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RAUB/1158: E-Mobilität - die Rettung einer Branche ... (SB)



Das negative Image dieselgetriebener PKWs mit niedriger Schadstoffklasse erweckt den Eindruck, daß der Umstieg auf E-Mobilität eine deutliche Verbesserung der sozialökologischen Bilanz des motorisierten Individualverkehrs (MIV) erbrächte. Nichts dergleichen ist der Fall, denn die alternativ beworbene E-Mobilität entkommt dem Problem ineffizienter und verschleißintensiver Ressourcennutzung nicht. Das liegt nicht nur im industriellen und rohstoffintensiven Aufwand der Herstellung der Fahrzeuge und dabei vor allem ihrer Batterien begründet. Auch die Nutzung der Elektrizität ist mit allen Problemen der Stromerzeugung belastet, die sich aus dem nicht vollzogenen Umstieg auf Sonnen- und Windenergie wie einer Bioenergieproduktion ergibt, bei der für Nahrungsmittel taugliche Flächen dem menschlichen Primärnutzen durch den Anbau sogenannten Energiepflanzen entzogen werden. Vor allem jedoch bleibt die Fortschreibung des fossilen PKW-Betriebs durch eine andere, vermeintlich weniger klimaschädliche Energiequelle eine sozial höchst ungerechte Fortbewegungsweise.

In der als wohlhabend geltenden Bundesrepublik lebt mehr als ein Drittel der Bevölkerung prekär oder an der Grenze zum Prekariat, und das mit anwachsender Tendenz. Da diese Menschen zum größten Teil als private Fahrzeugbetreiber ausfallen, sind sie allein den negativen Folgen des MIV ausgesetzt. Auch wenn die Maxime der "autogerechten Stadt" heute kein Leitbild der Städteplanung mehr ist, so sind die urbanen Räume nach wie vor maßgeblich durch Straßen strukturiert, die dem Autoverkehr zugedacht sind. "Die Unwirtlichkeit unserer Städte" (Alexander Mitscherlich) resultiert wesentlich daraus, daß der motorisierte Straßenverkehr eine zeitlich wie räumlich eigene Dimension schafft, die von ihrer Umgebung so wirksam separiert ist, daß die Nichtbeachtung dieser unsichtbaren Grenze tödliche Folgen haben kann.

In der zeitlichen Dimension zieht sich die Stadt auf einen Bruchteil ihrer in körperlicher Fortbewegung erschließbaren Größe zusammen. Allein gehemmt durch die Punkte zwischenzeitlichen Stillstandes, an denen sich die verschiedenen Mobilitätsformen kreuzen, erreichen die Insassen motorisierter Fahrzeuge ihre Ziele in weit kürzerer Zeit als Fußgänger oder Radfahrer. Dies tun sie allerdings unter Inanspruchnahme stofflicher und energetischer Leistungen, deren individuelle Verfügbarkeit auf langen Ketten industrieller und infrastruktureller Aufwendungen basiert. Das fahrende Auto ist Ergebnis eines gigantischen Komplexes aus weltweit verschifften Ressourcen, ingenieurswissenschaftlicher Forschung, industrieller Produktion und kapitalistischer Akkumulation. Das gilt für die Konstruktion des Fahrzeuges ebenso wie den Bau der ihm zugedachten Infrastruktur aus Straßen und Parkplätzen, aus informationstechnischer Überwachung und administrativer Organisation.

Die räumliche Dimension des MIV beschränkt sich mithin nicht nur auf die Mobilitätsanteile der gebauten Umwelt, sondern bringt raumgreifende Prozesse hervor, die bis in entlegene Regionen des Planeten reichen. Wo die Erde zu Lasten der Menschen, die auf ihr leben, des Grundwassers, der Atemluft und des Klimas großflächig aufgerissen wird, um die erforderlichen mineralischen oder fossilen Rohstoffe zu fördern, geht niemanden etwas an, möchte man beim Anblick der mit hoher Erlebnisintensität inszenierten Exponate auf Automessen meinen. Daß diese häufig mit leichtbekleideten Frauenkörpern drapiert werden, spricht Bände über den patriarchalen Impetus der imaginären Aneignung einer Kraft, deren Konzentration erhebliche Zerstörungsprozesse voraussetzt und zur Folge hat.

Doch auch die breiten Bänder asphaltierter Erde, über die Millionen Fahrzeuge unter erheblichem Abrieb von Reifen wie Straßenbelag und entsprechender Feinstauberzeugung rollen, und die ebenfalls hermetisch versiegelten Parkplatzflächen sind als Faktor klimaschädlicher Art wie der Verringerung der für den Nahrungsmittelanbau zur Verfügung stehenden Flächen nicht gering zu schätzen. Sie formieren den Einsatz des Automobils im übrigen auf eine Weise, die den subjektiven Eindruck, selbst zu steuern, mit dem Bild einer Fremdbestimmung konterkariert, die die FahrerIn als ein bloßes Biomodul der sie lenkenden Strukturen und Prozesse erkennen läßt.

Was in den Städten besonders ins Auge fällt, ist die Privatisierung öffentlichen Raums durch nach außen abgeschottete Fahrzeuge, deren Innenraum die sie nutzenden Menschen nicht umsonst als Erweiterung ihrer Wohnfläche, mithin als Privatraum zu schätzen wissen. Die vergleichsweise hohe Geschwindigkeit dieser fahrenden Wohnzimmer macht aus den Menschen am Straßenrand bloße Statisten eines Szenarios, das vom Raumanspruch eines Verkehrs bestimmt ist, dessen Akteure sich an den Orten, die sie durchfahren, gar nicht aufhalten wollen, sondern diese lediglich als notwendige Stationen zum Erreichen ihres Zieles passieren. Sie treten mit den dort lebenden Menschen kaum in Kontakt, nötigen diese aber, beim Überqueren der Straße besonders auf sich achtzugeben. Selbstorganisierte Kampagnen wie Reclaim The Streets, bei der die Anwohner vielbefahrener Straßen im England der 90er Jahre Blockaden errichteten, um diese Orte mit einem ihren Interessen entgegenkommenden Leben wie gemeinsamen Frühstücken oder kommunalen Zusammenkünften zu erfüllen, zeigen, wie umkämpft diese Räume tatsächlich sind.

Wo die Menschen aus ökonomischen Gründen nicht am automobilen Individualverkehr teilhaben können, sind sie von dessen Warencharakter dennoch indirekt betroffen. Die Kosten der ökologischen Folgen der Autoproduktion - schlechte Luftqualität, kontaminiertes Trinkwasser, Klimawandel, Waldsterben - wurden bislang weitgehend externalisiert, was vielen Menschen mit der Affäre um manipulierte Abgaswerte erstmals richtig bewußt wurde. Ihre Kompensation durch Emissionszertifikate verlagert das Problem lediglich an andere Orte, ändert aber nichts an der Kannibalisierung ökologischer Ressourcen, die bei der Bewältigung des Klimawandels und dem Erhalt gesunder Lebensweisen negativ zu Buche schlägt. Die sozialen Folgen der Verfügbarkeit und Bepreisung fossiler Energie treten in Konflikten und Kriegen wie auch im Niveau der Nahrungsmittelpreise, die aufgrund des intensiven Einsatzes fossiler Rohstoffe in der Landwirtschaft erheblich von der Entwicklung der Rohölpreise abhängig sind, hervor.

Wieviel Geld der einzelne Mensch auch immer für sein Fahrzeug, die dazu zu entrichtenden Steuern und die laufenden Betriebskosten ausgibt, es wird auf irgendeine Weise von ihm oder anderen erarbeitet. Die um den MIV entstehenden Klassenkonflikte lassen sich bis ins Zeitalter der fordistischen Fabrik und der verwissenschaftlichten Ausbeutung der Lohnarbeit durch eine Rationalisierung, die den ArbeiterInnen wortwörtlich auf die Knochenhaut ging, zurückverfolgen. Die globalisierte Autoindustrie wiederum profitiert von der Nationalisierung der Produktion, bei der die jeweiligen Arbeitsbevölkerungen und Standorte gegeneinander ausgespielt werden. Den Arbeitsleuten den eigenen Besitz eines Automobils in Aussicht zu stellen läuft denn auch darauf hinaus, ihre Versklavung durch den Zwang zur Lohnarbeit mit dem Fetisch einer Mobilität zu vertiefen, deren Erwerb und Betrieb so viel Lebenszeit bindet, daß die dabei erwirtschaftete Beschleunigung in der Summe durch ihre ökonomische Ermöglichung wieder aufgezehrt wird.

All das gilt für die individualisierte E-Mobilität fast genauso wie ihren fossilen Konterpart. In einer Welt begrenzter Ressourcen lassen sich die am Modell elektrogetriebener PKWs prognostizierten Einspareffekte nicht verallgemeinern, wie schon an den Wachstumserwartungen der Autoindustrie zu erkennen ist. Selbst wenn die klimatische Bilanz der Elektroantriebe durch die Erzeugung erneuerbaren Stromes einmal weniger zerstörerisch als heute ausfiele, würde dies durch die zusätzliche Zahl an Fahrzeugen und den weiteren Ausbau des Streckennetzes zunichte gemacht. Hinzu kommt die vollkommen ungelöste Problematik der stofflichen Basis der Batterien. Sie beruht auf endlichen Rohstoffen, die schon jetzt unter hohem sozialen Konfliktpotential und mit anwachsender Umweltzerstörung gefördert werden [2].

Das Bejubeln der elektrisch betriebenen Fahrzeuge soll die industrielle Wettbewerbsfähigkeit einer Autoindustrie sichern, die als Inbegriff nationaler Wachstumsorientierung und Wettbewerbsfähigkeit einer Zukunft verpflichtet ist, deren Barbarisierung sehenden Auges in Kauf genommen wird, um einmal erlangte Privilegien nicht wieder preisgeben zu müssen. Die Debatte um das Für und Wider der individualisierten E-Mobilität besetzt den Platz, an dem der Ausbau radfahrerfreundlicher Straßen, die Befreiung der Städte vom Autoverkehr, das Angebot eines kostenlosen öffentlichen Personennahverkehrs, eines zumindest kostengünstigen Personenfernverkehrs mit der Bahn wie der grundsätzlichen sozialökologischen Umstrukturierung lebensweltlicher Räume und industrieller Produktionsweisen zu diskutieren wäre.


Fußnoten:

[1] BERICHT/100: Emissionsarmer Verkehr - die ersten Schritte noch schwer ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0100.html

[2] E-Mobilität - Unterwegs zu mehr Ressourcengerechtigkeit?
https://www.inkota.de/themen-kampagnen/ressourcengerechtigkeit/e-mobilitaet/

27. September 2018


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