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REPRESSION/1427: Über den Verliesen die Wolke der Immaterialität (SB)



Alle sollen in die Cloud, trommeln die Marketingstrategen großer IT-Firmen wie Apple, Google, Amazon und Microsoft. Die Wolke ist hochdynamisch, weil sich die miteinander umfassend vernetzten Ressourcen flexibel an die Anforderungen der Kundschaft anpassen. Sie ist höchst praktisch, weil der einzelne Nutzer, wo auch immer er sich befindet, auf seine persönlichen Daten und Anwendungen zugreifen kann, ohne sie eigens synchronisieren zu müssen. Und sie verleiht dem Angebot der IT-Konzerne das freundliche Ambiente eines so unsichtbaren wie omnipräsenten Services, dessen luftige Metaphorik an friedliche Schäfchenwolken über postindustriellen, von umweltfreundlicher Immaterialität durchwehten Landschaften denken läßt.

Daß Wolken auch ganz andere Gestalt annehmen können, nämlich die einer furchterregenden, von Winden umtosten schwarzen Bedrohung, ist an den PR-Fassaden der Konzernen mit den bunten Buchstaben, den verspielten Signaturen und dem Selbstverständnis liberaler Akteure in einer demokratischen globalen Zivilgesellschaft nicht zu erkennen. Die vielen Fragen, die den Umzug der individuellen Computernutzung vom privaten PC mit eigenen Programmen und Datenspeichern auf firmeneigene Massenspeicher aufwirft, sind bekannt. Sie betreffen vor allem die Datensicherheit und den Datenschutz etwa für den Fall, daß ein Anbieter von Cloudleistungen insolvent wird oder der Kunde zahlungsunfähig ist. Auch stellt die Verfügbarkeit der Daten für Dritte ein nicht geringes Problem dar, wie das Insistieren der Bundesregierung auf die Vorratsdatenspeicherung belegt.

Je vollständiger die persönlichen und ökonomischen Daten der Bevölkerungen elektronisch erfaßt werden, desto größer sind die Begehrlichkeiten staatlicher Sicherheitsapparate wie privatwirtschaftlicher Vermarkter. Am Horizont einer gar nicht so fernen Dystopie scheint die totale Transparenz des Individuums als Datensatz bis hinunter auf seine DNA-Struktur und bis hinauf auf die sozialökonomischen Parameter seiner darüber noch optimaler zu vergesellschaftenden Existenz auf. Bislang wurde noch jeder Fortschritt in der elektronischen Datenverarbeitung und -vernetzung zum Objekt sicherheitsstaatlichen Interesses, was in einer Zeit, in der keine Bedrohung zu gering sein kann, um nicht als Vorwand zum Ausbau exekutiver Sicherheitsarchitekturen zu dienen, nicht weiter verwundern kann.

Die Cloud jedenfalls könnte das pastorale Idyll sehr schnell gegen eine existenzbedrohende Sturmfront eintauschen, wenn die stets naheliegende Zusammenarbeit zwischen Diensteanbietern und Sicherheitsbehörden Wirklichkeit wird. Privatwirtschaftliche Akteure unterliegen, selbst wenn sie so groß wie Google sind und so hoch gehandelt wie Facebook werden, nationalen Gesetzen, mit Hilfe derer der Zugriff auf ihre Datenbestände erzwungen werden kann. Wie die irreführende Behauptung, das Internet dürfe keine rechtsfreie Zone sein, angesichts dessen, daß sie das noch nie war, belegt, gerät der bloße Verdacht anarchischer Entwicklungen zum selbstgenügsamen Vorwand, Handlungsimperative zu artikulieren, denen auch große Konzerne bereitwillig nachkommen. Das hat unter anderem der Kampf um WikiLeaks gezeigt, in dem mehrere große IT-Firmen in vorauseilendem Gehorsam die Zusammenarbeit mit der Enthüllungsplattform aufkündigten, nachdem diese durch die Veröffentlichung zahlreicher diplomatischer Dokumente mit der US-Regierung auf Konfrontationskurs gegangen war. Unter anderem wurden Cloud-Leistungen gesperrt, auf die WikiLeaks vertraglich Anspruch hatte.

Wie heise online [1] berichtet, sind US-amerikanische Cloud-Anbieter wie Microsoft dazu verpflichtet, den US-Strafverfolgungsbehörden Zugriff auf die Daten ihrer Kunden zu gewähren. Das betreffe auch in der EU ansässige Firmen und in europäischen Rechenzentren liegende Daten. Das ist an und für sich nichts neues, verfügt die US-Regierung doch spätestens seit der Gesetzgebung, die nach dem 11. September 2001 zustandekam, über umfassende Ermittlungsvollmachten zur Abwehr terroristischer Bedrohungen. Da es sich um eine den rechtlichen Ausnahmezustand de facto verregelnde Rechtsentwicklung handelt, die etwa dazu geführt hat, daß sogenannte Terrorverdächtige möglicherweise lebenslänglich festgehalten werden können, ohne daß sie jemals die Möglichkeit hätten, den gegen sie gehegten Verdacht von einem Gericht überprüfen zu lassen, ist es, wie viele KritikerInnen von Anfang an anführten, ohnehin abwegig, sich mit dem Innersten seines Datenbestands an US-Konzerne zu veräußern.

Derartige Warnungen stoßen bei Menschen, unter denen der Satz "Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten" nicht etwa als Kapitulation des Citoyens gegenüber der Staatsgewalt kritisiert, sondern als Element eines geradezu lustvoll zelebrierten Exhibitionismus Marke "Post-Privacy" propagiert wird, auf taube Ohren. Sie können sich schlicht nicht vorstellen, daß staatliche Repression auch im 21. Jahrhundert kafkaeske Züge annehmen kann. Wenn ein Mensch aus ihm unerfindlichen Gründen unter Terrorverdacht gerät, auf eine von geheim tagenden Gremien geführte Terrorliste gerät, die seine bürgerliche Existenz vollständig negiert, indem ihm jegliche Geschäftstätigkeit unmöglich gemacht wird, dann hat er gegenüber denjenigen, die in Administrativhaft genommen werden und dort womöglich jahrelang verbleiben, fast noch Glück gehabt. Solche Fälle kommen auch in sogenannten demokratischen Staaten vor, und sie entstehen auch dadurch, daß die Betroffenen bei der Observation des Internets auffällig werden.

Die Cloud ist mithin nicht nur ein aus betriebswirtschaftlichen und verkaufstechnischen Gründen propagiertes Konzept ubiquitärer Verfügbarkeit elektronischer Daten und Anwendungen. Sie ist auch eine Reuse des Sicherheitsstaates, dem die Infrastrukturen der Telefonie und Datenkommunikation ein reicher Fischgrund seines in Zeiten der Krise desto mehr geschärften Mißtrauens gegenüber der eigenen Bevölkerung sind. Der damit forcierte Verlust an individueller Kontrolle über die eigenen Daten verläuft parallel zum Entzug demokratischer Rechte und zur Enteignung der Bevölkerungen durch die Privatisierung öffentlicher Güter und die Refinanzierung der Banken und des Anlagekapitals. Was als dezentrale Struktur flexibler Netze und dynamischer Verschaltungen mit dem Anspruch der Unangreifbarkeit durch Dritte begann, entwickelt sich zu einer zentral verfügten, in streng abgeschotteten Serverparks materialisierten Sphäre der Sozialkontrolle, deren Ingenieure die Menschen so weit in die Maschinen integriert haben, daß sie sich ganz aus freien Stücken den unsichtbaren Augen numinoser Gewalten überantworten.

Fußnote:

[1] http://www.heise.de/newsticker/meldung/US-Behoerden-duerfen-auf-europaeische-Cloud-Daten-zugreifen-1270455.html

1. Juli 2011