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REPRESSION/1554: Oppermann, geh du voran! - Flüchtlingsregime 3.0 und mehr (SB)



Die Idee ist nicht neu und liegt auf der Linie europäischer Abschottungspolitik. Auf dem Mittelmeer "gerettete" Flüchtlinge gar nicht erst nach Italien zu bringen, sondern aus internationalen Gewässern nach Nordafrika zurückzutreiben, hatten allen voran Ungarn und Österreich in den Raum gestellt. Die CSU verfolgt diesen Plan, länger schon propagiert ihn auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière, erst hinter vorgehaltener Hand, inzwischen offen. Ende Januar mahnte er am Rande des EU-Innenministertreffens im maltesischen Valletta einen europäischem Schulterschluß bei der Flüchtlingsaufnahme an und erklärte zugleich:

Und wenn die Zahl noch größer wird, dann muss ein drittes Rechtsregime entstehen, wo man dann mit anderen Verfahren und anderen Maßnahmen der Sache begegnet, und das kann dann auch heißen: andere Standards, andere Verfahren und Rückführung in sichere Orte außerhalb Europas.

Wie er vor Journalisten bekräftigte, könne das auch bedeuten, auf dem Mittelmeer Aufgegriffene direkt zurückzuschicken. Von diesen sicheren Orten außerhalb Europas könnten dann "die Schutzbedürftigen, und nur die Schutzbedürftigen" in die EU geholt werden.

Auf dem Gipfel der EU-Innenminister wurde beschlossen, den Ausbau der libyschen Küstenwache noch mehr als bisher zu unterstützen. Da Schiffe von Frontex und der NATO die Hoheitsgewässer Libyens nicht ohne weiteres befahren dürfen, ist das von De Maizière vorgeschlagene erweiterte Regime der europäischen Flüchtlingsabwehr auf die Handlangerdienste einer funktionsfähigen Küstenwache angewiesen. Diese soll daher in noch stärkerem Maße als bisher Boote, Ausrüstung und Ausbildung erhalten.

Zudem soll der für gescheitert erklärte Staat Libyen - eine euphemistische Umschreibung der durch den Angriffskrieg europäischer Mächte erzwungenen Zerschlagung der Staatlichkeit - dazu ertüchtigt werden, Aufnahmekapazitäten für Flüchtlinge zu schaffen. Auch will man künftig mit anderen, stabileren nordafrikanischen Staaten wie Marokko oder Tunesien enger zusammenarbeiten. Nachdem jüngst die deutsche Botschaft in Niger das Auswärtige Amt und mehrere Ministerien in einer diplomatischen Korrespondenz von "KZ-ähnlichen Verhältnissen" in libyschen Flüchtlingslagern unterrichtet hat, in denen Schlepperbanden die Migrantinnen und Migranten ausplündern, foltern, vergewaltigen und umbringen, tut sich die Bundesregierung recht schwer damit, Libyen als sicheren Ort für die Rückführung von Flüchtlingen zu verkaufen.

Neu ist nun, daß der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann nicht nur auf De Maizières Kurs einschwenkt, sondern sogar noch einen Schritt darüber hinausgeht, wenn er in einem Gastbeitrag der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung schreibt:

Um die Schleuserbanden wirksamer zu bekämpfen, müssen wir ihnen die Geschäftsgrundlage entziehen, in dem die im Mittelmeer geretteten Flüchtlinge wieder zurückgebracht und zunächst in Nordafrika versorgt und betreut werden. Ein besserer Grenzschutz und ein paar Auffanglager reichen dafür aber nicht aus. Wir müssen die Transitländer darin unterstützen, Strukturen eines Aufnahmelandes zu entwickeln, und ihnen helfen, eigene funktionsfähige Asylsysteme aufzubauen.

Dieser Vorstoß Oppermanns kommt insofern überraschend, als der stellvertretende Parteivorsitzende Ralf Stegner eine entsprechende Passage in einem Positionspapier der CSU-Landesgruppe im Bundestag noch vor fünf Wochen mit den Worten kommentiert hatte: "Wir haben humanitäre Verpflichtungen im Mittelmeer." Derartige Vorschläge der CSU liefen immer wieder darauf hinaus, das Grundrecht auf Asyl auszuhöhlen.

Welche Standards Thomas Oppermann vorschweben, bleibt schleierhaft. Zwar verweist er auf Bemühungen der deutschen Entwicklungshilfeagentur GIZ, unter anderem die marokkanische Regierung beim Aufbau eines eigenen Asylsystems zu beraten. Grundsätzlich gilt jedoch als umstritten, ob eine Rückführung ohne Asylprüfung in Europa überhaupt mit dem Völkerrecht vereinbar ist. Andere Kritiker verlangen zumindest in den entsprechenden nordafrikanischen Staaten eine Aufnahme unter EU-Standards, auch was Asylverfahren betrifft. Zugleich sind sich aber alle seriösen Experten darin einig, daß solche Bedingungen in diesen Ländern in absehbarer Zeit unmöglich zu erreichen sein werden. [1]

Die Innenpolitikerin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, wendet mit Blick auch auf Tunesien und Marokko zu Recht ein:

Ich kenne nur Kritiken von den UN beispielsweise, dass man in bestehende Lager nicht mal hineinkommt. Von daher glaube ich einfach nicht an vernünftige Lager. Mir kann keiner erzählen, dass die EU dort im Moment ein Asylsystem schaffen will, was innerhalb von drei Monaten oder - sagen wir mal - kürzester Zeit wirklich den Leuten eine Perspektive gibt.

Im übrigen werde Schleusern auf diese Weise keineswegs das Handwerk gelegt. Menschen, die nach Europa kommen wollten, würden das weiterhin auf eigene Faust versuchen, so Jelpke. Wie man in diesem Zusammenhang noch hinzufügen könnte, ist die europäische Flüchtlingspolitik die Geschäftsgrundlage des Schleusertums, so daß zu befürchten steht, daß im Falle einer verschärften Rückführung von Flüchtlingen nach Nordafrika das Unwesen der Schleuser um so mehr boomen würde.

Scharfe Kritik an Oppermanns Initiative übt auch der Linken-Fraktionsvize Jan Korte: "Im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge zurückzuschicken bedeutet noch mehr verzweifelte Versuche, noch gefährlichere Routen und damit zwangsläufig noch mehr Tote. So viel Skrupellosigkeit sind wir von der CDU/CSU schon gewohnt. Wenn der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz in der EU mehr sehe als "einen Verein kollektiv organisierter Verantwortungslosigkeit", dann müsse er "seinen Fraktionsvorsitzenden im Bundestag zurückpfeifen".

Oppermann sei in den Wettlauf mit Unionspolitikern und Rechtspopulisten eingetreten, wer der härteste Festungsbauer ist, so der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt. Diese Pläne lösten nichts und seien "nur auf Kosten der Schutzbedürftigen unter Missachtung des Menschenrechts auf Asyl zu realisieren". Luise Amtsberg, die Sprecherin der Grünen für Flüchtlingspolitik, kritisiert den SPD-Vorschlag als inhuman, er entbehre jeder rechtlichen Grundlage. Oppermann sollte mit der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Zurückweisungsverbot vertraut sein. [2]

Auch aus der eigenen Partei setzt es Kritik: Der Vorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt, Aziz Bozkurt, nennt es "zynisch und menschenverachtend", Aufnahmelager in instabilen nordafrikanischen Ländern zu errichten, "um Geflüchtete nach dort abzuschieben und ihnen ordentliche Asylverfahren zu verwehren". Oppermann gehe "völlig unnötig auf einen weiteren völkerrechtlich bedenklichen Vorschlag der Union zu". [3]

Oppermanns Vorstoß kommt nicht aus dem hohlen Bauch, sondern ist Teil eines Fünfpunkteplans für eine "kohärente Flüchtlings- und Einwanderungspolitik". Die Entwicklungshilfe solle von derzeit 0,5 auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens steigen, um die Fluchtursachen wirksamer zu bekämpfen. Er fordert einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen, eine engere Zusammenarbeit mit Nordafrika und die Schaffung legaler Zugänge über verabredete Kontingente für Migranten. Mittels eines europäischen Fonds sollen die Kosten für die Integration von Flüchtlingen gerechter auf die EU-Mitgliedstaaten verteilt werden. Zudem plädiert er für ein Einwanderungsgesetz, um den Arbeitskräftebedarf "bedarfsorientiert und flexibel nach einem transparenten Punktesystem" zu steuern. [4]

Natürlich könnte man darüber spekulieren, warum sich Oppermann gerade jetzt als flüchtlingspolitischer Scharfmacher in Szene setzt, wo doch sein Fünfpunkteplan nach einem von langer Hand konzipierten Wahlkampfpapier der Sozialdemokraten riecht. Der Zeitpunkt scheint tatsächlich günstig zu sein, da der Schulz-Faktor wie ein Wirbelwind durch die Parteienlandschaft fegt und der SPD den größten je registrierten Sprung in der Wählergunst beschert hat. Jetzt heißt es nachlegen und der Union wie auch der AfD Stimmen abjagen, indem man sich noch entschiedener als sie für den Bruch des Völkerrechts und bislang akzeptierter humanitärer Standards stark macht.

Das freilich sind Erwägungen, die eher die Oberfläche des trüben Teichs deutscher und europäischer Flüchtlingspolitik kräuseln, als daß sie seine finsteren Abgründe ausleuchten könnten. Der zum Leidwesen der Bundesregierung publizierte schonungslose Bericht über die Flüchtlingslager in Libyen legt einen zentralen Aspekt offen, die Todeszahlen im Mittelmeer einen anderen. Niemand soll sich anmaßen, so leben zu wollen wie wir - es sei denn, wir können seine berufliche Qualifikation ausbeuten. Der unbrauchbare Rest wird davongejagt, nach Afrika, Afghanistan, wohin auch immer. Und da man in Deutschland aus historischen Gründen vorerst noch nicht wieder Lager bauen kann, die allzu sehr an die Vergangenheit erinnern, müssen das eben die Libyer, Tunesier, Marrokaner oder Ägypter übernehmen.


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/fluechtlingspolitik-oppermann-will-mittelmeer-fluechtlinge.1766.de.html

[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/gruene-gegen-oppermanns-plan-inhuman-und-ohne-rechtliche-grundlage-14851280.html

[3] http://www.tagesspiegel.de/politik/fluechtlinge-auf-dem-mittelmeer-spd-will-nun-auch-bootsfluechtlinge-nach-nordafrika-bringen/19348222.html

[4] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-02/thomas-oppermann-fluechtlinge-unterbringung-nordafrika

5. Februar 2017


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