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RAUB/1200: Wald - Vertreibungsvorwand Naturschutz ... (SB)



Mit dem um sich greifenden Bewußtsein von der Finalität natürlicher Ressourcen verändert sich auch der Charakter sozialer Verteilungskämpfe. Menschliche Arbeit, natürliche Rohstoffe und Land werden wie eh und je angeeignet und in Wert gesetzt, doch ist mit der ökologischen Krise ein Gut in Erscheinung getreten, daß früher über keinen nennenswerten Wert zu verfügen schien, weil es niemals knapp zu werden drohte. Daß der Erhalt der Natur im ökonomischen Sinne negativ zu definieren ist, weil lediglich weitere Zerstörungen verhindert werden sollen, trifft jedoch nur bei oberflächlicher Betrachtung zu. So wird die Welt nicht erst von Menschen bewohnt, seit an jedem noch so entlegenen Winkel die Systemgastronomie, Flagship Stores und Marken transnationaler Unternehmen anzutreffen sind. Wer bisher schon unter der Landnahme kapitalistischer Expansion zu leiden hatte, kann ihr heute aufgrund vermeintlich bester Absichten, des Bewahrens der Natur, zum Opfer fallen.

So führt die klimaschutzbedingte Inwertsetzung urtümlicher Wälder als handelbarer Bestand an CO2-Senken immer wieder dazu, daß die dort seit jeher lebenden indigenen Bevölkerungen an der Ausübung ihrer tradierten Wirtschaftsweise gehindert oder gar von ihrem Land vertrieben werden. Obwohl die Rolle indigener Menschen als Bewahrer von Wald und Natur in aller Welt anerkannt ist, gehören sie zu den ersten Opfern von Programmen wie REDD+ [1] oder werden von professionellen Naturschützern schikaniert und vertrieben. Dem World Wildlife Fund wird seit längerem vorgeworfen, mit angeheuerten Sicherheitskräften oder in Zusammenarbeit mit paramilitärischen Einheiten Menschen, die in oder am Rande von den Naturschutzgebieten leben, die die Organisation betreut, gewaltsam eingeschüchtert, mißhandelt und vertrieben zu haben. Menschenrechtsverletzungen im Zeichen des freundlichen Pandabären, des Logos der Organisation, wurden durch verschiedene Presseorgane [2] und NGOs dokumentiert und werden in mehreren Ländern von staatlichen Behörden untersucht. Jüngsten Erkenntnissen nach kam es auch zu großangelegten Sterilisationskampagnen im Umfeld afrikanischer Nationalparks [3].

Dies scheinen aufgrund der schon seit Jahren von kritischen NGOs wie Survival International gegen den WWF erhobenen Vorwürfe keine bloße Regelverletzungen einer ansonsten nach Recht und Gesetz handelnden Naturschutzorganisation zu sein. Eher schon reflektiert diese Entwicklung ein kolonialistisches Selbstverständnis, das der Ressource weitgehend unberührter Natur mehr Lebensrecht zubilligt als Menschen, die seit Jahrhunderten in tropischen Urwäldern und um sie herum gelebt und sie solange erhalten haben, bis weiße europäische Kolonisatoren die Reichtümer der afrikanischen, amerikanischen und asiatischen Wälder entdeckten.

Ob sich moderner Naturschutz weniger arrogant als der Kolonialismus des 19. und 20. Jahrhunderts verhält, wenn er die Menschen der von ihm zu schützenden Regionen malträtiert, vertreibt oder an der Fortpflanzung hindert, darf bezweifelt werden. Eher sieht es danach aus, als handle es sich um eine Form der Ressourcensicherung nach dem Konzept, ihren Verbrauch heute zu begrenzen, um in Zeiten besonderer Knappheit auf sie zurückgreifen zu können. Dabei scheint es nicht nur darum zu gehen, CO2-Senken vor der Zerstörung zu bewahren, sondern ganze Territorien der menschlichen Nutzung zu entziehen, um mit ihnen über ein Reservoir an wertvoller Biodiversität zu verfügen.

Wenn das an und für sich zu begrüßende Anliegen des Schutzes der Natur vor weiterer Ausplünderung dazu führt, daß gerade die Menschen von Organisationen aus den Ländern mit dem höchsten Ressourcenverbrauch gewaltsam an ihrer Nutzung gehindert werden, die die Wälder am schonendsten und nachhaltigsten bewirtschaften, dann handelt es sich um einen modernen Verteilungskampf, als dessen zentraler Wert die Verfügungsgewalt über Naturressourcen und nicht ihre direkte Verwertung zu gelten scheint.

So hat Dr. Richard Leaky, einer der führenden Naturschützer Afrikas und Patron of Nature der Organisation International Union for Conservation of Nature (IUCN), ein Dachverband von rund 1400 Naturschutzorganisationen und Regierungsinstitutionen weltweit, in einer öffentlichen Stellungnahme im März 2018 [4] gefordert, mehr privates Engagement im Naturschutz zuzulassen, während der Einfluß öffentlicher Einrichtungen und kommunaler Institutionen zurückgedrängt werden müsse. Vor allem sollte der Landkauf durch private InvestorInnen erleichtert werden, denn Naturschutz müsse keine öffentliche oder staatliche Aufgabe sein. Für diesen Zweck seien Akteure der Privatwirtschaft viel besser aufgestellt, daher sollte der Naturschutz weltweit in ihre Hände gelegt werden. Was indigene Bevölkerungen dazu sagen, die sich in lokaler und kommunaler Selbstorganisation um den Erhalt der natürlichen Lebensvoraussetzungen sorgen, scheint diesem mit höchsten wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Weihen geadelten Naturschützer in keiner Weise zu interessieren.

"Green Grabbing", so der Titel einer Ausarbeitung zu "Landraub im Namen des Naturschutzes" [5], kann denn auch als rassistische Intervention und Kolonialismus im neuen Gewand bezeichnet werden. Angeeignet wird ein knappes Gut, das in Wert gesetzt wird, indem es nicht verbraucht wird. Was an und für sich wünschenswert ist, wirkt angesichts des paternalistischen Vorgehens nicht nur des WWF, sondern auch anderer Naturschutz- und Umweltorganisationen auf die Lebensgrundlagen indigener Bevölkerungen wie ein Rückgriff auf die Praxis der ursprünglichen Akkumulation zu Beginn der Industrialisierung. Im Unterschied zur Vertreibung der Bauern von ihrem Land und ihrer notgedrungenen Unterwerfung unter das Lohnarbeitsregime in den Fabriken des Frühkapitalismus warten auf die heute aus ihren Wäldern und von ihren Feldern vertriebenen autochthonen Bevölkerungen nicht einmal mehr Arbeitsplätze, mit denen sie unter schlechten Bedingungen und niedrigem Lohn ihren Lebensunterhalt fristen können.

Die durch Maßnahmen des organisierten Naturschutzes und den Handel mit Verschmutzungsrechten bewirkte grüne Landnahme gesellt sich zu dem lokale Bevölkerungen unterdrückenden und ihre Umwelt vergiftenden Rohstoffextraktivismus erschwerend hinzu. In beiden Fällen werden verbliebene Naturreservate im Interesse mehrheitlich weißer Metropolengesellschaften im globalen Norden der Nutzung durch die in ihnen und von ihnen lebenden Menschen entzogen. Was aus eurozentrischer Sicht als Vermeidung von Treibhausgasen und Naturverbrauch ein negativ in Erscheinung tretender Wert zu sein scheint, ist der gleiche Raub, der schon in früheren Jahrhunderten das Nord-Süd-Verhältnis in ein steiles Gefälle verwandelt hat. Von oben nach unten leicht zu bewirtschaften ist jeder dagegen gerichtete Widerstand von der Gefahr bedroht, mit dem Leben bezahlt zu werden. Die Blutspur kolonialistischer und extraktivistischer Strategien ist niemals getrocknet, und im Widerschein des fossilen Brandes, der den Klimawandel befeuert, wird sie breiter und tiefer.


Fußnoten:

[1] https://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umkl-691.html

[2] https://www.buzzfeednews.com/article/tomwarren/wwf-world-wide-fund-nature-parks-torture-death

[3] https://www.survivalinternational.org/news/12142

[4] https://www.iucn.org/crossroads-blog/201803/protected-areas-hope-midst-sixth-mass-extinction

[5] https://www.welt-ernaehrung.de/wp-content/uploads/2016/07/Green-Grabbing-Hausarbeit-Rene_Vesper.pdf

6. Juni 2019


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