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REPRESSION/1373: Erdogan und Merkel handelseinig ... bei der Mißachtung kurdischer Rechte (SB)



Der erste Staatsbesuch der deutschen Bundeskanzlerin in der Türkei seit vier Jahren stand, abgesehen vom Thema des EU-Beitritts des Landes, ganz im Zeichen der hiesigen Integrationsdebatte. Die von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan erhobene Forderung nach türkischsprachigen Gymnasien in der Bundesrepublik und die darauf erfolgte Reaktion Angela Merkels bestimmten den Nebenkriegsschauplatz der Wahl, an dem sich die beiden Regierungsoberhäupter abarbeiten konnten, ohne über schwerwiegendere Konflikte sprechen zu müssen. So blieb die Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung in den offiziellen Verlautbarungen und in der deutschen Berichterstattung zu diesem Staatsbesuch praktisch ausgeklammert. Dabei hätte mit diesem Thema auch ein Beitrag zur Frage der Spracherziehung geleistet werden können, findet in türkischen Schulen doch kein Unterricht in kurdischer Sprache statt. Und nicht nur das, auch kurdischen Politikern ist es verboten, sich in ihrer Sprache auszudrücken. Hätte die Bundeskanzlerin verlangt, neben türkisch- auch kurdischsprachigen Unterricht in deutschen Gymnasien anzubieten, wäre die Forderung Erdogans möglicherweise schnell vom Tisch gewesen.

Auch hinsichtlich der vielzitierten Fortschritte demokratischer und menschenrechtlicher Art, die die Türkei auf ihrem Weg in die EU zu vollziehen hat, hätte das Thema der kurdischen Minderheit ganz oben auf der Agenda stehen müssen. So wurde die kurdische Partei DTP (Partei der demokratischen Gesellschaft) vor wenigen Monaten, am 11. Dezember 2009, durch das türkische Verfassungsgericht verboten, obwohl es sich um eine demokratische Organisation handelt, der es bei den Parlamentswahlen 2007 gelang, unter legaler Umgehung der undemokratischen Sperrklausel von 10 Prozent 20 Kandidaten ins Parlament zu bringen und damit die viertgrößte Fraktion zu stellen. Als Interessenvertretung eines Fünftels der türkischen Bürger trat die DTP für bessere politische und kulturelle Rechte der größten ethnischen Minderheit des Landes ein. Weil ihre Politiker die verbotene PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) nicht als Terrororganisation bezeichnen wollten und für eine friedliche Lösung des Konflikts zwischen der PKK und dem türkischen Staat eintraten, wurde der Partei angelastet, als verlängerter Arm der verbotenen Organisation zu agieren.

Ganze 54 der 80 Mitglieder des Parteirats der DTP wurden wegen angeblicher Mitgliedschaft in der PKK noch vor dem Verbot der Partei verhaftet. Anschließend wurden 36 Parteimitglieder mit einem fünfjährigen Politikverbot belegt, damit sie in keiner Nachfolgepartei, als die die BDP (Partei für Frieden und Demokratie) gilt, tätig werden können. Dieser antidemokratische Vorgang fand, obwohl er eine Partei betraf, die sich in besonderer Weise für die Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union stark macht, hierzulande kaum Beachtung. Das wiegt um so schwerer, als politischen Aktivitäten in Deutschland lebender Kurden, die die eigenen Autonomiebestrebungen betreffen, nicht nur mit Feindseligkeit, sondern konkreter Repression entgegengetreten wird.

Es ist daher nicht abwegig, von einer relativen Interessengleichrichtung zwischen der Bundesregierung und der Regierung in Ankara hinsichtlich der Unterdrückung kurdischer Eigenständigkeit selbst im Rahmen des türkischen Staats auszugehen. So scheint das Verbot der PKK, die in der Bundesrepublik als kriminelle und in der EU als terroristische Vereinigung behandelt wird, nicht viel anders als in der Türkei selbst so restriktiv ausgelegt zu werden, daß selbst das Schwenken eines PKK-Fähnchens oder das Zeigen eines Bildes des PKK-Gründers Abdullah Öcalan als Straftat verfolgt wird. Als Teilnehmer einer internationalen Konferenz zu den Problemen der Kurden in der Türkei, die vor kurzem in Diyarbakir stattfand, antwortete der ehemalige außenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Norman Paech, auf die Frage, warum die Regierung in Ankara es wohl nicht werde vermeiden können, zum Zwecke einer Konfliktlösung mit der PKK und dabei ihrem inhaftierten Vorsitzenden Öcalan zu verhandeln:

"Das versteht man wohl nur, wenn man in dieser Region gewesen ist und mit den Menschen gesprochen hat. Die PKK ist dort immer noch ein enormer politischer Faktor. Sie ist militärisch nur vorgegangen, wenn sie angegriffen wurde, sie hat immer ihre Waffenstillstandsangebote eingehalten, sie hat nichts mit Terrorismus zu tun - das wurde auf der Konferenz auch immer wieder betont. Öcalan wird von der Bevölkerung immer noch bewundert, er ist eine Symbolfigur. Eine Entspannung der Situation und ein fruchtbarer Dialog sind erst dann möglich, wenn er in Freiheit ist."
(junge Welt, 04.03.2010)

Anstatt in diesem Sinne auf eine friedliche Lösung des Konflikts hinzuarbeiten, erweist sich die angeblich so sehr um die demokratischen und Menschenrechte aller Türken besorgte EU als Erfüllungsgehilfin kemalistischer Nationalisten. Anfang März wurden in einer länderübergreifenden Aktion französischer, italienischer und belgischer Sicherheitsbehörden zahlreiche Kurden verhaftet und die Einrichtungen des kurdischsprachigen Fernsehsenders Roj TV regelrecht zerstört. Roj TV ist der Regierung in Ankara ein besonderes Ärgernis, fungiert der Sender doch als Kommunikationsmedium für in der EU lebende Kurden. Auch hier erwies sich die Bundesrepublik mit dem auf Anweisung des Bundesinnenministeriums vor zwei Jahren erfolgten Verbot des Senders als zuverlässige Sachwalterin türkischer Regierungsinteressen.

Das Selbstbestimmungsrecht der Kurden zu negieren, während man die NATO für die separatistischen Bestrebungen der Kosovo-Albaner in einen völkerrechtswidrigen Krieg führt und die serbische Provinz auf nicht minder illegale Weise vom Staatsgebiet Serbiens abtrennt - dieser Widerspruch bringt die Interessenpolitik deutscher Regierungen auf den Punkt einer imperialistischen Selbstherrlichkeit, dergegenüber die Interessen davon betroffener Menschen keinen Bestand haben sollen. Die Ausklammerung des Kurdenthemas aus den deutsch-türkischen Konsultationen belegt, daß man sich auf dem Rücken Dritter schnell handelseinig werden kann. Deren berechtigte Forderungen gemeinsam zu kriminalisieren bedeutet allerdings noch lange nicht, daß türkischen Interessen auf Augenhöhe entsprochen würde.

30. März 2010