sich das lukrative Geschäft der Schlepper in erster Linie der Illegalisierung von Flüchtlingen. So hat Niger, die zweite Station der Kanzlerin, erst 2015 einen Straftatbestand für Schlepper eingeführt. Nun soll auch nicht genehmigtes Reisen von Ausländern nördlich der Stadt Agadez als illegal eingestuft werden, da dort geschätzte 90 Prozent der Migranten der Subsahara gen Norden geschleust werden. Im Grunde fordern die Europäer also, daß die afrikanischen Staaten anfangen, ihren interstaatlichen Personenverkehr stärker zu reglementieren, um Migranten erst gar nicht oder in einer geringeren Zahl an die nordafrikanische Küste kommen zu lassen.

Hinzu kommt, daß etwa im Falle Malis die Emigranten mit ihren Überweisungen einen erheblichen Teil des Bruttoinlandsprodukts aufbringen, der durch eine Einschränkung der Flüchtlingsbewegungen geschmälert würde. Das noch ärmere Niger wiederum ist Transitland, hat aber selbst Zehntausende Flüchtlinge etwa aus Mali aufgenommen. Es benötigt Hilfe bei der Versorgung von Migranten sowie alternative Einkommensquellen für die Bewohner von Agadez, sollte tatsächlich die Schleuse an dieser Stelle geschlossen werden. Und das sind nur Bedenken, die unmittelbare Folgen in Rechnung stellen. Würden die Bewegungsmöglichkeiten weiträumig unterbunden, käme es im Falle der zu erwartenden Dürren und Hungersnöte zu wirtschaftlichen Belastungen der betroffenen Länder, die angesichts fehlender Ventilfunktionen durch Migration dramatischer als je zuvor verlaufen würden.

Blaupause ist das EU-Türkei-Abkommen, bei dem sich die Türkei unter anderem verpflichtet, Angehörige aus Drittstaaten zurückzunehmen. Das funktioniert aber nur, weil sie ihrerseits das jahrelange visafreie Reisen für Angehörige muslimischer Länder erheblich eingeschränkt und einen Visumszwang für Reisende aus Nordafrika, Pakistan oder Afghanistan eingeführt hat, um Menschen in ihre Heimat zurückschicken zu können. Zudem werden der Türkei nicht nur drei Milliarden Euro für die Versorgung syrischer Flüchtlinge in Aussicht gestellt, sondern mittels einer Kontingentlösung auch Flüchtlinge abgenommen.

Gegenleistungen dieser Art und Größenordnung können sich die afrikanischen Gesprächspartner Angela Merkels aus dem Kopf schlagen. So haben die EU-Kommission und die Kanzlerin längst betont, daß nun nicht jedes afrikanische Land ebenfalls mit Milliarden rechnen könne. "Eine Migrationspartnerschaft bedeutet, dass wir Verantwortung übernehmen für die jeweils spezifische Situation in einem Land", erklärte Merkel ominös in der malischen Hauptstadt Bamako. Da mit jedem Staat ein individuelles Migrationsabkommen geschlossen werden soll, ist einer kollektiven Verhandlungsposition mehrerer afrikanischer Länder von vornherein der Boden entzogen.

Zugleich signalisierte die Kanzlerin, daß es wirkliche Lösungen nur durch Eigeninitiative der afrikanischen Länder und nicht nur durch dauerhafte Alimentierung gebe. Entwicklungshilfe traditionellen Zuschnitts hat endgültig ausgedient, setzt sie doch in gewissem Maße eine Verpflichtung der reicheren Länder voraus, ärmere zu unterstützen. Selbst diese fadenscheinige Kaschierung der unablässigen Ausplünderung wird zugunsten einer Doktrin der freien Märkte, ungeschützten Handelsbeziehungen und unmittelbaren Zugriffsgewalt entsorgt. So ist in den Migrationspartnerschaften der EU durchaus die Rede davon, daß mangelnde Mitarbeit negative Konsequenzen haben soll.

Daß mit Angela Merkel erstmals eine deutsche Regierungschefin Mali besucht, hat einen ganz besonderen Grund. Das Land galt traditionell als französische Einflußsphäre, doch hat sich Frankreich mit seinem Militäreinsatz vor vier Jahren offensichtlich überhoben und stützt sich nunmehr in der Region auf seine europäischen Partner. Derzeit sind 40 Bundeswehrsoldaten in Gao im Norden Malis Teil der MINUSMA-Mission, die seit drei Jahren malische Soldaten ausbildet. Das funktioniert bislang eher schlecht, wie die nahezu kampflose Einnahme der Garnison Nampala durch eine Kolonne Islamisten Mitte Juli zeigte. "Es geht jetzt darum, die Ausbildung der malischen Armee nachhaltig zu gestalten und natürlich auch einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Soldaten der malischen Armee sich auch als eine Armee für ein Land verstehen", warnte die Bundeskanzlerin in Bamako. "Es darf nicht gegeneinander gearbeitet werden." [4]

Das kann man als pauschale Drohung auslegen, daß die Bundesregierung nur dann in die Tasche greifen und einige Millionen spendieren wird, wenn die Afrikaner spuren. Bezogen auf das Engagement der Bundeswehr unterstreicht die Kanzlerin im besonderen den deutschen Führungsanspruch auch in Afrika, der koloniale Pfründe der Franzosen verdrängt und die eigene Kriegsbeteiligung nicht länger ausschließt. Nicht nur für die Flüchtlingsabwehr, sondern auch die Anwendung offener Waffengewalt gilt die Doktrin, daß man die Folgen des eigenen ökonomischen und geostrategischen Handelns am liebsten weit vor der eigenen Haustür zu bändigen hofft.


Fußnoten:

[1] http://www.gemeinsam-fuer-afrika.de/2016/08/westafrika-freihandelsabkommen-ratifizierung/

[2] http://www.n-tv.de/politik/Schwerer-Kampf-gegen-Fluchtursachen-article18821986.html

[3] Siehe dazu im Schattenblick:
BERICHT/072: Das Anti-TTIP-Bündnis - Erhalt marktregulierter Vorherrschaft ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0072.html

[4] http://www.dw.com/de/bundeskanzlerin-merkel-in-mali-mission-gegen-migration/a-36001916

10. Oktober 2016


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