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RAUB/1169: Migration - verwalten, verfügen, ausbeuten ... (SB)



Wenn man sich die Daten ansieht, ist Migration eine Subventionierung des Nordens durch den Süden.
Raul Delgado Wise (UNESCO-Koordinator für Migration und Entwicklung) [1]

Mit dem "Globalen Pakt für Migration" wollen die Vereinten Nationen erstmals Grundsätze für den Umgang mit Flüchtlingen festlegen. Es geht dabei wohlgemerkt keineswegs darum, die wesentlichen Ursachen von Flucht und Vertreibung beim Namen zu nennen, um sie aus der Welt zu schaffen. Das würde bedeuten, der seit kolonialen Zeiten global durchgesetzten Ausbeutung und Unterdrückung den Kampf anzusagen, die ökonomischen und militärischen Kriege zu beenden wie auch die wachstumsgestützte Produktionsweise einzustellen, um den längst einsetzenden Klimawandel vielleicht noch zu mildern. Einen ökosozialistischen Entwurf, der mit der herrschenden Eigentumsordnung und dem profitgetriebenen Verwertungsregime bricht, schreibt sich die sogenannte Staatengemeinschaft nicht auf ihre Fahnen. Ihr geht es vielmehr darum, der anwachsenden Heerschar geflohener Menschen nicht nur mit militärischen und polizeilichen Mitteln Herr zu werden, sondern auch regulierend einzugreifen, um den gewaltigen Druck wildwüchsiger Migration in administrative Bahnen zu lenken, so daß sich diese womöglich bändigen ließe.

Ein zentrales Vorhaben ist in diesem Zusammenhang, jenen Bruchteil geflohener Menschen abzuschöpfen, der sich als andernorts ausgebildete, billige und willige Arbeitskraft dazu eignet, den hiesigen Bedarf zu decken. Diesen Personenkreis einzubinden gelingt dann am besten, wenn die Rücküberweisungen an die Familien in den Herkunftsländern erleichtert werden. Deshalb beharrt der UN-Migrationspakt auf einen "freien Kapitalverkehr", um die geflohenen Menschen darauf zu verpflichten, mit Teilen ihres im Zielland verdienten Lohnes die Angehörigen in der Heimat zu unterstützen. Indem diese Migrantinnen und Migranten in der entsprechenden Forschung zu den Hoffnungsträgern einer nachholenden Entwicklung peripherer Länder durch Migration erklärt werden, macht dies letzten Endes die Entwicklungshilfe obsolet und schiebt selbst diesen Teil der Verantwortung auf die in die Industriestaaten geflohenen Menschen ab.

Der Migrationspakt kritisiert nicht die verschiedenen Freihandelsabkommen, mit deren Hilfe beispielsweise die Europäische Union vorhandene Schutzmechanismen der schwächeren Volkswirtschaften im sogenannten globalen Süden aushebelt. Die "Ökonomischen Partnerschaftsabkommen" (EPAs), welche die EU mit über 30 afrikanischen und karibischen Staaten abgeschlossen hat, beendet deren Phase einer Entwicklung, während der sie bestimmte Sektoren ihrer einheimischen Märkte mittels protektionistischer Maßnahmen schützen konnten. In der Folge überschwemmen westliche Unternehmen die dortigen Gesellschaften mit billigeren Erzeugnissen, ruinieren die lokalen Bauern, Fischer und Gewerbetreibende und heizen somit die Migration an.

Wenngleich sich die Unterzeichner des Pakts zu diversen Segnungen der Migration bekennen, bekräftigt er zugleich "das souveräne Recht der Staaten, ihre Migrationspolitik selbst zu bestimmen, sowie ihr Vorrecht, die Migration innerhalb ihres Hoheitsbereiches in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht selbst zu regeln." Das heißt mit anderen Worten, daß sich jeder Staat aus dieser nicht verpflichtenden Vereinbarung das heraus herauspicken darf, was seinem Vorteil dient, und den Rest verwerfen kann. Die grundsätzliche Freiwilligkeit des Abkommens hindert rechte Ideologie indessen nicht daran, den Migrationspakt als solchen anzugreifen und dies vor ihren Karren zu spannen.

Als 192 von 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen Ende Juli dem "Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration" zustimmten, schien dieser Vorgang zunächst fast unbemerkt über die Bühne zu gehen. Inzwischen schwillt jedoch der Chor der Kritiker von Tag zu Tag an, soll die Vereinbarung doch am 10. und 11. Dezember in Marrakesch endgültig verabschiedet und unterzeichnet werden. Die USA traten dem Migrationspakt gar nicht erst bei, Österreich, Ungarn, Kroatien und Australien haben sich inzwischen zurückgezogen, voraussichtlich werden mit Polen und Tschechien weitere Länder folgen, die sich mit einer repressiven Migrations- und Flüchtlingspolitik profilieren. AfD, Identitäre oder in Österreich die FPÖ bezeichnen die Vereinbarung als eine Art Teufelspakt, der den Staaten die Kontrolle über die Zuwanderung entziehe und sie einem ideologisch geprägten Masterplan preisgebe, Armutsflüchtlinge umzusiedeln und alle Kulturen bis zur Unkenntlichkeit zu vermischen. [2]

Von der gezielten Irreführung abgesehen, die ausdrückliche Freiwilligkeit des Migrationspakts in ein aufoktroyiertes Zwangsverhältnis umzudeuten, läßt die rechte Propaganda tunlichst unerwähnt, daß das Abkommen repressive Maßnahmen gegen sogenannte illegale Migration sogar noch verschärfen will. So ist der Kampf gegen Schleuser und Menschenhändler umfangreich als Ziel formuliert und wird um den Vorschlag ergänzt, Nachrichtendienste dafür einzusetzen. Mehr integrierte Zusammenarbeit zur Grenzsicherung gehört ebenso zu den aufgeführten Komponenten wie die Pflicht, daß Migranten mit Identitätsdokumenten ausgestattet sein sollen.

In der Bundesrepublik sorgt Gesundheitsminister Jens Spahn mit dem Vorschlag, eine deutsche Zustimmung erst noch auf dem Parteitag am 7./8. Dezember zu diskutieren, nicht nur in der CDU für heftige Turbulenzen. Zuspruch erhält er, wie nicht anders zu erwarten, vom rechten Flügel der Partei. So hat der CDU-Landesverband Sachsen-Anhalt auf einem Parteitag am Wochenende die Bundesregierung aufgefordert, den Pakt abzulehnen. Auch der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Entwicklungshilfe, Peter Ramsauer (CSU), will den UN-Pakt "nicht mittragen". Durch das gesamte Dokument ziehe sich eine Haltung, Migration als etwas Normales und gar Wünschenswertes anzusehen. Das öffne dem Flüchtlingsstrom nach Europa und nach Deutschland Tür und Tor. Das Unbehagen werde in der Unionsfraktion und der CSU-Landesgruppe "auf breiter Front" geteilt.

Diverse andere christdemokratische Politiker wiesen Spahns Idee, das internationale Dokument notfalls später zu unterschreiben, vehement zurück. Wie Norbert Röttgen erklärte, wäre dies eine doppelte Führungsschwäche, die sich Deutschland nicht erlauben dürfe. Der Pakt sei "ein enorm wichtiger erster Schritt der internationalen Gemeinschaft, Migration zu steuern". Jürgen Hardt warnt davor, diffuse Ängste zu schüren und Menschen zu verunsichern. Niemand aus den demokratischen Parteien solle sich für so etwas hergeben. Thomas Strobl hält es zwar für grundsätzlich vernünftig, in der Partei um den richtigen Weg zu ringen. Er sei jedoch sehr dafür, für den Pakt zu werben, und absolut dagegen, "aus Furcht vor der irreführenden AfD-Kampagne auch nur einen Teilrückzug" zu vollführen. Die Bundeskanzlerin ist ebenso wie der Koalitionspartner SPD für ein klares Ja. Merkel sieht in dem Pakt einen Testfall, ob überhaupt noch multilaterale Vereinbarungen geschlossen werden können: "Entweder schaffen wir es, gemeinsame globale Lösungen zu erarbeiten, Schritt für Schritt, manchmal zu langsam - oder aber auch nicht", sagte sie nicht gerade euphorisch bei einem Auftritt mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Berlin. [3]

Abermals okkupiert die von der rechten Propaganda aufgezwungene Kontroverse das Feld, die rassistisch und nationalistisch aufgeladen auf den Migrationspakt eindrischt. Dahinter verblaßt eine substantielle Kritik an Gehalt und Stoßrichtung der UN-Vereinbarung bis zur Unkenntlichkeit, zumal sie es mit tief verankerten Auffassungen zu tun hat, die nach Jahren der Rechtsdrift deutscher Parteipolitik zum Dogma geronnen sind. Die Migration durch Selektion auszubeuten, bricht sich als vorgeblicher Lösungsansatz auf breiter Front Bahn. Da wir nicht alle aufnehmen können, suchen wir uns eben die Brauchbarsten aus, hat sich der deutsche Verwalterblick an der Rampe noch immer bewährt.


Fußnoten:

[1] www.heise.de/tp/features/UN-Migrationspakt-verwaltet-weltweite-Ungleichheit-4224403.html

[2] www.sueddeutsche.de/politik/migration-fluechtlinge-afd-1.4200722

[3] www.sueddeutsche.de/politik/cdu-spahn-migrationspakt-1.4217042

19. November 2018


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