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REPRESSION/1441: Islamistenszene versus Deutschlandfest - neues Feindbild braucht das Land (SB)



Zum Tag der Deutschen Einheit wieder einmal mit der DDR abzurechnen, um die vermeintliche Überlegenheit des BRD-Systems und zugleich den Zusammenhalt nach der Wiedervereinnahmung zu beschwören, dürfte irgendwann seine gesellschaftliche Kittfunktion aufgebraucht haben. Es wächst eine jüngere Generation heran, die erst auf die Welt kam, als die Blockkonfrontation zwischen Ost und West Geschichte war, und wählt inzwischen lieber die "Piraten" als eine der traditionell bürgerlichen Parteien. Für diese jungen Leute muß ein neues, erweitertes Feindbild geschaffen werden, sonst fallen sie vom Glauben ab, sprich: sie könnten versucht sein, sich den Produktions- und Reproduktionsverhältnissen zu entziehen. Da seien die Muslime vor. Sie wurden in einen Kampf der Kulturen verstrickt, der viel weiter zurückreicht als 1993, dem Erscheinungsjahr von Samuel Huntingtons Buch "Clash of Civilisations" und Beginn des modernen Antiislamismus.

Am Samstag, kurz vor Beginn der zweitägigen Feierlichkeiten zu dem Fest 20 Jahre Deutsche Einheit und 65 Jahre seit Gründung des Bundeslands Nordrhein-Westfalen, wartete der deutsche Sicherheitsstaat mit einem Paukenschlag auf. "Vier mutmaßliche Islamisten festgenommen", titeln einige Gazetten, "Anschlag auf das Deutschlandfest vereitelt?", legen andere nach.

Wie so häufig in den letzten Jahren erwiesen sich die Vorwürfe gegen jene vier Verdachtspersonen muslimischen Glaubens als nicht nachprüfbar. Hatte es anfangs noch geheißen, sie hätten die Absicht gehabt, sich Schußwaffen zu besorgen, wird inzwischen kaum weniger vage behauptet, die Waffen hätten sich in ihrer Verfügbarkeit befunden. Bei Hausdurchsuchungen in Hessen und NRW wurden jedenfalls keine Waffen gefunden, und so mußten die Verdächtigen nach rund einem Tag wieder freigelassen werden. Sie bleiben aber weiterhin unter Beobachtung, woraus der deutsche Michel messerscharf schließt, daß sie "irgendwie" gefährlich sein müssen. Sie haben zwar ihre Unschuld dadurch unter Beweis gestellt, daß man nichts Verdächtiges bei ihnen fand, aber ganz so sang- und klanglos will der Sicherheitsapparat offenbar sein Bedrohungsszenario nicht vom Winde verwehen lassen. Schließlich war ein Anfangsverdacht auf "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat" ausgesprochen worden. Mit dieser Formulierung lieferte die Polizei der Presse die nötige Munition, mit der diese dann ein Feuerwerk an Mutmaßungen, Verdächtigungen und Bezichtigungen entfachte. Irgendwas davon bleibt immer hängen - jedenfalls mehr als vom Tag der offenen Tür der Moscheen, zu dem die muslimischen Gemeinden am 3. Oktober einluden.

Ob mit der Verhaftung der vier vermeintlichen "Islamisten" viel Rauch um nichts gemacht wurde oder ob wir es bei ihnen mit einer bloßen "Gesinnungstat" zu tun haben, ob die vier Vorbereitungen zum Kauf von Schußwaffen getroffen haben oder diese bereits erworben wurden, bleibt ebenso im dunklen wie die Frage, woher eigentlich die Informationen zu dem mysteriösen "Anfangsverdacht" stammten. Sollte sich die Polizei etwa auf verdeckte Ermittler gestützt haben, wie sie bereits den Mitgliedern der Sauerland-Gruppe unter anderem bei den Vorbereitungen zum Bombenbau geholfen haben?

Jedenfalls bleibt völlig unklar, was die vier am Samstag in Offenbach und Bonn Verhafteten mit den Waffen - falls sie überhaupt deren Erwerb und/oder Verwendung geplant hatten - vorhatten. Laut polizeilicher Phantasie hätten sie damit beispielsweise Bundespräsident Christian Wulff, Kanzlerin Angela Merkel oder irgendeinen anderen Politpromi auf dem schwarz-rot-goldenen Deutschlandfest in der alten Bundeshauptstadt angreifen können. Die Örtlichkeiten erweckten zwar den Eindruck, als wollten Polizei und Bundeswehr einen Aufstand wie auf dem Kairoer Tahrir-Platz unterbinden, aber man weiß ja spätestens seit der noch im letzten Jahr im RTL 2-Bildungsprogramm gesendeten propagandistisch wertvollen US-Fernsehserie "24", daß sich die Feinde des Staates bestens zu tarnen verstehen.

Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft, die übrigens keinen Anlaß sah, sich in den Fall einzuschalten, sagte, es gebe weder Anhaltspunkte für die Einbindung der Männer in eine terroristische Vereinigung noch für konkrete Anschlagsvorbereitungen. Was also bleibt? Erstens: Vier unschuldigen Personen haftet nun der Makel an, ins Fadenkreuz staatlicher Ermittler geraten zu sein - spätestens damit werden sie genötigt sein, fortan ein Leben in einer "Parallelgesellschaft" zu führen, in der ihnen der Makel nicht ständig vorgehalten wird. Zweitens: Dem Kampf der Kulturen wurde weiter Munition geliefert.

Islamisten gegen unschuldige Deutsche, die nur ihre Einheit feiern wollen. Diese Feindbildproduktion paßt zum Tag der Deutschen Einheit wie der Deckel auf den Topf. Ohne die ständige Erinnerung an eine diffuse Bedrohungslage durch die nicht zuletzt durch solche unüberprüfbaren Verdächtigungen in Verruch geratene Minderheit der Muslime droht der gesellschaftliche Zusammenhalt, der nie etwas anderes war als ein Konstrukt zum Zwecke der Unterdrückung jeglichen antiherrschaftlichen Emanzipationsstrebens und der fortgesetzten Ausbeutung der eigentlich produzierenden Klasse, entlang seiner tiefgreifenden Widerspruchslinien auseinanderzufallen. Mag der Bundespräsident auch einst erklärt haben, daß Muslime zu Deutschland gehören - mit solchen aufgebauscht wirkenden Vorfällen wie diesem wird die Einstellung von Bundesinnenminister Friedrich bedient, der die Muslime nicht zu Deutschland zählt. Die Bezichtigung von Minderheiten und deren Verfolgung ist ein sehr altes Herrschaftsmittel, auf dessen Wirkung nach wie vor Verlaß ist.

3. Oktober 2011