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REPRESSION/1350: Greenpeace arbeitet dem Sicherheitsstaat zu (SB)



Einen kapitalen Bock ganz eigener Art schoß die Umweltorganisation Greenpeace anläßlich des Jahrestages zu den Anschlägen des 11. September 2001 ab. Ihre im Grundsatz unterstützenswerte Aktion, die Abschaltung von Atomkraftwerken in Deutschland öffentlichkeitswirksam zu fordern, nimmt durch den von den Aktivisten erhobenen Vorwurf, die Behörden ignorierten die Gefahr eines Anschlags auf die AKWs in unverantwortlicher Weise, eine höchst kontraproduktive Wendung. Indem sie den Slogan "Nur abschalten ist sicher!" in den Kontext der Terrorismusabwehr stellen, bieten sie allen Politikern zumindest so lange, wie diese Forderung nicht erfüllt ist, eine Steilvorlage zur Durchsetzung der Militarisierung des Sicherheitsstaats.

"Acht Jahre nach dem 11. September 2001 gibt es noch immer keine ausreichenden Schutzmaßnahmen gegen terroristische Angriffe auf AKW. Aus internen Dokumenten unter anderem des Bundeskriminalamtes geht hervor, dass die Sicherheitsbehörden das Risiko eines Terroranschlags aus der Luft auf ein deutsches AKW nicht mehr ausschließen. Gleichzeitig ist die bisherige Abwehrtaktik, das AKW im Falle eines Angriffs zu vernebeln, gescheitert. Darin sieht selbst das Bundesumweltministerium '...keine wesentliche Verbesserung der Sicherheit der Kernkraftwerke..." (Protokollentwurf Bund-Länder Fachgespräch vom 23. 4. 2007).'"
(www.greenpeace.de, 11.09.2009)

Unerwähnt bleibt die Debatte um das Luftsicherheitsgesetz und den damit einhergehenden Versuch, der Exekutive die Vollmacht an die Hand zu geben, nach eigenem Ermessen über Leben und Tod der Bürger zu entscheiden. Die Gefahr terroristischer Anschläge auf Kernkraftwerke zu einem zentralen Argument für ihre Abschaltung zu machen zeugt angesichts der Virulenz, mit der die vom Bundesverfassungsgericht vorerst gestoppte Ermächtigung, im Ernstfall zivile Passagierflugzeuge abzuschießen, weiterhin im Raum erwünschter Gesetzgebungen steht, von frappanter Ignoranz gegenüber der Gefahr, die für in Deutschland lebende Menschen vom Vormarsch des Sicherheitsstaats ausgeht. So hat Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble im Interview mit Welt am Sonntag (12.09.2009) noch einmal konstatiert: "Es gibt Gefahren, denen können Sie nur militärisch begegnen. Die Grenze zwischen Polizei und Militär verläuft in der Realität nicht mehr an Landesgrenzen. Diese Realität sollten wir auch im Recht abbilden."

Eine sehr viel validere, die aktuelle Wirklichkeit polizeilicher und geheimdienstlicher Repression betreffende Kritik an den mit AKWs einhergehenden Gefahren für die Bürgerrechte besteht in der durch komplexe großindustrielle Infrastrukturen vorangetriebenen Ausweitung der Kontroll- und Zugriffskompetenzen des Staates. In den 70er Jahren war Anti-AKW-Aktivisten der Begriff des "Atomstaats" selbstverständliches Argument im Widerstand gegen die politische Durchsetzung dieser Form der Energieerzeugung, weil die potentielle Angreifbarkeit zentralisierter Versorgungsysteme nicht nur sicherheitsadministrative Sachzwänge nach sich zieht, sondern von vornherein eingeplant wird, um entsprechende Verfügungsstrukturen zu legitimieren. Nicht zu vergessen ist dabei die dem Iran bei der zivilen Nutzung der Atomenergie angelastete Entwicklung der technologischen Befähigung, die zivile Atomforschung zu militarisieren. Sich zum Sachwalter sicherheitsstaatlicher Kompetenzausweitungen zu machen heißt, trotz Kritik an AKWs das Geschäft der Herrschenden zu verrichten und die notwendige Kooperation ökologischer und staatskritischer Oppositionsbewegungen zu schwächen.

13. September 2009