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REPRESSION/1501: Hungerstreik in Kalifornien gegen Isolationsfolter und systematische Entmenschlichung (SB)


Supermax-Komplex in Crescent City, California - Foto: © By Jelson25 (Own work) [CC-BY-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons

Isolationstrakt (heller Gebäudekomplex) im Hochsicherheitsgefängnis Pelican Bay State Prison
Foto: © By Jelson25 (Own work) [CC-BY-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons

Als US-Justizminister Eric Holder verkündete, Edward Snowden habe bei einer Auslieferung an die USA keine Folter zu befürchten, da gestand er mit der expliziten Zusicherung des menschenrechtlich vermeintlich Selbstverständlichen ein, daß in den USA auf breiter Basis gefoltert wird. Das betrifft nicht nur Guantanamo, sondern neben der häufigen körperlichen Mißhandlung von Gefangenen auf allen Ebenen des gefängnisindustriellen Komplexes insbesondere das System der sogenannten Supermax-Gefängnisse und ihrer Isolationstrakte. Die vollständige soziale Isolation bei sensorischer Deprivation über mehr als ganz kurze Zeiträume hinaus wird von allen Menschenrechtskonventionen und -organisationen als Folter anerkannt. Ihr sind in den USA in verschiedenen Formen rund 80.000 Gefangene ausgesetzt, davon 12.000 im Bundesstaat Kalifornien. In fünf Security Housing Units (SHU) sind fast 4000 Gefangene unbefristet in Isolationshaft eingesperrt, während insgesamt rund 12.000 Gefangene verschiedenen Graden der Isolation etwa in sogenannten Administrative-Segregation-Units (ASU) unterworfen sind. Mittlerweile werden aufgrund der notorischen Überbelegung kalifornischer Knäste in einzelnen Fällen zwei Häftlinge in für eine Person gedachte Zellen eingesperrt, was keine Erleichterung darstellt, sondern beiden das Leben zur Hölle macht.

Im berüchtigsten Isolationsknast des Landes, dem Pelican Bay State Prison (PBSP), sitzen rund 1100 Isolationsgefangene durchschnittlich 7,5 Jahre im SHU. 89 von ihnen sind bereits über 20 Jahre praktisch lebendig begraben. Von dort geht auch der dritte unbefristete Hungerstreik gegen das System der Isolationsfolter aus. Er begann am 8. Juli unter der Beteiligung von 30.000 Gefangenen, was ihn zur historisch größten Widerstandsaktion dieser Art im Strafvollzugssystem der Vereinigten Staaten von Amerika macht. Letzten Angaben des California Department of Corrections and Rehabilitation (CDRC) nach befinden sich noch rund tausend Gefangene im Hungerstreik, was aufgrund des großen Interesses der kalifornischen Regierung, jede Debatte über die Gründe des Widerstands zu unterdrücken, vermutlich stark untertrieben ist. Doch befinden sich die Unterstützerinnen und Unterstützer des Hungerstreiks in der schwierigen Situation, daß die Menschen, für die sie kämpfen, mit allen Mitteln staatlicher Gewaltanwendung daran gehindert werden, das verbliebene Minimum an Möglichkeiten, aus diesem Repressionssystem heraus zu agieren, wahrzunehmen.

Dafür, das an diesem menschenverachtenden System nicht gerührt wird, scheint es selbst in der Bundesrepublik großes Verständnis zu geben. So wird, wie schon bei den Vorläuferaktionen 2011, in den Mainstream-Medien wenig bis gar nicht über den Widerstand der Gefangenen berichtet. Eine Internetsuche unter den Begriffen "Kalifornien Hungerstreik" erbringt nur wenige Einträge großer Medien, die allesamt auf die Tage nach Beginn des Hungerstreiks vor nunmehr fast vier Wochen datieren. Während der Justizskandal um Trayvon Martin und die Verfolgung Edward Snowdens durch die US-Regierung umfassend kommentiert wurde, scheinen die unmenschlichen Bedingungen der Isolationshaft das Vorstellungs- und Kritikvermögen der bürgerlichen Medien zu sprengen. Dabei machte der kalifornische Gouverneur Jerry Brown dieser Tage eine fast einwöchige Rundreise durch Deutschland, doch es fanden keine Pressekonferenzen statt, und die Anwesenheit von Journalisten bei Treffen Browns mit Repräsentanten aus Politik und Wirtschaft war unerwünscht. So gibt es auch keine Berichte über seinen geplanten Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Dachau, wo er hätte gefragt werden können, ob er als entschiedener Gegner der Aufhebung der Isolationsfolter nur ein Herz für bereits tote Opfer staatlicher Gewaltanwendung habe.

Eine der Kernforderungen der kalifornischen Gefangenen betrifft die Gründe, wieso sie überhaupt in eine Zelle der Security Housing- oder Administrative-Segregation-Units geraten sind. Sie wurden Opfer des Vorwurfs der Bandenkriminalität, der nur notdürftig verschleiert in vielen Fällen zur Unterdrückung des Widerstands der Gefangenen gegen das unmenschliche System der Supermax-Knäste, quasi die Vorhölle zur Isolationsfolter und sensorischen Deprivation in ihren SHU- und AdSeg-Trakten, dient. Unterstellt wird die Mitgliedschaft in Gangs, die sich im Knast bilden und bei deren Zerschlagung immer wieder Kollektivbestrafungen eingesetzt werden. Bei diesem Vorwurf handelt es sich um eine Variante der Vereinigungskriminalität, mit der hierzulande mutmaßliche Mitglieder politischer Gruppen kriminalisiert werden, indem allein die Zugehörigkeit zum Straftatbestand erklärt wird.

Da es nur dreier zum Teil ganz trivialer Anlässe bedarf, um einen Insassen als direktes oder assoziiertes Mitglied einer Gang zu stigmatisieren, bietet sich diese Maßnahme dafür an, insbesondere sozial engagierte und politisch radikale Häftlinge im wortwörtlichen Sinne mundtot zu machen. So kann ein Gefangener als Mitglied einer gefährlichen Gang identifiziert werden, wenn er einen als Gangmitglied eingestuften Gefangenen beim Vorbeigehen grüßt, wenn Gangs zugeordnete Farben oder Symbole bei der Durchsuchung einer Zelle gefunden werden, oder wenn ein Gefangener über angeblich gangspezifische Tatoos verfügt. Tatsächlich hat sich die Praxis durchgesetzt, Gefangene wegen der Lektüre politischer Schriften eines Malcolm X oder George Jackson, der Black Panther Party oder anderer Befreiungskämpfer, wegen selbstgezeichneter Cartoons oder Bilder, die sich kritisch mit dem Knastalltag auseinandersetzen, wegen eines Fotos der politisch verfolgten Assata Shakur oder der Verwendung des Begriffs "New Afrikan", wegen der Symbole und Zeichen hispanischer Landarbeitergewerkschaften oder anderer linker als auch rechter Organisationen in den Isolationstrakt zu verlegen. Dabei muß eine direkte Verbindung zu einem Gangmitglied innerhalb der letzten sechs Jahre nur mit einem Indiz belegt werden. Die zwei anderen "Beweise" können bis zu 20 Jahre alt sein und müssen lediglich die Qualität eines möglichen Hinweises auf eine solche Zugehörigkeit aufweisen.

In seinem lesenswerten Artikel "Solitary in Iran Nearly Broke Me. Then I Went Inside America's Prisons." [1] schildert Shane Bauer das Beispiel des 59jährigen Dietrich Pennington, der seit vier Jahren als angebliches Gang-Mitglied im SHU sitzt. Als "direkte Verbindung" zu einer Gang galt in seinem Fall der Besitz eines Artikels der Tageszeitung San Francisco Bay View, deren Verbreitung in kalifornischen Knästen durch die staatliche Gesetzgebung gedeckt ist. In besagtem Artikel beklagte ein Mitglied der Black Guerilla Family (BGF), einer linken Organisation widerständiger afroamerikanischer Gefangener, die Beschlagnahmung von Bildern und Literatur in seiner Zelle und bezichtigte die Gefängnisverwaltung einer rassistischen Politik. Allein der Besitz des Artikels reichte aus, um Pennington, der nie versuchte, mit dessen Autor in Kontakt zu treten, die Mitgliedschaft in der BGF zu unterstellen. Der zweite "Beweis" bestand im Besitz eines Bechers, auf dem ein Drachensymbol zu sehen war, was das CDCR als Erkennungsmerkmal der BGF betrachtet. Der dritte "Beweis" wurde einem Notizbuch entnommen, in dem sich Pennington mit der Geschichte des schwarzen Widerstands beschäftigte und den Gefangenenaktivisten George Jackson zitierte.

Einer der Hauptgründe, wieso Gefangene der unbefristeten verschärften Einzelhaft ausgesetzt werden, liegt im denunziatorischen Charakter des Systems. Um aus dem Betonsarg, als den die Zellen zu bezeichnen sind, in denen die Gefangenen 22,5 Stunden des Tages und beim Lockdown rund um die Uhr alleine, unter quälenden Bedingungen der Kälte, der unzureichenden Bekleidung, der schlechten Ernährung und kaum vorhandenen Lektüre oder Bildungsmittel verbringen müssen, werden die Insassen dazu genötigt, andere ihnen bekannte Gefangene als Gang-Mitglieder zu denunzieren. Damit gefährden sie nicht nur ihr Leben und das ihrer Familien, sie erzeugen vor allem einen stetigen Zufluß an neuen Opfern des Isolationsregimes. Das Prinzip des Teilens und Herrschens findet in der Anwendung gegen voneinander getrennte Menschen, die den Manipulationen der Gefängnisverwaltung ohnmächtig ausgeliefert sind, eines seiner perfidesten Manifestationen, was sich auch darin zeigt, daß die Teilnahme an einem Hungerstreik gegen die Haftbedingungen in den Isolationstrakten zur Verlegung vom Regelvollzug in selbige führen kann.

Nach den beiden Hungerstreikaktionen des Jahres 2011 qualifizierte das CDRC das System der Gang-Evaluation unter dem Vorwand, es zu reformieren, indem nun der Begriff Security Threat Group (STG) Verwendung findet. Mit dieser sozialtechnokratischen Umdeklaration wird das Leben der Gefangenen nicht etwa erleichtert, wie man es von einer Reform, die als Entgegenkommen der Gefängnisverwaltung angepriesen wird, erwarten könnte. Vielmehr wird das System der Atomisierung und Dehumanisierung perfektioniert. In dem geplanten Programm zur Entlassung aus der Isolationshaft in den Regelvollzug sollen die Gefangenen dazu gebracht werden, ihr Leben zu verändern, indem sie "kriminelle Werte durch verantwortungsbewußte Werte" austauschen. Man will ihnen "Denkfehler" austreiben und eine "gesunde Persönlichkeit" verschaffen, was immer damit gemeint ist. Wer nach vielen Jahren der Isolationsfolter, die seiner Standhaftigkeit geschuldet sind, keinen Mitgefangenen zu belasten, nicht wahnsinnig geworden ist oder Suizid begangen hat, der könnte über eine persönliche und charakterliche Stärke verfügen, die die Erfinder und Administratoren derartiger Programme erst recht dazu reizt, seinen Widerstand zu brechen. Auch ist die Organisation eines kollektiven Widerstandes, den das CDRC mit allen Mitteln wie das Streuen von Gerüchten über den Abbruch des Streiks anderer Gefangener, das Zufügen körperlicher Beschwerden durch extreme Temperaturunterschiede und Luftzugsverhältnisse in den Zellen oder die Aussetzung auch des letzten verbliebenen Kontaktes über Verwandte nach draußen zu unterbinden sucht, Beleg für eine Handlungsfähigkeit, die zwar aus der Not unmenschlicher Bedingungen entstanden ist, aber auch die Macht hat, sie zu überwinden.

So geht es bei dem sogenannten Step-Down-Programm, das Langzeitgefangene in vier Jahren durchlaufen sollen, um wieder in den Regelvollzug zu gelangen, um eine umfassende Verhaltensmanipulation, mit der den Gefangenen letzte Reste autonomen Widerstandsvermögens ausgetrieben werden sollen. Dabei sollen sie Tagebücher schreiben, deren Inhalt gegen sie verwendet werden kann, und kommen erst im dritten und vierten Jahr des Programms in den Genuß begrenzter Kontakte mit Mitgefangenen oder eines gelegentlichen Telefongesprächs. Man vollzieht ein "integriertes, kognitives Verhaltensänderungsprogramm" an ihnen, bei dem mit Techniken des "kognitiven Restrukturierens" gearbeitet werden soll. All das findet im Rahmen eines Kontraktmanagements statt, das mit der Eingliederungsvereinbarung des Hartz-4-Regimes vergleichbar ist, und steht weiterhin unter dem Imperativ der Denunziation. So wird den Gefangenen als Beweis ihrer Tauglichkeit für eine Entlassung in den Regelvollzug explizit abverlangt, sich als Informanten für die Gefängnisverwaltung zur Verfügung zu stellen.

Was die Familien der Gefangenen bei dieser sogenannten Reform besonders beunruhigt, ist die Möglichkeit, daß sich die Praxis der Evaluation, einer STG anzugehören, auch auf sie erstrecken könnte. Sollten Verwandte, die als einzige Menschen außerhalb des Knastes über ein zeitlich wie physisch beschränktes Besuchsrecht verfügen, als echte oder assoziierte Gangmitglieder, in der neuen Orwellschen Terminologie STG-I und STG-II, eingestuft werden, dann verfügte das CDRC über ein effizientes Mittel, um Kontakte und damit auch die Organisation des Widerstands zu unterbinden. Was auch immer dazu getan wird, um die Opfer des Isolationsregimes im Pelican Bay State Prison und anderen Knästen Kaliforniens und der USA zum Schweigen zu bringen, dient nicht zuletzt der Absicht, die Frage zu unterdrücken, wie verbrecherisch es eigentlich ist, Menschen, völlig unabhängig davon, was sie einmal verbrochen haben, über Jahrzehnte in sensorischer Deprivation, auch als weiße Folter bekannt, zu halten, sie darüber hinaus, wie viele Berichte belegen, auf brutale Weise körperlich zu quälen, und ihnen fast jede Möglichkeit zu nehmen, sich weiterzubilden und politisch oder religiös aktiv zu werden.

Das System der Isolationsfolter nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen heißt, das ganze Ausmaß dessen, wozu das Interesse der Herrschaftsicherung in als demokratisch bezeichneten Gesellschaften und Staaten in der Lage ist, nicht konfrontieren zu wollen und die Betroffenen so alleine zu lassen, wie sie es in ihrer Lage gezwungenermaßen sind. Das dient nicht zuletzt der Aufrechterhaltung des irreführenden Glaubens, so schlimm werde es schon nicht kommen, schließlich gebe es ja immer noch eine rechtsstaatliche Justiz, und überhaupt sei man selbst viel zu unwichtig, um ins Getriebe der systematischen Entmenschlichung und Zerstörung zu geraten. Diese Ausflucht, deren wesentliches Merkmal darin besteht, die Widerlegung ihres vermeintlich rationalen Charakters nur mehr ohnmächtig erdulden zu können, ist ein Grund dafür, daß entschlossener Widerstand so schwer zu mobilisieren ist.

Zweiseitiger Flyer mit Foto von Isolationszelle - Foto: © 2013 by Prisoner Hunger Strike Solidarity

Flyer der Prisoner Hunger Strike Solidarity in Unterstützung des Hungerstreiks
Foto: © 2013 by Prisoner Hunger Strike Solidarity


Fußnoten:

[1] http://www.motherjones.com/politics/2012/10/solitary-confinement-shane-bauer

Siehe dazu auch

Diastrecke zu Solitary Confinement
http://image.slidesharecdn.com/hs-powerpoint-130714200713-phpapp01/95/slide-1-1024.jpg?1373850499

Druckausgabe "Strike the Prisons" mit Infografiken des Prison Art Project
http://kasamaproject.org/files/prison_edition.pdf

"Survivors of Solitary Confinement" - Feature eines freien US-Radios
http://www.radioproject.org/2013/07/solitary-confinement-survivors/

"Prison Focus" Newsletter - Berichte von Gefangenen für Gefangene
http://www.prisons.org/publications.htm

2. August 2013