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REPRESSION/1362: Kanadier foltern keine afghanischen Gefangenen? (SB)



Kanadier foltern keine afghanischen Gefangenen. Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen haben jedoch herausgefunden, daß Gefangene, die von den kanadischen Besatzungstruppen gemäß einem Abkommen vom Dezember 2005 an die afghanischen Behörden übergeben wurden, daraufhin schweren Mißhandlungen ausgesetzt waren. Dem Versuch, die Überstellungspraxis der Streitkräfte vor einem kanadischen Gericht anzufechten, war allerdings kein Erfolg beschieden. Die Regierung Premierminister Stephen Harpers wies zunächst diesbezügliche Vorwürfe zurück, doch wurden bei Unterzeichnung eines zweiten Transferabkommens im Jahr 2007 angeblich wirksame Sicherheitsklauseln in den Vertrag aufgenommen.

Ist diese Behauptung für sich genommen schon absurd genug, so flog die langjährig praktizierte Vertuschung der Beteiligung an einem Folterregime endgültig auf, als der hochrangige kanadische Diplomat Richard Colvin vor wenigen Tagen vor einem parlamentarischen Ausschuß aussagte, daß während seiner Zeit als Stellvertreter des Chefdiplomaten der kanadischen Botschaft in Kabul in den Jahren 2006 und 2007 wahrscheinlich alle an die örtlichen Sicherheitskräfte überstellten Gefangenen gefoltert worden seien.

Wie die New York Times (23.11.09) berichtet, bezeichnete Colvin, der inzwischen dem Botschaftspersonal seines Landes in Washington angehört, den Umgang der eigenen Streitkräfte mit afghanischen Gefangenen als "unkanadisch, kontraproduktiv und vermutlich illegal". Er legte vor dem Ausschuß detailliert seine Bemühungen dar, die Regierung in Ottawa und die militärische Führung darüber zu informieren, daß Gefangene sexuell mißbraucht, geschlagen, gestochen, verbrannt und auf andere Weise gequält wurden. Man habe seine Warnungen jedoch ignoriert und ihm befohlen, seine Vorwürfe einzustellen.

Die Regierung bediente sich zunächst der nationalen Sicherheitsgesetze, um Colvin mundtot zu machen und seine Kooperation mit einer Kommission der Militärpolizei zu verhindern, die das Schicksal der überstellten Gefangenen aufklären sollte. Nach der jüngsten Anhörung vor dem Parlamentsausschuß ging man dazu über, Colvins Glaubwürdigkeit auf eine so rüde wie plumpe Weise in Zweifel zu ziehen, daß dieses Manöver augenblicklich auf seine Urheber zurückfällt. So behauptete Verteidigungsminister Peter MacKay kurzerhand, Colvins Angaben beruhten auf Hörensagen, Informationen aus zweiter oder gar dritter Hand, wenn sie nicht ohnehin direkt von den Taliban gekommen seien. Colvin sei nie Zeuge von Folter geworden, und afghanische Gefangene entbehrten jeder Glaubwürdigkeit, da es sich bei ihnen um Leute handle, die Schulkindern Säure ins Gesicht schütten und Busse in ihrem eigenen Land in die Luft sprengen.

Inzwischen hat jedoch der Chef der kanadischen Streitkräfte, General Walter Natynczyk, eingeräumt, daß man in mehr als einem Fall Gefangene nicht an die afghanische Regierung überstellt habe, weil man um ihre Sicherheit fürchtete. Wie paßt das mit der Behauptung des Verteidigungsministers zusammen, die Foltervorwürfe seien aus der Luft gegriffen oder schlichtweg Feindpropaganda? Die konservative Regierung hat bislang nur einen einzigen Fall im November 2007 zugegeben, bei dem man den Transfer aus Sicherheitsgründen nicht vorgenommen habe.

Das dicke Ende kommt also noch, wenngleich MacKay bei derselben internationalen Sicherheitskonferenz in Halifax, auf der sich General Natynczyk wie beschrieben geäußert hatte, stur auf seiner ursprünglichen Version beharrte: Es gebe keinen Beweis, daß auch nur ein einziger gefangener Taliban nach Überstellung durch die kanadische Streitkräfte gefoltert wurde.

Davon abgesehen, daß dieser Beweis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit folgen wird, wenn der Pakt des Verschweigens, Vertuschens und Bestreitens erst einmal Risse bekommen hat und der Stein gegenseitiger Schuldzuweisungen der Mittäter und Mitwisser ins Rollen gekommen ist, bleibt doch folgendes festzuhalten: Daß die Amerikaner, Briten und Afghanen ihre Gefangenen foltern, ist hinlänglich bekannt. Selbst wenn die Kanadier mit ihren rund 2.700 Soldaten am Hindukusch niemals eigenhändig foltern, was gelinde gesagt bezweifelt werden darf, macht sie eine Überstellung von Gefangenen an die afghanischen Sicherheitskräfte automatisch zu Mittätern. Des weiteren gilt das natürlich im Grunde für alle anderen Streitkräfte, Geheimdienste und Regierungen, die gemeinsam mit den Amerikanern Krieg führen.

24. November 2009