Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


REPRESSION/1551: Trump schlägt muslimischen Flüchtlingen die Tür zu (SB)



Die vage Hoffnung, Donald Trumps wüsten Drohungen im Wahlkampf würden weitaus moderatere Amtshandlungen des 45. US-Präsidenten folgen, ist binnen weniger Tage einer alptraumartigen Bestürzung gewichen. In einer Kette von Dekreten zieht Trump eine Schneise der Verwüstung durch jegliche Politikfelder, deren jüngstes Desaster verheerende Signale im Umgang mit Flüchtlingen setzt. Er hat das gesamte Flüchtlingsprogramm der Regierung für vier Monate auf Eis gelegt und für Migranten aus sechs mehrheitlich muslimischen Ländern eine Einreisesperre von drei Monaten verhängt. Flüchtlinge aus Syrien erhalten auf unbefristete Zeit gar kein Visum mehr.

Wie der US-Präsident bei Unterzeichnung des Dekrets zur Begründung anführte, sei das Ziel dieser Sofortmaßnahmen, durch neue gründliche Überprüfungsmechanismen sicherzustellen, daß "radikale islamische Terroristen" an der Einreise in die USA gehindert würden. Er wolle nur jene zulassen, die "unser Land unterstützen und zutiefst lieben". Wie es in der vom Weißen Haus veröffentlichten Anordnung mit dem Titel "Schutz der Nation vor der Einreise ausländischer Terroristen in die Vereinigten Staaten" heißt, solle innerhalb der nächsten 120 Tage geprüft werden, von welchen Ländern das geringste Risiko ausgehe. Flüchtlinge sollen demnach erst dann wieder ins Land gelassen werden, wenn der Heimatschutzminister und der Nationale Geheimdienstdirektor bescheinigen, daß der Überprüfungsprozeß "angemessen" sei.

In dem Erlaß selbst sind die betreffenden Staaten nicht aufgelistet, es ist lediglich von Ländern die Rede, die "bestimmten Anlaß zur Sorge" gäben. Nach Angaben des US-Außenministeriums gilt die dreimonatige Sperre für den Irak, Iran, Sudan, Libyen, Somalia und Jemen. Trump erklärte in einem Interview, für Christen aus Syrien könne eine Ausnahme von dem für dieses Land unbefristet ausgesetzten Flüchtlingsprogramm gemacht werden. Ausgenommen vom Einreisestopp sind zudem bestimmte Personengruppen wie Diplomaten und Angehörige internationaler Organisationen sowie Menschen, die zu den Vereinten Nationen reisen. Für das gesamte Haushaltsjahr 2017 wird die Zahl zugelassener Flüchtlinge außerdem auf 50.000 und damit weniger als die Hälfte der von Barack Obama vorgeschlagenen Zahl begrenzt. Bei der Gewährung von Einreisevisa sollen Angehörige religiöser Minderheiten bevorzugt werden, was vor allem auf Christen und wohl auch Jesiden in muslimischen Ländern abzielt. [1]

Rückhalt für seine Entscheidungen fand Trump unter den Republikanern. Die Extremistenmiliz IS habe damit gedroht, das Einwanderungssystem zu mißbrauchen, um Attentäter einzuschleusen, so der Abgeordnete Bob Goodlatte, Vorsitzender des Justizausschusses im Repräsentantenhaus. Auch der dortige Mehrheitsführer Paul Ryan signalisierte Zustimmung: "Präsident Trump hat recht, alles Mögliche zu tun, damit wir genau wissen, wer ins Land kommt."

Massive Kritik kam aus dem Lager der Demokraten, für die der Oppositionsführer im Senat, Charles Schumer, erklärte: "Über die Wangen der Freiheitsstatue rollen Tränen." Es sei eine der schlimmsten Entscheidungen, die Trump bislang gefällt habe. Das Dekret sei Ausdruck einer extremen Fremdenfeindlichkeit, sagte der Senator Edward Markey. US-Bürgerrechtsgruppen lehnen den Erlaß mit Nachdruck ab. Die US-Anwaltsvereinigung AILA, die sich für Immigranten einsetzt, sprach von einer diskriminierenden Maßnahme gegen Muslime im Namen der nationalen Sicherheit. Einige Rechtsexperten stellen grundsätzlich in Frage, daß der Erlaß verfassungsgemäß ist, da er sich gegen eine einzelne Glaubensgemeinschaft richte und damit ein klarer Fall religiöser Diskriminierung sei. [2]

Der Präsident des "Nationalen Verbandes der Evangelikalen", Leith Anderson, appellierte an Trump, die laufenden Flüchtlingsprogramme nicht zu stoppen. Bei den meisten Flüchtlingen aus dem Nahen Osten handle es sich um Frauen und Kinder, die Bürgerkriegen und dem "Islamischer Staat" entkommen seien. Der Erlaß sei "widerwärtig und abscheulich", sagte der Präsident des jüdischen Hilfsverbandes HIAS, Mark Hetfield. Mehr als 1700 Rabbiner forderten von Trump, "Amerikas Türen offenzuhalten". [3]

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die Internationale Organisation für Migration forderten die USA auf, weiter Menschen auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung Unterschlupf zu gewähren. Die USA müßten in dieser Hinsicht "an ihrer Führungsrolle und langen Tradition festhalten". Wie die Organisation Human Rights Watch in Washington kritisierte, entzögen sich die USA in einer Zeit, in der weltweit mehr Vertriebene denn je Schutz suchten, ihrer traditionellen Verantwortung. Trumps Dekret treffe die Menschen, die vor Gewalt und Terrorismus geflohen seien.

Führende Politiker diverser Länder kritisierten die Anordnungen Trumps. Beim Antrittsbesuch von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel in Paris bezeichnete sein französischer Amtskollege Jean-Marc Ayrault den Erlaß des US-Präsidenten als besorgniserregend. Es gebe eine Pflicht, Kriegsflüchtlinge aufzunehmen. Auch der iranische Präsident Hassan Ruhani zeigte sich bestürzt: "Wir sind in der Zeit der Globalisierung, die alle Völker zu Nachbarn gemacht hat", sagte Ruhani. Besonders Touristenreisen sorgten für ein besseres Verständnis für andere Kulturen und damit für mehr Toleranz. Millionen Iraner sind nach der islamischen Revolution 1979 in die USA ausgewandert, besonders nach Kalifornien. Viele befürchten nun, daß sie während der Präsidentschaft Trumps ihre Familienangehörigen nicht mehr sehen können.

Zustimmung kam lediglich aus Tschechien, dessen Staatschef Milos Zeman die neuen Abschottungsmaßnahmen des US-Präsidenten begrüßte. "Trump schützt sein Land, er sorgt sich um die Sicherheit seines Landes", erklärte ein Sprecher. Auch in Tschechien habe die Sicherheit der eigenen Bürger Vorrang. "Jetzt haben wir Verbündete in den USA", hieß es in Prag.

Trump setzte mit dem Erlaß, der mit sofortiger Wirkung in Kraft tritt, ein Wahlversprechen um. Er hatte sich im Vorwahlkampf zunächst für ein Einreiseverbot für alle Muslime stark gemacht. Später sprach er nur noch von "extremen Sicherheitsüberprüfungen" für alle Einreisenden und kritisierte unter anderem Kanzlerin Angela Merkel für ihre Flüchtlingspolitik. Merkel habe einen "katastrophalen Fehler" gemacht, alle Flüchtlinge ins Land zu lassen.

Wie die künftige Praxis der Einreiseverfahren aussehen wird, bleibt vorerst offen. Denkbar sind strengere Regelungen wie persönliche Gespräche mit jedem einzelnen Asylsuchenden und eine kompliziertere Visaerteilung. Unklar ist auch, welche Folgen die Anordnung für Inhaber einer Green Card, also einer dauerhaften Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, hat. Rechtsexperten empfehlen Green-Card-Inhabern und ausländischen Studenten, sich vor der Ausreise aus den USA den Rat von Anwälten einzuholen. [4] Sofortige Wirkung zeitigte das Dekret in der ägyptischen Hauptstadt Kairo, wo sieben Flüchtlinge an der Reise in die Vereinigten Staaten gehindert wurden. Sechs Iraker und ein Jemenit wollten einen Direktflug der Fluggesellschaft Egyptair nach New York besteigen, seien aber aufgehalten worden. Und dies obwohl sie im Besitz von gültigen Visa gewesen und von Mitarbeitern des UN-Flüchtlingshilfswerks begleitet worden seien, wie Medien berichteten.

Trumps Anordnung hatte auch zur Folge, daß Einreisende nach ihrer Ankunft auf US-Flughäfen in Gewahrsam genommen und am Verlassen des Transitbereichs gehindert wurden. Allein auf dem Kennedy-Airport in New York und auf den internationalen Flughäfen von Chicago, Houston und Washington DC wurden Dutzende Ausländer bei der Einreise abgefangen. Ein Gericht in New York verfügte jedoch, daß seit Freitag in den USA eingetroffene Flüchtlinge oder Besucher aus den vom Bann betroffenen Ländern zunächst nicht in ihre Heimat zurückgeschickt werden dürfen.

Voraussetzung ist der Besitz eines gültigen Visums oder einer Greencard, der Schutzstatus des Flüchtlingsprogramms der USA oder eine andere offizielle Berechtigung, in die USA einzureisen. Der Gerichtsentscheid gilt landesweit und legt nahe, daß der Erlaß gegen die US-Verfassung verstößt. Zudem erwägen mehrere Bundesstaaten ein gerichtliches Vorgehen gegen den Stopp. Die Generalstaatsanwälte von Pennsylvania, Washington und Hawaii erklärten, es werde derzeit geprüft, welche Klagen vor welchen Gerichten eingereicht werden könnten. [5]

Die pakistanische Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai hat die Einreisebeschränkungen für Flüchtlinge heftig kritisiert: "Es bricht mir das Herz, dass Amerika sich von seiner stolzen Geschichte abwendet, in der Flüchtlinge und Immigranten willkommen geheißen wurden", sagte die 19 Jahre alte Aktivistin in einer Stellungnahme auf der Facebook-Seite der Malala-Stiftung. Einwanderer hätten geholfen, Amerika aufzubauen und hart für ihre faire Chance auf ein neues Leben gearbeitet. "Präsident (Donald) Trump verschließt Kindern, Müttern und Vätern, die vor Gewalt und Krieg fliehen, die Tür", hieß es weiter. Unschuldige syrische Flüchtlingskinder würden diskriminiert. Yousafzai rief Trump auf, sich in diesen unsicheren Zeiten nicht von den schutzlosen Kindern und ihren Familien abzuwenden. [6]

Wenn Donald Trump sein Mantra "America first!" rezitiert, steht ihm nicht der Sinn nach einer multipolaren Welt, der Nichteinmischung in anderen Ländern, einer weniger aggressiven Außen- und Innenpolitik. Aus seiner Sicht ist der Klimawandel eine Erfindung von Feinden der USA, sind Mexikaner Drogenhändler und Illegale, muslimische Flüchtlinge potentielle Terroristen, israelische Siedler der Stolz ihres Landes, die Chinesen die größte Gefahr weltweit. Er hat soeben ein weiteres Dekret zur Modernisierung der Streitkräfte unterzeichnet, wobei unter anderem überprüft werden soll, ob das US-Atomwaffenarsenal modern genug und "angemessen zugeschnitten" ist, "um den Bedrohungen des 21. Jahrhunderts" gerecht zu werden. Kein Tag vergeht ohne ein weiteres Dekret des neuen US-Präsidenten, das der Welt den Atem verschlägt - nicht weil er der mächtigste Mann auf Erden wäre, doch ein losgelassener Elefant im Porzellanladen einer von multiplen Krisen erschütterten Menschheit, deren Fahrt in den Abgrund zu bremsen allergrößter Umsicht und eines fundamentalen Umdenkens in allen maßgeblichen Entwicklungsverläufen bedürfte.


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/us-praesident-trump-ordnet-einreisestopp-fuer-fluechtlinge.1818.de.html

[2] http://www.mdr.de/nachrichten/politik/ausland/reaktionen-trump-einreiseverbot-100.html

[3] https://www.tagesschau.de/ausland/trump-muslime-103.html

[4] http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/top_news/870561_Trump-verfuegt-Einreisestopp-fuer-viele-Muslime.html

[5] http://www.handelsblatt.com/politik/international/einreisestopp-fuer-muslime-us-richterin-bremst-trump-merkel-lehnt-dekret-ab/19317864.html

[6] http://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/einreisestopp-in-amerika-trumps-fluechtlingspolitik-bricht-nobelpreistraegerin-malala-das-herz-14779888.html

29. Januar 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang