Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


RAUB/1235: Umweltstreit - fossiler Energieverbrauch eingepreist ... (SB)



Obwohl die Dekarbonisierung des Planeten erklärtermaßen ein vorrangiges Ziel der sogenannten Staatengemeinschaft ist, wird der Verfall der Ölpreise als ökonomisches Desaster bejammert. Es wird sich sogar der Sprache der Medizin bedient, wenn man darauf hofft, daß der Ölpreis sich wieder "erholt", als sei er von einer Krankheit befallen, für die er nichts kann. Natürlich kann immer mit den Verlusten an Arbeitsplätzen im Ölgeschäft selbst und allen davon abhängigen Industrien argumentiert werden, doch warum ändert sich nichts daran, daß die Weltwirtschaft maßgeblich von der fossilistischen Produktionsweise bestimmt wird?

Wenn der Rückgang des Verbrauches fossiler Energie nicht willkommen ist, weil sich der Erhalt menschlichen Lebens angeblich nicht anders als auf diese Weise befeuern läßt, wäre es an der Zeit, Farbe zu bekennen und das Erreichen der Klimaziele in eine Zukunft zu verschieben, die mit 3,5 und mehr Grad durchschnittlicher Temperaturerhöhung einhergeht. Das Aufrechterhalten des schönen grünen Scheins und sein gleichzeitig erfolgendes Dementieren durch eine ganz andere Praxis ist weniger zu kritisieren, weil es moralisch so verwerflich ist wie vieles im realpolitischen Vollzug gouvernementaler Logik. Es lähmt vor allem den sozialen Widerstand gegen das fossile Verbrauchsregime, für den einige Nischen freigehalten werden, in denen symbolpolitische Aktionen durchgeführt werden können, um den Normalbetrieb des kapitalistischen Weltsystems in aller Ruhe fortzusetzen.

Die Gelegenheit beim Schopfe zu packen und den durch die Coronapandemie erzwungenen Einbruch der Nachfrage zum Anlaß zu nehmen, über einen prinzipiellen Umbau industrieller und agrarischer Produktion nachzudenken, scheint so mehr denn je außerhalb jeder Reichweite zu liegen. Die Krise der Autoindustrie und Luftfahrtbranche soll mit einer massiven Injektion staatlicher Mittel zur Rettung einer Produktionsweise beigelegt werden, deren Ende, zumindest aus Sicht notwendigen Klimaschutzes, eigentlich abgemachte Sache war. Die Menschen sollen zum Kauf neuer Autos und zum Buchen von Fernreisen angehalten werden, als sei nichts geschehen und stehe keine grundlegende Revision fossiler Verbrauchslogik an. An deren destruktiver Wirkung ändert die ressourcenintensive und mit fortgesetzter Flächenversiegelung einhergehende E-Mobilität wenig. Gleiches gilt für den Kauf von Emissionszertifikaten für Flugreisen, wird mit der Monetarisierung des Problems durch die Schaffung von Naturkapital als neues Verwertungsmittel doch kaum etwas anderes betrieben als jene Finanzalchemie, mit der ausstehende und womöglich nie zu bedienende Schulden durch Verbriefung in neue Wertpapiere verwandelt werden.

Im Versuch der öl- und gasproduzierenden Staaten, den Preis durch eine Begrenzung der Förderung hoch zu halten, tritt der irreführende Charakter einer Marktlogik hervor, von der behauptet wird, einzig dem Verhältnis von Nachfrage und Angebot verpflichtet zu sein. Wäre dem so, dann verfiele die Machtbasis von Staaten wie den USA, Rußland, Saudi-Arabien und einigen mehr so sehr, daß schon dadurch Konturen einer neuen Weltordnung erkennbar würden. Allein die kriegerische Bewirtschaftung des fossilen Kapitalismus im Nahen und Mittleren Osten zeigt, daß von Markt im beanspruchten Sinne keine Rede sein kann, sondern gerade in diesem Geschäft Großmachtinteressen auf dem Spiel stehen, die sich nur auf imperialistische Weise durchsetzen lassen.

Wenn auf dem Ölmarkt plötzlich Trader, deren Geschäftsmodell ausschließlich finanzkapitalistischer Art ist, weil sie ihr Geld mit Futures verdienen, vor dem Problem stehen, tatsächlich große Mengen des Stoffes annehmen zu müssen, mit dem sie im materiellen Sinne niemals zu tun hatten, weil er ihnen lediglich als Spekulationsobjekt dient, und am Ende noch dafür bezahlen, um diesen Teil des Vertrages nicht erfüllen zu müssen, dann bestätigt das den fiktiven, vom konkreten Gebrauchswert dieser Energieform völlig abgehobenen Charakter der Preisbildungsprozesse im Ölgeschäft. Hier geht es nicht um das Interesse der ArbeiterInnen auf den Ölfeldern oder in der Autoindustrie, in der Öl zu Stoffen aller Art prozessierenden chemischen Industrie oder in der Landwirtschaft, wo der Input fossiler Energie für die mechanische Arbeit wie die Verfügbarkeit von Düngemitteln auf Stickstoffbasis erheblich ist.

Die energetisch hochverdichteten Kohlenwasserstoffe, die sich über Millionen Jahre in der Erde angereichert haben und nun in einem jähen, die industrielle Produktivkraftentwicklung der letzten 100 Jahre befeuernden Abbrand für eine zivilisatorische Entwicklung verheizt werden, die von mehreren sich gegenseitig verstärkenden Krisen erschüttert wird, zu der sich mit der Coronapandemie ein weiteres Problem globalen Ausmasses gesellt hat, erscheinen um so unverzichtbarer, je wirksamer das auf ihnen beruhende Akkumulationsmodell in Frage gestellt wird. Obschon die Pfadabhängigkeit fossilistischer Industrien seit langem als zentrales Problem der Klimakrise und Naturzerstörung anerkannt ist, wird deren Gültigkeit gerade dann bekräftigt, wenn ihre Überwindung plausibel wird, ja geradezu den Charakter eines jener Sachzwänge annimmt, auf die sich PolitikerInnen so gerne berufen.

Einen solchen machen auch die Verfechter der fossilistischen Produktionsweise geltend, wenn sie behaupten, es ginge nicht anders als gerade so wie bisher. Das läßt in Hinsicht auf die Klimakrise, deren Perspektive weit desaströser ist als die der aktuellen Pandemie, tief blicken, werden dort doch Anspruch und Wirklichkeit nicht minder in ein einander ausschließendes Verhältnis gesetzt. Nicht daß es an Vorschlägen, Konzepten und Geschäftsmodellen für alternative Energieerzeugung mangelte, doch die Frage, wieso dies im Rahmen einer auf Wachstum und Wettbewerb basierenden Wirtschaftsordnung erfolgen soll, wird nach Kräften unterdrückt.

Dies durch das Profitmotiv der führenden fossilistischen Branchen zu erklären reicht nicht aus.. Selbst wenn die Zukunft von Partikularinteressen bestimmt würde, die dem Wohlergehen des Gros der Menschen entgegenstehen, dann wäre mit deren Widerstand zu rechnen auch in einem so privilegierten Land wie der Bundesrepublik. Bedeutsamer für die Aufhebung dieses Widerspruchs ist das mehrheitliche Insistieren auf die vertraute verbrauchsintensive Produktionsweise und ihre neokolonialistische Struktur. Milliarden Menschen erleiden die Folgen der Krise der gesellschaftlichen Naturverhältnisse am eigenen Leib, indem sie nicht genug zu essen haben, verschmutztes Wasser trinken müssen, an Umweltgiften erkranken oder aus ihren Lebensräumen fliehen müssen, weil sie verödet sind oder überschwemmt werden. Sich ein Dasein unterhalb der Privilegien der imperialen Lebensweise (Brand/Wissen) vorzustellen kann nicht schwerfallen, wenn das Interesse dafür vorhanden wäre. Daß es daran mangelt und statt dessen die Suggestionen eines Konsumismus das Feld beherrschen, an dessen Ewigkeitsmerkmal noch geglaubt wird, wenn das Dach des Hauses bereits Feuer gefangen und das Fundament von Meerwasser umspült wird, ist Ausdruck einer von der fossilistischen Entwicklung maßgeblich geprägten Kollektivität.

Ob Autofahren oder Flugreisen, ob Convenience Food oder Fast Fashion, ob das Streamen von Serien oder das Kommunizieren mit dem Smartphone, die Abhängigkeit von maßgeblich fossilistisch geprägten Waren und einer gesellschaftlichen Produktionsweise, die vom motorisierten Individualverkehr über die agroindustrielle Nahrungsmittelproduktion bis zum Führen imperialistischer Kriege an der stofflichen Basis fossiler Energie hängt, ist bei allen Versuchen, grüne Alternativen zu schaffen, ungebrochen. Erschwerend hinzu kommt, daß grüne Innovationen auf der Höhe erreichter Produktivkraftentwicklung ihrerseits in erheblichem Maße auf industriellen Voraussetzungen beruhen, die ohne eine klimatisch unverträgliche Freisetzung von Treibhausgasen nicht funktionierten. Ohne Baustoffe wie Stahl, Zement, Kunststoffe aller Art, seltene Erden und begrenzt verfügbare Mineralien wie Quartz oder Phosphor kann diese Art des ökonomischen Wachstums nicht aufrechterhalten werden. Wenn grüne Technologien ihrem Anspruch gerecht werden und weniger stofflichen Aufwand benötigen, dann sind sie auch nicht in gleicher Weise wie die fossilistische Produktionsweise für eine Mehrwertabschöpfung geeignet, die als Existenzzweck der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft bezeichnet werden kann.

Um die Diskussion über die hartnäckige Dominanz des fossilen Kapitalismus zu eröffnen, anstatt auf Scheinalternativen auszurutschen, mit denen die gleiche desaströse Entwicklung in Grün fortgesetzt wird, empfiehlt sich ein Blick auf den Dokumentarfilm Planet of the Humans [1]. Er ist nach seiner Veröffentlichung im Netz bereits auf erhebliche Kritik gestoßen, was zu erwarten war, weil seine Macher das Einspannen sozialökologischer Bewegungen für grünkapitalistische Ziele ausführlich kritisieren. Herauszufinden, inwiefern sie mit ihrer Analyse danebenliegen oder doch ins Schwarze des Problems treffen, könnte ein guter Anlaß sein, die erzwungene Aktionspause für eine Diskussion zu nutzen, die tatsächlich weiterführt, weil sie vor unbescheidenen Fragen nicht zurückschreckt.


Fußnote:

[1] https://www.youtube.com/watch?v=Zk11vI-7czE

25. April 2020


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang