Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


REPRESSION/1587: Türkei - osmanisch graziös ... (SB)



Es hat nie einen Deal gegeben.

Mevlüt Cavusoglu nach der Freilassung Deniz Yücels [1]

"Es hat nie einen Deal gegeben", verwahrte sich der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu nach der Freilassung des Journalisten Deniz Yücel gegen allfällige Spekulationen. Von deutscher Seite seien keine Gegenleistungen versprochen worden, beteuerte Sigmar Gabriel. Nach offizieller Lesart ist der vielzitierte Tausch Geisel gegen Panzer damit ins Reich böswilliger Unterstellungen verwiesen worden. Daß der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz gleich einen ganzen Wunschzettel voller Projekte vertiefter Zusammenarbeit zum besten gegeben hat, muß man demnach wohl als rein zufällige zeitliche Koinzidenz verbuchen. Panzer sind dabei, gegenseitige Besuche auf höchster Ebene, eine Aufhebung der deutschen Reisehinweise für die Türkei und Auftritte türkischer Spitzenpolitiker vor ihren Landsleuten in Deutschland. Was man in Ankara unter einer alsbaldigen Normalisierung der Beziehungen versteht, hört sich so offensiv und zuversichtlich an, als gelte es bei der geschäftsführenden Bundesregierung lediglich offene Türen einzurennen.

Für Yildirim gehört der Rüstungsbereich definitiv zu den entwicklungsfähigen Kooperationsfeldern. Er bringt den gemeinsamen Bau eines Kampfpanzers ins Gespräch, von dem beide Seiten profitieren würden. Die türkische Regierung plant den Bau von etwa 1000 Panzern des Typs "Altay" im geschätzten Wert von etwa sieben Milliarden Euro. Die Motoren sollen aus Deutschland kommen, einfache Teile in der Türkei hergestellt werden. Für die erste Tranche von etwa 100 bis 200 Panzern bietet auch der türkische Lastwagen- und Omnibusbauer BMC, mit dem der Düsseldorfer Rheinmetall-Konzern 2016 das Gemeinschaftsunternehmen RBSS gegründet hatte.

Die Beteiligung eines deutschen Unternehmens am Panzerbau in der Türkei bedarf einer Genehmigung der Bundesregierung. Diese hatte jedoch im vergangenen Jahr aufgrund der Spannungen mit Ankara die Exportgenehmigungen auf einen Tiefstand zurückgefahren und nach Beginn der "Operation Olivenzweig" gegen den nordsyrischen Kanton Afrin praktisch ganz gestoppt. Das hält Yildirim für falsch, seien doch beide Länder NATO-Mitglieder, wobei die Türkei die Grenzen der NATO in ihrer Region schütze. Unverfroren verteidigt er den Einsatz deutscher "Leopard"-Panzer gegen die kurdischen YPG/YPJ: "Wir haben sie ja für Tage wie heute gekauft, wenn wir angegriffen werden. Wann sollten wir sie denn sonst einsetzen?" Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Sigmar Gabriel hatten sich angesichts des türkischen Angriffskriegs im Nachbarland darauf verständigt, die geplante Nachrüstung der Panzer mit Minenschutz zu stoppen. Das ist Yildirim zufolge für die Türkei verkraftbar, da sein Land in dieser Hinsicht andere Möglichkeiten habe und die Schutzvorrichtung auch selbst herstellen könne.

Da die türkische Tourismusbranche in erheblichem Maße von deutschen Urlaubern abhängt, schlägt deren Fernbleiben besonders negativ zu Buche. Seit der Festnahme des Menschenrechtlers Peter Steudtner im Juli 2017 warnt das Auswärtige Amt vor willkürlichen Verhaftungen, zu denen es in allen Landesteilen "einschließlich der touristisch frequentierten Regionen" kommen könne. Nun hofft die türkische Regierung, daß die Reisehinweise wieder entschärft werden. Zudem erwartet Yildirim, daß es bald wieder gegenseitige Besuche auf höchster Ebene geben wird. Die Außenminister würden sich noch häufiger treffen, Präsident Erdogan werde nach Deutschland und die Bundeskanzlerin in die Türkei kommen. Auch könne er sich wieder Auftritte führender türkischer Politiker vor Landsleuten in Deutschland vorstellen. Der heftige Streit um behördliche Verbote solcher Auftritte vor dem Verfassungsreferendum in der Türkei im April, in deren Verlauf die türkische Regierung von "Nazi-Methoden" gesprochen hatte, sind für ihn offenbar Schnee von gestern. [2]

Der 44jährige Korrespondent Deniz Yücel hatte in der Türkei ein Jahr ohne Anklage in Untersuchungshaft verbracht. Die Staatsanwaltschaft forderte 18 Jahre Haft wegen "Terrorpropaganda". Yücel, der eine Freilassung aufgrund eines "schmutzigen Deals" abgelehnt hatte, teilte in einer Videobotschaft mit, er wisse immer noch nicht, warum er vor einem Jahr als Geisel genommen und ebensowenig, warum er freigelassen wurde. Wenngleich er sich natürlich freue, bleibe etwas Bitteres zurück. Viele Menschen säßen in der Türkei nur aufgrund ihrer oppositionellen Haltung zu diesem Regime in Haft. Sollte der Journalist mit doppelter Staatsbürgerschaft in Abwesenheit verurteilt werden, wäre er zwar in Deutschland relativ geschützt, doch könnte er die Türkei nicht mehr besuchen und wäre auch in anderen Ländern nie vor einer Auslieferung sicher, so daß seine Reisefreiheit stark eingeschränkt bliebe. [3]

Nach dem kontrollierten Putschversuch in der Türkei waren Zehntausende Menschen verhaftet worden. Angaben des Auswärtigen Amts zufolge sitzen noch fünf weitere politische Gefangene mit deutscher Staatsbürgerschaft in türkischen Gefängnissen. Unionsfraktionschef Volker Kauder spricht von 45 inhaftierten Deutschen, mehr als 30 weiteren werde die Ausreise verweigert. Nach den Worten des Generalsekretärs der deutschen Amnesty-Sektion, Markus N. Beeko, befinden sich nach wie vor mehr als 100 Journalistinnen und Journalisten in türkischer Haft, darunter auch der türkische Vorsitzende von Amnesty International, Taner Kilic. [4]

Nicht minder perfide wie die Leugnung jeglichen Deals trotz zeitgleicher Forderungen von türkischer Seite mutet die Verurteilung dreier prominenter türkischer Journalisten zu erschwerter lebenslanger Haft am Tag der Freilassung Yüzels an. Sie müssen im Gefängnis 23 Stunden am Tag in Isolation verbringen, werden also der Folterhaft unterworfen und das Gefängnis angesichts ihres Alters wohl nicht mehr lebend verlassen, sofern des Erdogan-Regime nicht zu Fall gebracht wird. Alle drei wurden in Istanbul wegen angeblicher Unterstützung des Putschversuchs vom Juli 2016 verurteilt, was sie entschieden bestritten haben. Für die Freilassung des 67jährigen Ahmet Altan hatte sich unter anderem der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk eingesetzt. Wie Altans Tochter Sanem mitteilte, werde man sich an das türkische Kassationsgericht wenden, als gäbe es eine unabhängige Justiz. Wenn man sich später erinnere, müsse man über alle Gesetzlosigkeiten Bescheid wissen.

Der zweite Verurteilte ist Ahmet Altans 65 Jahre alter Bruder Mehmet Altan, der als Wirtschaftsautor und liberaler Denker bekannt ist. Im Januar hatte das türkische Verfassungsgericht seine Haftentlassung angeordnet, was jedoch erstmals von einem einfachen Gericht revidiert wurde. Damit existiert in der Türkei definitiv keine juristische Instanz mehr, vor der die Menschen zumindest ihr Recht suchen können. Die Gewaltentrennung ist aufgehoben, die Urteile erfolgen auf politische Weisung. Bei der dritten Verurteilten handelt es sich um die 73jährige Nazli Ilicak, die kurzzeitig Abgeordnete für eine islamistische Partei war und sich dann für die AKP engagierte.

Während führende Repräsentanten des Erdogan-Regimes triumphierend hinausposaunen, was sie in der Tasche zu haben glauben, legen Vertreter der Bundesregierung aus naheliegenden Gründen Zurückhaltung an den Tag, um die Ernte im Falle Deniz Yüzels still und heimlich einzufahren. Er war aus Perspektive der deutschen Medien und Bevölkerung die am stärksten wahrgenommene Geisel in türkischer Haft, weshalb sich die geschäftsführende große Koalition seine Freilassung als bedeutenden Erfolg ans Revers heften möchte. Weit darüber hinaus hat dieser beiderseits in Abrede gestellte Deal das Eis insoweit gebrochen, daß deutsche Interessen an einer vertieften Zusammenarbeit mit der Türkei wieder Morgenluft wittern können. Was in der Phase bitterer Anwürfe aus Gründen politischer Opportunität hierzulande nicht möglich war, könnte bald wieder salonfähig werden. Wenn Binali Yildirim wie ein Elefant im Porzellanladen empfindlicher Beziehungen herumzutrampeln scheint, verbirgt sich dahinter doch zugleich ein osmanisch graziöses Manöver, beiderseits Gesicht zu wahren und einander unter dem Tisch die Hände zu reichen.


Fußnoten:

[1] www.zeit.de/news/2018-02/18/tuerkei-will-mit-deutscher-hilfe-panzer-bauen-180218-99-125483

[2] www.sueddeutsche.de/politik/deutsch-tuerkische-beziehungen-wie-ankara-yuecels-freilassung-nutzen-will-1.3873035

[3] www.zeit.de/politik/deutschland/2018-02/denizfree-deniz-yuecel-nicht-frei-freilassung-untersuchungshaft-tuerkei

[4] www.faz.net/aktuell/politik/ausland/tuerkei-drei-journalisten-zu-lebenslanger-haft-verurteilt-15452428.html

19. Februar 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang