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RAUB/1108: Armutsregime füllt die Kasse der Bundesagentur (SB)



In einem Meer katastrophaler Nachrichten aus aller Welt zum Jahreswechsel, die nicht dazu angetan waren, den Ausblick der Bundesbürgerinnen und -bürger auf 2017 hoffnungsvoll zu stimmen, ragte eine Meldung wie ein Fels der Stabilität und Zuversicht in der Brandung empor. Die Bundesagentur für Arbeit konnte mit der frohen Botschaft aufwarten, sie habe 2016 einen Milliardenüberschuß unerwarteten Ausmaßes erwirtschaftet. Wie BA-Chef Frank-Jürgen Weise die Deutsche Presse-Agentur wissen ließ, habe die Nürnberger Bundesbehörde ursprünglich mit einem Plus von 1,8 Milliarden Euro gerechnet. Am Ende seien es jedoch stattliche 4,9 Milliarden Euro geworden, die Weise nicht ohne Stolz bilanzieren konnte.

Worauf ist der hohe Jahresüberschuß zurückzuführen? Der Chef der Bundesagentur verweist vor allem auf die gesunkenen Ausgaben für Arbeitslosengeld, die im abgelaufenen Jahr um 1,4 Milliarden Euro unter Plan gelegen hätten. Die Ausgaben für Kurzarbeitergeld und andere Pflichtleistungen sowie die Kosten zur Aus- und Fortbildung von Arbeitslosen seien jeweils um 700 Millionen Euro geringer ausgefallen. Zusätzlichen finanziellen Spielraum hätten um rund 155 Millionen Euro gestiegene Beitragseinnahmen geschaffen. Die Mitarbeiter der Arbeitsagentur hätten den guten Arbeitsmarkt genutzt, um viele Leute in Arbeit zu bringen, ohne daß Lohnkosten an die Arbeitgeber oder Maßnahmen zur beruflichen Förderung Arbeitsloser nötig geworden seien, erklärte Weise.

Wofür soll der Milliardenüberschuß verwendet werden? Die Bundesagentur für Arbeit will damit ihr für Krisenzeiten angelegtes Finanzpolster weiter auffüllen. Die Rücklagen, mit denen in der Vergangenheit unter anderem Kurzarbeitergeld-Programme finanziert wurden, um Auftragsflauten von Firmen abzupuffern, erhöhten sich damit auf 10,96 Milliarden Euro. Die einmalige Rückerstattung eines Versorgungswerks spülte 500 Millionen Euro in die Kasse. Mit dem Betrag will die BA ihren Pensionsfonds aufstocken, um künftig Beamtenpensionen selbst schultern zu können, statt sie der nächsten Generation aufzubürden.

Vor diesem Hintergrund sieht der BA-Manager die Bundesagentur für schwierigere Zeiten gut gerüstet. Anders als in früheren Jahrzehnten komme sie weiterhin ohne staatliche Zuschüsse aus. Sie tue viel, um Jobkrisen zu verhindern. "Aber kommt die schwierige Lage, wäre die Bundesagentur, die Arbeitslosenversicherung bereit, solche Krisen zu bewältigen", unterstrich Weise. Wenn er Ende März in den Ruhestand geht, kann er das Haus in vortrefflichem Zustand an seinen Nachfolger übergeben: "Die Zahlen zeigen, dass wir gut gewirtschaftet haben." Die Agentur sei "für die Volkswirtschaft, für den Staat eine sichere Bank. Für uns braucht es keinen Rettungsschirm." [1]

Fast möchte man angesichts solcher Erfolgsmeldungen meinen, die Bundesagentur sei keine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die sich mit Beiträgen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert, sondern ein Wirtschaftsunternehmen, dessen Leistungsfähigkeit sich an dem erzielten Profit sowie den Rücklagen für künftige Investitionen bemißt. Wenn Weise von gutem Wirtschaften spricht und die BA eine sichere Bank nennt, scheint dieser Sprachgebrauch über ein bloßes Wortspiel hinaus die Philosophie und Praxis der Nürnberger Behörde durchaus widerzuspiegeln. Denn so wenig ein Unternehmen die aus der Arbeitskraft seiner Belegschaft generierten Gewinne an diese zurückfließen läßt, so wenig kommt es dem scheidenden Chef der Bundesagentur in den Sinn, den Geldsegen ganz oder wenigstens in Teilen den Menschen zugute kommen zu lassen, die für ihn aufgekommen sind oder die Versicherungsleistungen in Anspruch nehmen müssen.

Könnte man beispielsweise nicht zumindest bei Haushalten mit Kindern von Leistungskürzungen im Falle monierter Pflichtverletzungen von Hartz-IV-Empfängern absehen? Das ist nicht vorgesehen wie überhaupt das Sanktionsregime Zug um Zug verschärft worden ist. So haben die Jobcenter im Jahr 2015 insgesamt 43.000 Empfängern mit Kindern im Monatsdurchschnitt die Leistungen gekürzt, darunter 14.000 Alleinerziehende. 2.600 Betroffene mit Kindern wurden sogar voll sanktioniert. Bei minderjährigen Kindern im Haushalt muß das Jobcenter allerdings bereits ab einer dreißigprozentigen Kürzung Lebensmittelgutscheine ausgeben, und bei vollen Sanktionen, worin auch die Miet- und Heizkosten eingeschlossen sind, müssen diese durch eine entsprechende Erhöhung bei den anderen Mitgliedern im Haushalt ausgeglichen werden. Warum der Gesetzgeber in diesem Fall eine rechtswidrige Sippenhaftung untersagt, jedoch einen durchaus vergleichbaren Zustand für Kinder in einem Hartz-IV-Haushalt im allgemeinen für legitim erklärt, liegt auf der Hand. Während 2008 anteilig noch erheblich weniger Personen sanktioniert wurden, obwohl es insgesamt mehr Hartz-IV-Empfänger gab, verhängten die Jobcenter ab 2010 deutlich mehr Sanktionen, darunter auch gegen Haushalte mit Kindern, obgleich die Zahl der Hartz-IV-Bezieher insgesamt sank. [2]

Im Herbst 2016 hat die Bundesagentur mit einer internen fachlichen Weisung ein Gesetz umgesetzt, das der Bundestag im Sommer beschlossen hatte. Das sogenannte "Rechtsvereinfachungsgesetz" enthält massive Sanktionsmöglichkeiten. So ist nun klarer geregelt, daß Hartz-IV-Leistungen zusammengestrichen werden können, wenn eine Notlage selbst herbeigeführt oder verschlimmert wurde. Das soll laut Bundesagentur beispielsweise für Berufskraftfahrer gelten, die den Führerschein wegen Trunkenheit am Steuer verlieren und dann auf Hartz IV angewiesen sind, oder für Arbeitslose, die bezahlte Jobs grundlos ablehnen. Bei sogenanntem sozialwidrigen Verhalten können im Extremfall die Leistungen der vergangenen drei Jahre zurückgefordert werden.

Wer den Jobcentern wichtige Informationen verschweigt, muß mit einer Strafe von bis zu 5.000 Euro rechnen. Diese kann verhängt werden, wenn Hartz-IV-Empfänger Angaben, die für die Festsetzung der Leistungen wichtig sind, "nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig" machen. Zuvor drohten die Strafen nur, wenn die Betroffenen falsche Angaben gemacht haben; keine Strafen waren hingegen vorgesehen, wenn sie gar keine Angaben machten. Und geprüft wurde auch erst, wenn Hartz-IV-Leistungen gezahlt wurden, nicht schon wie jetzt bei der erstmaligen Beantragung. Hier hatte die Bundesagentur eine "Regelungslücke" entdeckt, die sie mit ihrer entsprechenden Weisung geschlossen hat. [3]

Das deutsche Erfolgsmodell Hartz IV, den Arbeitszwang auch ohne ausreichende Arbeitsplätze und angemessene Entlohnung lückenlos durchzusetzen, ohne dabei massenhafte Gegenwehr zu riskieren, läßt niemanden ungeschoren. Nicht die Bekämpfung der Armut, sondern die Bezichtigung der Armen ist die Ultima ratio bundesrepublikanischen Sozialmanagements.


Fußnoten:

[1] http://www.tagesspiegel.de/politik/gute-konjunktur-bundesagentur-fuer-arbeit-erwirtschaftet-milliarden-ueberschuss/19194870.html

[2] http://www.o-ton-arbeitsmarkt.de/o-ton-news/hartz-iv-sanktionen-machen-auch-vor-kindern-nicht-halt

[3] Siehe dazu:
RAUB/1103: Schuldturm Hartz IV - Bezichtigung ohne Ende (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1103.html


2. Januar 2017


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