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REPRESSION/1396: Sicherungsverwahrung als "Unterbringung" ... innovative Freiheitsberaubung (SB)



Von einer "rechtlich und menschlich ungewöhnlich komplizierten Materie" sprachen Bundesinnnenminister Thomas De Maizière und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger am Donnerstag, als sie in Berlin die Einigung der Regierungskoalition auf die Neuordnung der Sicherungsverwahrung vorstellten. Aus der Sicht der davon betroffenen Straftäter ist der Sachverhalt jedoch ganz einfach - sie sollen über das gerichtlich verhängte Strafmaß hinaus eingesperrt bleiben. Diese Praxis hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strasbourg im Dezember 2009 verworfen, weil der deutsche Gesetzgeber das Rückwirkungsverbot bei denjenigen Strafgefangenen mißachtet hatte, die einer nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung und damit einer Doppelbestrafung zum Opfer fielen.

1998 wurde Befristung der Sicherungsverwahrung auf zehn Jahre aufgehoben. 2002 kam die Möglichkeit hinzu, diese Maßnahme auch nachträglich, also während der Verbüßung der Haftstrafe, anzuordnen. Das für das deutsche Strafrecht verbindliche Rückwirkungsverbot wurde umgangen, indem postuliert wurde, daß es sich bei der Sicherungsverwahrung nicht um eine Bestrafung, sondern eine Maßregel handelte, mit der die Gesellschaft vor gefährlichen Straftätern geschützt werden soll. 2004 hatte das dagegen angerufene Bundesverfassungsgericht geurteilt, daß die Sicherungsverwahrung ein "Aliud", etwas Anderes, sei. Sie käme also auf ganz anderem Wege als ein Strafurteil zustande, da sie rein präventiver Art und nicht vom Makel einer abzugeltenden Schuld befleckt, mithin keine Doppelbestrafung wäre. Dieser hochgradig abstrakten Sichtweise hält der emeritierte Kriminologe Arthur Kreuzer in der FAZ (11.03.2020) entgegen:

"Strafe und Verwahrung beruhen gleichermaßen auf schweren, schuldhaft begangenen Taten. Über beide Sanktionen befinden Strafgerichte. Gefährlichkeit kann auch schon in der Strafzumessung berücksichtigt werden. Strafvollstreckungskammern überwachen den Vollzug beider Sanktionen. Für ihn gelten gesetzlich fast deckungsgleich Ziele der Sicherheit und Resozialisierung. Sicherungsverwahrung wird unter vergleichbaren Bedingungen in Abteilungen von Strafanstalten vollzogen. Sie bedrückt Betroffene wie eine schwerste Strafe wegen fehlender klarer Entlassungsperspektive und unabsehbaren Endes. So wird sie auch von den Verwahrten empfunden, nämlich als 'Knast, womöglich bis zum Tod'." [1]

Die aufgrund der in beiden Fällen gegebenen Freiheitsberaubung für das subjektive Erleben identischen Praxis von Straf- und Maßregelvollzug soll, wenn es nach der Bundesregierung geht, in Zukunft mit der innovativen Form der "Unterbringung" fortgeschrieben werden. Gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter sollen unter "haftähnlichen Bedingungen" in neu zu gründenden Einrichtungen untergebracht werden, bei denen es sich weder um Justizvollzugsanstalten noch um psychiatrische Anstalten handelt. In ersterem Fall müßte eine Haftstrafe vorliegen, die bei dem "untergebrachten" Strafgefangenen bereits abgegolten wäre. In letzerem Fall läge eine Geisteskrankheit vor, aufgrund derer der Betroffene strafunfähig und daher von vornherein in die geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Klinik eingeliefert worden wäre.

Das beklagte Dilemma, sich entweder für strafrechtliche und medizinische Maßnahmen entscheiden zu müssen, hätte im ersten und häufigeren Fall die reguläre Entlassung des Delinquenten in die Freiheit zur Folge, wenn die Sicherungsverwahrung nicht bereits bei der Urteilsverkündung vorbehalten oder angeordnet worden wäre, was aufgrund der Schwere dieser Maßnahme nicht unter allen Umständen erfolgen kann. Die nun erdachte Lösung setzt das Vorhandensein einer psychischen Störung voraus, aufgrund derer der Täter zwar strafmündig, gleichzeitig aber so sehr geschädigt sei, daß er weiterhin eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstelle.

Der schwer bestimmbare Charakter einer solchen Störung drückt sich schon in der Abgrenzung zu einer psychopathologischen Erkrankung aus, aufgrund derer der Betroffene nicht mehr Herr seiner Entscheidungskraft ist. Mit psychischen Störungen hingegen können bloße Verhaltensauffälligkeiten gemeint sein, die der solchermaßen diagnostizierte Mensch seinerseits aus völlig rationalen Gründen begeht. Die Feststellung oft auch als Persönlichkeitsstörungen bezeichneter Verhaltensabweichungen ist an soziale und kulturelle Normen gebunden, deren Durchsetzung im Endeffekt eine reine Gewaltfrage ist. Zu diesem Zweck stigmatisierende Kategorien wie die des "Querulanten" haben ihren Ursprung in autoritären Gesellschaftsordnungen und nicht in individuellen Schädigungen, wurden Menschen, die sich gegen politische und soziale Unterdrückung auflehnten, später doch nicht selten als besonders fortschrittliche Geister gefeiert.

Der genauere Blick auf die Definition der für das geplante Gesetz zur Neuordnung der Sicherungsverwahrung in Frage kommenden Tätergruppen ist schon deshalb wichtig, weil die Prognostik, mit denen die Rückfallwahrscheinlichkeit von Sexualtätern bemessen wird, sich als unzuverlässig erwiesen hat. Je nach Untersuchung waren sechs bis neun von zehn Personen, für die eine Sicherungsverwahrung in Betracht gezogen wurde, nicht rückfallgefährdet. Das kann in Anbetracht des großen gesellschaftlichen und politischen Einflusses auf alle Formen präventiver Gefahrenabwehr nicht erstaunen, arbeitet sich doch gerade am Beispiel des Sexualstraftäters ein aus ganz anderen Gründen frustriertes bürgerliches Gerechtigkeitsempfinden mit Forderungen ab, die bis zur lebenslänglichen Internierung in Lager oder zur Todesstrafe reichen.

Zudem trägt bei dem bereitwilligen Wegsperren dieser Tätergruppe ein Sicherheitsabsolutismus Früchte, dessen Protagonisten den Eindruck erwecken, man könne tatsächlich jede Straftat mit polizeilichen und gesetzlichen Maßnahmen verhindern. Die sich dieses Wunsches bedienende Logik der Prävention führt zu einer Vorverlagerung der Strafverfolgung mit dem Ergebnis, daß Menschen, die sich nichts haben zuschulde kommen lassen, aufgrund genetischer oder sozialer Dispositionen Zwangsmaßnahmen drohen. Der Neigung, den Sicherheitsimperativ zu totalisieren, wurde und wird insbesondere im Bereich der Terrorismusbekämpfung gefrönt, wenn sogenannte Terrorverdächtige oder illegale feindliche Kombattanten allein aufgrund einer probabilistischen Disposition ihrer Freiheit und Rechte beraubt werden.

Das geplante "Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter" schützt die Entschärfung der Sicherungsverwahrung vor, um eine Form der nicht strafrechtlich bestimmten Freiheitsberaubung zu erwirtschaften, die vor dem EGMR Bestand hat. Die Gefahr, die von dieser kreativen Auslegung bestehender Rechtsgrundsätze ausgeht, liegt vor allem darin, daß eine administrative Form der Internierung bestimmter Menschengruppen außerhalb strafrechtlicher und psychiatrischer Zuständigkeit erwirkt wird, die sich gegen weitere, das ordentliche Funktionieren der Gesellschaftsmaschine störende Menschengruppen einsetzen läßt.

Zwar konnten sich die Unionspolitker, die strafentlassene Terroristen in Sicherungsverwahrung nehmen wollten, noch nicht durchsetzen. Ihre Absicht dokumentiert allerdings die Neigung, den Anwendungsbereich dieser Zwangsmaßnahme aus politisch opportunen Gründen entufern zu lassen. Schon die bisherige Praxis, die Androhung einer Sicherungsverwahrung bei Gericht als Druckmittel gegen Angeklagte einzusetzen, sie nicht nur bei Gewalttaten, sondern auch Delikten wie Betrug oder Heiratsschwindel zu verhängen wie auch die stetig anwachsende Zahl von mittlerweile mehr als 500 Sicherheitsverwahrten belegen den expansiven instrumentellen Charakter dieses Zwangsmittels. So sind in den "Gemeinsamen Eckpunkten des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums des Innern für die Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und begleitende Regelungen" [2] einige Einfallstore für Willkürmaßnahmen eingebaut.

Zwar hat sich die Bundesjustizministerin ausbedungen, die Sicherungsverwahrung künftig nur noch in schweren Fällen von körperlicher Gewaltanwendung wie Mord oder Vergewaltigung anzuordnen. Daß es dabei bleiben wird, ist jedoch nicht gesichert. Dafür soll die Maßnahme künftig auch auf Ersttäter angewendet werden, zudem ist ihre nachträgliche Anordnung nicht grundsätzlich vom Tisch. In den Eckpunkten ist lediglich die Rede davon, daß diese aufgrund der "Erweiterungen im Recht der Sicherungsverwahrung (...) obsolet" wäre, sprich jetzt nicht erforderlich, aber bei Bedarf wieder zu aktivieren. Zu den Erweiterungen gehört auch der "Verzicht auf die (sichere) Feststellung eines Hangs des Täters zu erheblichen Straftaten", also die relativierte Überprüfbarkeit der Gründe für die Anordnung einer Sicherungsverwahrung.

Des weiteren soll die Führungsaufsicht bei entlassenen Strafgefangenen nicht nur bei Sexualstraftätern, sondern auch bei Tätern, "bei denen eine elektronische Aufenthaltsüberwachung grundsätzlich möglich wäre und die wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen Leben, Leib, persönliche Freiheit oder wegen schwerer Raub- oder Erpressungsdelikte verurteilt wurden", unbefristet ausgedehnt werden. So können potentiell lebenslängliche Zwangsmaßnahmen wie das Tragen einer elektronischen Fußfessel, die verschärfte Meldepflicht, die überwachte Einnahme von Psychopharmaka, das Verbot von Alkohol et cetera vom Sonder- zum Regelfall strafrechtlicher Nachsorge werden. Dieser bislang wenig beachtete Punkt trägt erheblich zur Durchsetzung von Techniken der Sozialkontrolle bei, deren Einsatz gegen mißliebige Gruppen auf dem Weg zum autoritären Sicherheitsstaat liegt, wie die bereits erhobene Forderung nach dem Einsatz der elektronischen Fußfessel bei Langzeitarbeitslosen belegt.

Signifikant für die Tendenz, immer mehr Personen "unterzubringen", ist auch der den "Altfällen", deretwegen das EGMR die bisherige Praxis verworfen hat, gewidmete Teil. In den Eckpunkten wird zur Erläuterung der "psychischen Störung", aufgrund derer sie weiterhin interniert werden sollen, auf Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 Buchstabe e der Europäischen Menschenrechtskonvention verwiesen:

"(1) Jeder Mensch hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den folgenden Fällen und nur auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Wege entzogen werden: (...) e) wenn er sich in rechtmäßiger Haft befindet, weil er eine Gefahrenquelle für die Ausbreitung ansteckender Krankheiten bildet, oder weil er geisteskrank, Alkoholiker, rauschgiftsüchtig oder Landstreicher ist;" [3]

"Störungen" dieser Art sind recht verbreitet, und eine auf ihnen "beruhende Gefahr", laut der "der Verurteilte weitere Straftaten begehen wird, durch die die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden", festzustellen ist nicht so problematisch. Auch in diesem Fall haben die Juristen der Bundesregierung einen Passus von zukunftsweisender Anwendungsbreite gefunden. Der medial vermittelte Eindruck, es gehe bei der Debatte um die Sicherungsverwahrung lediglich um hochgefährliche, nicht resozialisierbare Sexualstraftäter, könnte irreführender nicht sein. Der komplizierte Charakter dieser Materie ergibt sich vor allem daraus, daß bewährte Rechtsprinzipien durch eine kreative Form des Etikettenschwindels relativiert und ausgehebelt werden, um Sondervollmachten gegen Menschen zu erwirken, die nicht erst zum fleischgewordenen Bösen erklärt werden müssen, um Grund zum Einsperren mit anschließendem Wegwerfen des Schlüssels zu haben.

Fußnoten:

[1] http://www.arthur-kreuzer.de/aktuelles.html

[2] http://www.bmj.bund.de/enid/5ccc9cc4e3c143229008c2d2d928dc86,51519f6d6f6465092d09/2.html

[3] http://www.internet4jurists.at/gesetze/emrk.htm#Artikel_5.

27. August 2010