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REPRESSION/1374: Der endlose Terrorkrieg ... John McCain plant den Geheimdienststaat (SB)



Auch wenn es hierzulande etwas stiller um den 2008 unterlegenen Präsidentschaftskandidaten John McCain geworden ist, so heißt das nicht, daß der US-Senator nicht in Washington sehr aktiv wäre. Allerdings entsprechen seine politischen Initiativen ganz und gar nicht dem Ruf des moderaten Politikers, den McCain hierzulande unverdientermaßen genießt. Als ihm 2006 die Friedensmedaille der Münchner Sicherheitskonferenz verliehen wurde, wußten die Weltordnungskrieger zwar noch nicht, daß McCain ihnen im nächsten Jahr auf einer Wahlkampfveranstaltung mit seiner Version des Beach Boys-Klassikers "Barbara Ann" aus der Seele sprechen würde. Zweifellos wäre ihm diese Ehrung auch trotz oder wegen des Refrains "Bomb, bomb, bomb; bomb, bomb, Iran" zuteil geworden.

Der Senator aus Arizona, der 1999 mit seiner Doktrin des "Schurkenstaaten-Rollbacks" Bushs Kampf gegen die Tyrannen der Welt vorwegnahm, verdankt seinen guten Ruf in Europa vor allem seinem Eintreten für ein Folterverbot. Als er 2006 damit Schlagzeilen machte, blieb die von ihm unterschriebene Einschränkung des Detainee Treatment Act, laut der ein solches nicht für die Verhörexperten der CIA gelten solle, meist unerwähnt. Auch wurde kaum berichtet, daß er sich für die Gültigkeit der Ausnahmeregelung aussprach, derzufolge das Foltern eines Menschen akzeptabel sei, wenn dadurch ein Anschlag verhindert werden könne.

Im Februar 2008 stimmte McCain im US-Senat gegen eine Gesetzesvorlage, die die US-Geheimdienste dazu verpflichtete, im Handbuch der US-Armee verbotene Verhörmethoden wie Waterboarding, Scheinhinrichtungen, sexuelle Erniedrigung und andere Foltermethoden zu unterlassen. Wie ein roter Faden zieht sich die Vorliebe für die Etablierung einer mächtigen Geheimexekutive durch das politische Wirken des Senators aus Arizona. Das belegt auch das am 4. März von McCain als Hauptinitiator zusammen mit Senator Joe Liebermann im US-Kongreß vorgestellte Gesetz "Enemy Belligerent, Interrogation, Detention, and Prosecution Act of 2010". Zwar ist keineswegs gewährleistet, daß die bislang von acht republikanischen Senatoren unterstützte Gesetzesvorlage in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Doch die Tatsache, daß die US-Verfassung angeblich achtende, sich zu Freiheit und Demokratie bekennende US-Politiker einen Vorstoß zur Etablierung eines regelrechten Willkürregimes unternehmen, verdient allemal Beachtung.

Darüberhinaus wird in dem mit zwölf Seiten recht überschaubaren Gesetzestext ein Begriff verwendet, der den zum Inbegriff der Rechtswillkür des "Globalen Kriegs gegen den Terrorismus" gewordenen Terminus des "unlawful enemy combatant" ersetzt und fortschreibt. 2009 hat US-Präsident Barack Obama mit der Neufassung des berüchtigten Military Commissions Act (MCA) of 2006 zwar einige besonders menschen- und völkerrechtsfeindliche Sonderbefugnisse seines Vorgängers George W. Bush und der US-Militärtribunale zurückgenommen, doch mit dem Begriff des "unprivileged enemy belligerent" eine lediglich kosmetische Korrektur hinsichtlich der Rechtlosigkeit der davon betroffenen Gefangenen vorgenommen. So reicht schon die Mitgliedschaft bei Al Qaida - und nicht erst, wie im vorherigen MCA, die Beteiligung an oder Unterstützung von Feindseligkeiten gegenüber den USA - dazu aus, unter diesem Titel den Nachteilen ausgesetzt zu werden, die Verhandlungen vor US-Militärgerichten für die Angeklagten mit sich bringen. Wie zuvor erstreckt sich die Zuständigkeit der Militärgerichte auch unter Obama nicht nur auf Personen, die in Kriegsgebieten bei Kämpfen gegen US-Truppen oder Anschlägen auf US-Einrichtungen gefangengenommen werden, sondern auf alle, die an irgendeinem Ort der Welt des Terrorismus verdächtigt werden, so lange es sich nicht um US-Bürger handelt. Mit dieser Einschränkung wird offiziell bestätigt, daß die Rechtsprechung der US-Militärgerichte nicht den Rechtsstandards des zivilen Justizwesens entspricht, sprich daß Terrorverdächtige weniger Rechte als normale Angeklagte in Anspruch nehmen können und damit weniger Möglichkeiten besitzen, sich vor Justizwillkür zu schützen.

So wurde mit der Einführung des Begriffs "unprivileged enemy belligerent" die Entrechtung einer Gruppe von Menschen fortgesetzt, die sich angeblich mit den USA im Krieg befinden und die ihrem "unterprivilegierten" Status gemäß kaum Möglichkeiten besitzen, dies zu widerlegen. McCain verlangt nun unter Verweis auf den unter dubiosen Umständen vereitelten Anschlag des sogenannten Unterhosenbombers zu Weihnachten 2009, daß Terrorverdächtigen nicht, wie in diesem Fall geschehen, bei der Verhaftung erklärt wird, welche Rechte sie in Anspruch nehmen können. Viel mehr "müssen handfeste Geheimdiensterkenntnisse höchste Priorität haben, während die Strafverfolgung zweitrangig ist", so McCain bei der Vorstellung seiner Gesetzesvorlage. Indem er mehrfach seine Abscheu darüber, einem Terrorverdächtigen zu erklären, daß er die Aussage verweigern kann und Recht auf einen Anwalt hat, kund tat, machte der Senator kein Hehl daraus, daß die vor allem anderen - angeblich zur Vermeidung eines weiteren Anschlags - zu verhörenden Personen, wenn es nach ihm ginge, keinerlei Schutz vor Mißhandlungen und Folter hätten.

Um den Zugriff der Geheimdienste auf Verdächtige so freizügig wie möglich zu gestalten, sollen diese befugt werden, Personen, und zwar auch US-Bürger, innerhalb wie außerhalb der USA festzunehmen und in Militärhaft zu bringen. Erst dann soll in einem Zeitraum von bis zu 48 Stunden festgestellt werden, ob es sich bei ihnen um "nichtprivilegierte feindliche Kriegsteilnehmer" handelt oder nicht. Die dazu erforderlichen Vernehmungen sollen von einer behördenübergreifenden Gruppe aus Verhörexperten durchgeführt werden, die sich aus Mitgliedern der Geheimdienste und anderer mit der Nationalen Sicherheit befaßter Institutionen der Exekutive rekrutieren. Den als "high-value detainees" - für die US-Regierung besonders wertvolle Gefangene - eingestuften Personen, die verdächtigt werden, "unprivileged enemy belligerents" zu sein, werden die Rechte, die jedem wegen eines Tatverdachts verhafteten Menschen laut US-Strafrecht üblicherweise zustehen, vollständig vorenthalten. Sie sollen schon vor der offiziellen Entrechtung, die der zu ermittelnde Status mit sich brächte, als Nichtmenschen behandelt und einer Gruppe aus Beamten verschiedener Sicherheitsapparate ausgeliefert werden, die nur das eine Interesse haben, ihnen Hinweise auf möglicherweise drohende Gefahren abzunötigen. Die Betroffenen werden auf kafkaeske Weise ihrer Freiheit beraubt, weil sie verdächtigt werden, verdächtig zu sein.

Da zur Bestimmung des Status eines "nichtprivilegierten feindlichen Kriegsteilnehmers" Geheimdienstmaterial aller Art herangezogen werden soll, hätte die sogenannte "high-value detainee interrogation group" entscheidenden Einfluß auf die Einstufung der ihr ausgelieferten Gefangenen. Zwar sollen der Verteidigungsminister und der Justizminister die Gültigkeit dieser Bewertung absegnen, doch da diese Entscheidungsträger auf die Einschätzung der Geheimdienstler und Verhörexperten angewiesen sind, liegt das Schicksal der Gefangenen in den Händen derjenigen, die aller Voraussicht nach Hand an sie legen.

Da zu den Kriterien, nach denen der Status der Rechtlosigkeit erwirkt werden soll, auch der "mögliche nachrichtendienstliche Wert" des Gefangenen, seine "Mitgliedschaft bei Al Qaida oder einer terroristischen Gruppe, die mit Al Qaida assoziiert ist", sowie "andere Gründe, die der Präsident für angemessen hält", gehören, gibt es diverse Möglichkeiten, einen Menschen unter dieser Vorgabe unbegrenzt und ohne Anspruch auf einen Prozeß festzuhalten. Unbegrenzt daher, weil die Dauer der "Feindseligkeiten gegen die Vereinigten Staaten oder ihre Verbündeten", auf die sich McCain beruft, erklärtermaßen unbestimmt ist. Ohnehin geht es dem Senator, wie er bei Vorlage seiner Gesetzesinitiative erklärte, darum, "ein System für die langfristige Gefangenschaft von Terroristen zu etablieren, die zu gefährlich sind, um freigelassen zu werden, gegen die aber auch nicht vor zivilen Gerichten verhandelt werden kann". Warum die Betroffenen als Terroristen angesehen werden und wer sie dazu erklärt, scheint dem sich gerne gesetzestreu gebenden Politiker keine Frage zu sein.

Die Definition für "terroristischer Akt", auf die in der Gesetzesvorlage verwiesen wird, ist so weit gefaßt, daß sie sich etwa auch auf Akte des zivilen Ungehorsams, des passiven Widerstands oder der politischen Meinungsbekundung erstrecken könnte. Laut Artikel 101, Absatz 15 des Homeland Security Act of 2002 gehören dazu unter anderem Handlungen, "mit denen beabsichtigt zu sein scheint, eine zivile Bevölkerung einzuschüchtern oder zu nötigen" oder "die Politik einer Regierung durch Einschüchterung oder Nötigung zu beeinflussen".

Zu dem von McCain vorangetriebenen Willkürregime einer Geheimexekutive paßt die von US-Präsident Obama autorisierte extralegale Hinrichtung des US-Bürgers Anwar al-Awlaki wie die Faust auf das vor so viel Sicherheitsbeflissenheit tränende Auge. Awlaki wird verdächtigt, den vereitelten Anschlag des sogenannten Unterhosenbombers Umar Farouk Abdulmutallab am 25. Dezember 2009 in Auftrag gegeben und den Attentäter von Fort Hood, den Armeepsychiater Major Nidal Malik Hasan, durch aufhetzende Predigten zu seiner Tat veranlaßt zu haben. Den im Jemen vermuteten und der Mitgliedschaft bei Al Qaida bezichtigten US-Bürger voraussichtlich mit einer Rakete, die von einer ferngesteuerten Drohne abgefeuert wird, umzubringen ist Ausdruck einer Kriegführung, die so entgrenzt, so zeit- und ortlos ist, daß die für den Kriegsfall geltenden Vollmachten staatlicher Handlungsgewalt mit den dem staatlichen Gewaltmonopol unter Friedensbedingungen auferlegten Einschränkungen praktisch in eins fallen.

Das Ergebnis dieser auf systematische Weise Handlungs- und Legitimationskontingenz produzierenden Politik besteht in der dauerhaften Zerstörung jeglicher Berechenbarkeit und Verläßlichkeit staatlicher Gewaltanwendung. Um so entschiedener wird die Etablierung einer Freund-Feind-Unterscheidung betrieben, mit der Menschen, die aus ganz anderen Gründen als den unterstellten den eigenen Interessen im Weg stehen, für unabsehbare Zeit die Freiheit geraubt werden kann, wenn man nicht ohnehin auf der Basis nebulöser Geheimdienstinformationen das Todesurteil über sie fällt. Der von John McCain avisierte Geheimdienststaat leistete einer solchen Entwicklung wirksam Vorschub.

8. April 2010