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REPRESSION/1320: Mutationen des politischen Strafrechts (SB)



Mit dem neuen Staatsschutzstrafrecht nach Paragraph 89a StGB soll eine vermeintliche Strafbarkeitslücke geschlossen werden, die den Organisationsstraftatbestand nach Paragraph 129 a/b StGB betrifft. Die darin verankerte Strafbarkeit des Bildens oder Unterstützens einer terroristischen Vereinigung wurde eigens dafür ausgelegt, auf den Nachweis des Ausführens einer Straftat bei der Einzelperson verzichten zu können. Allein die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die aufgrund einer administrativen Entscheidung als terroristische Vereinigung gebrandmarkt wird, oder deren Förderung reichen aus, um sich eines strafwürdigen Vergehens schuldig zu machen.

Es handelt sich um ein Kollektivstrafrecht, mit dem Menschen verfolgt werden, die aufgrund ihrer radikalen politischen Ansichten als Staatsfeinde gelten. Der gemeinschaftliche Charakter ihres Vergehens entspricht der antagonistischen Genese widerständiger politischer Gesinnungen, die mit Hilfe der Kriminalisierung insbesondere eines Zusammenschlusses von Menschen, der sich durch Dritte nicht kontrollieren und zerschlagen läßt, im Keim erstickt werden sollen. Bekanntlich dient Paragraph 129 a/b vor allem als Ausforschungs- und Ermittlungsinstrument der Staatsschutzbehörden, kommt es nach den Observationen und Zugriffen doch nur selten zur Eröffnung von Strafverfahren und noch sehr viel seltener zu Schuldsprüchen. Damit sanktionierte Gewaltdelikte wären ohnehin strafbar gewesen, allerdings wären die prozessualen Hürden vor einer Verurteilung nach konventionellem Strafrecht höher, muß in diesem Fall doch lediglich die Unterstützung oder Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, in deren Namen etwa ein Anschlag begangen wurde, nachgewiesen werden.

Mit der neuen Gesetzgebung sollen nun "islamistische (...) Täter, die ohne feste Einbindung in eine hierarchisch aufgebaute Gruppe in nur losen Netzwerken oder allein agieren" und sich dabei der "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat" (Pressemitteilung Bundesjustizministerium, 28.05.2009) schuldig machen, den weitgefaßten Strafnormen des politischen Strafrechts unterworfen werden. Dazu hat man den Gesinnungscharakter des 129 a/b, der sich gegen Gruppen, Organisationen und Parteien mit einer konkreten Programmatik richtete, indvidualisiert und auf "strafbare Vorbereitungshandlungen" übertragen, zu deren Bestimmung man allerdings auf den Faktor "Gesinnung" nicht verzichten kann.

Um die strafwürdige Vorbereitung einer terroristischen Gewalttat von einem straflosen Aufenthalt in sogenannten Terrorcamps oder dem Besuch einer terroristische Botschaften verbreitenden Webseite differenzieren zu können, bedarf es des Nachweises, daß der Terrorverdächtige absichtsvoll und zielgerichtet eine staatsfeindliche Gewalttat vorbereitet. Da dies bei Menschen, die, wenn sie tatsächlich entschlossen wären, ein terroristisches Verbrechen zu begehen, dies anderen kaum mitteilen dürften, nur schwer möglich ist, muß das ganze Arsenal des politischen Strafrechts aufgefahren werden. Da der wesentliche Zweck, ein die Grenzen konventioneller Rechtsprechung überschreitendes Strafrecht zu formulieren, in der Schwächung der Rechte des Angeklagten besteht, verfügt der Staat mit den neuen Strafnormen über ein erhebliches Machtmittel zur Einschüchterung und Unterdrückung politischer Abweichler, die nicht zwingend einer bestimmten Religion oder Weltanschauung folgen müssen.

29. Mai 2009