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REPRESSION/1681: Vorwandslage - mehr Kontrolle ... (SB)



Laut Verfassungsschutz ist Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus die derzeit "größte Gefahr" für die Demokratie in Deutschland. Das Gewaltpotenzial entlade sich "in realer Gewalt", sagte Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang kürzlich mit Blick auf die jüngsten Anschläge. Diese Taten seien "blutende Wunden in der historischen Blutspur des Rechtsextremismus".
Thomas Haldenwang (Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz) [1]

Wenn Staatsgewalt die extreme Rechte lektioniert, wer in diesem Verhältnis Roß und Reiter sei, besteht zu wohlgefälligem Beifall kein Anlaß. Der Streit ums Gewaltmonopol kann nur zu Lasten all jener ausgehen, die stets auf die eine oder andere Weise darunter zu leiden haben. Herauskommen wird dabei keine bessere Gesellschaft, sondern eine geringfügig veränderte Austarierung der Gewichte im Kontext einer Herrschaftssicherung, welche die wirtschaftliche und ökologische Krise zu verzögern versucht. Wer über die Zwangsinstrumente gebietet, seinen Vorteil aus diesen Verhältnissen zu ziehen, wird mit allen zu Gebote stehenden Mitteln verhindern, daß sie von Grund auf geändert werden. Um jedoch von der dadurch heraufbeschworenen Katastrophe nicht selber verschlungen zu werden, muß die Umwälzung der Lasten massiv verschärft werden. Darin sind sich der bürgerliche Staat und die extreme Rechte durchaus einig, nicht jedoch zwangsläufig, was den Weg dahin betrifft und wer am Ende im Sattel sitzt.

Die staatliche Ordnung mittels repressiver Verschärfung aufrechtzuerhalten oder sie schwer zu erschüttern, um ihre repressive Neuordnung zu erzwingen, ist eben nicht ohne weiteres gleichzusetzen. Der Aufstand, wie ihn die Rechte anstrebt, ist gewissermaßen der prozessuale Gegenentwurf zur administrativen Durchsetzung des starken Staates, der die soziale Revolte präventiv einzuhegen trachtet, birgt sie doch das unkontrollierte Potential gesellschaftsverändernder Bestrebungen, die an der Eigentumsfrage rühren. Der Feind steht links, verortet die Staatsräson die grundsätzliche Gefahrenlage nicht im rechten Sektor, zu dem sie ein instrumentelles Verhältnis unterhält. Daraus folgt für die Linke, daß das verschärfte Vorgehen gegen rechte Strukturen auf staatlicher Ebene direkt oder mittelbar auf sie abzielt, zumindest aber die Voraussetzungen dafür stärkt.

Was wie eine Kehrtwende in der Wahrnehmung und Verfolgung rechtsextremer Umtriebe anmuten mag, ist vielmehr die konsequente Ausbeutung des Ertrags aus dem angeblichen Behördenversagen, mit dem die aus dem Ruder laufende geheimdienstliche Instrumentalisierung der Rechten gedeckelt wurde. Der daraus resultierende Ruf nach einer Reform der Geheimdienste war Wasser auf die Mühlen einer gesteigerten Effizienz des Verfassungsschutzes und dessen engere Zusammenarbeit mit den Polizeien, die ihrerseits mit den neuen Ländergesetzen einen enormen Zuwachs ihrer exekutiven Ermächtigung erfuhren. Ob NSU, NSA oder Anschlag auf den Weihnachtsmarkt, was immer an sogenannten Affären, Skandalen und Fehltritten hochkochte, wird nun einer Vergangenheit zugerechnet, deren Überwindung und Bewältigung in vollem Gange sei. Das Resultat ist absehbar: Die bürgerliche Gesellschaft darf sich samt ihren Presseorganen Seite an Seite mit dem Staatsschutz gegen die extreme Rechte in Stellung bringen. Der Argwohn gegenüber den Schlapphüten angesichts deutlich werdender Querverbindungen und Verflechtungen mit dem rechten Milieu schwindet zugunsten der Zuversicht, im Schutz staatlicher Sicherheitsorgane in den besten Händen zu sein.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat mit dem Wechsel von Hans-Georg Maaßen zu Thomas Haldenwang geradezu einen Paradigmenwechsel inszeniert, der in konzertierter Aktion von Bundesregierung, Innenministerium, Bundeskriminalamt und Geheimdienst auf breiter Front vorgetragen wird. Maaßen hatte sich als Präsident der Behörde selber untragbar gemacht, da er seine Gesinnung, die ihn für diese Funktion qualifizierte, immer offener nach außen trug. Er entledigte sich der geheimdienstlichen Tugend, im Hintergrund tarnend, trügend und täuschend die Strippen zu ziehen. Statt dessen hielt er die Zeit für gekommen, politisch in Erscheinung zu treten und die Mitte der Gesellschaft in der Werteunion zu proklamieren, um eine auf rechts gebürstete CDU mit einer entflügelten AfD zusammenzuführen. Heute werden die Sünden der Vergangenheit mit Maaßen assoziiert, während Haldenwang die Ernte einer im umgekehrten Sinne instrumentalisierten extremen Rechten einfährt.

Was vor nicht allzu langer Zeit noch undenkbar schien, ist heute breit kommunizierter Konsens in den Verlautbarungen des Staatsapparats. Laut Verfassungsschutz ist Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus die derzeit "größte Gefahr" für die Demokratie in Deutschland. Das Gewaltpotential entlade sich "in realer Gewalt", erklärt Haldenwang. Diese Taten seien "blutende Wunden in der historischen Blutspur des Rechtsextremismus". Generalbundesanwalt Peter Frank macht den Kampf gegen Rechtsextremismus zu einem Schwerpunkt seiner Tätigkeit. Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer betont, daß die größte Gefahr derzeit in Deutschland von rechts drohe. Die Entwicklungen von der rechten Terrorzelle NSU bis heute machten deutlich, daß "die Bedrohungslage durch den Rechtsextremismus in diesem Land sehr hoch ist und durch nichts relativiert werden kann". Wie nach dem Anschlag von Hanau von Bundeskanzlerin Angela Merkel angekündigt, hat die Bundesregierung beschlossen, daß sich künftig ein Kabinettsausschuß mit dem Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus befassen wird, der weitere, auch präventive Maßnahmen zur Bekämpfung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ergreifen soll.

Das Waffenrecht wurde verschärft, Justizministerin Christine Lambrecht plant ein Gesetz zur Bekämpfung von Haß im Internet, das härtere Strafen vorsieht, Horst Seehofer kündigte 600 neue Stellen für BKA und Verfassungsschutz im Kampf gegen Rechts an. Auch soll der öffentliche Dienst besser durchleuchtet werden. Das Bundeskriminalamt führt mehr Strukturermittlungsverfahren durch, um unabhängig von konkreten Einzeltaten das Umfeld Verdächtiger aufzuhellen, und überprüft auf Grundlage der Gesetzgebung gegen Haß und Hetze sehr viel intensiver das Internet. Und daß hier nicht nur Symbolpolitik gemacht wird, belegt eine Welle eng getakteten Vorgehens gegen rechtsextreme Strukturen.

Wollte man von einer Zäsur sprechen, so war dies der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 2. Juni 2019. Gefolgt von dem daraufhin deutlich wahrgenommenen Mordanschlag auf einen Flüchtling aus Eritrea in der hessischen Kleinstadt Wächtersbach, insbesondere aber dem antisemitischen Anschlag von Halle und der Bluttat in Hanau erforderte und beförderte dieser Gesamtkomplex eine Kurskorrektur. Was nach Recherchen der Amadeu Antonio Stiftung mehr als 200 Todesopfer rechtsextremer oder rassistischer Gewalt seit 1990 in Deutschland, dazu Pogrome, tagtägliche Angriffe auf Asylunterkünfte, Bedrohungen und zahlreiche weitere Gewalttaten nicht ausgelöst hatten, stand plötzlich ganz oben auf der Agenda des Staatsschutzes. Im Jahr 2019 wurden mehr als 1.200 Straftaten gegen Politiker verübt, die allermeisten von Rechtsextremen. Einen tödlichen Angriff auf einen hochrangigen politische Repräsentanten, Schüsse auf eine Synagoge und eine Mordserie auf offener Straße konnte der Sicherheitsstaat nicht unbeantwortet lassen, wollte er seine Akzeptanz nicht aufs Spiel setzen. Auch waren nicht feste Strukturen am Werk, die sich überwachen und infiltrieren ließen, sondern in Netzwerken lose verbundene Rechtsextremisten oder zuvor nicht in Erscheinung getretene Einzeltäter, die sich tatsächlich kaum noch oder gar nicht mehr kontrollieren ließen.

Längst in Stellung gebrachte oder auf kurzem Weg umgesetzte Razzien, Festnahmen, Verbote, Einstufungen und Prozesse folgten Schlag auf Schlag. Im Sommer 2019 stellte die Polizei bei der mutmaßlich rechtsextremen Gruppe "Nordkreuz" aus Mecklenburg-Vorpommern Munition in großer Menge sicher und leitete Ermittlungen ein. Das Landgericht Potsdam verurteilte den ehemaligen NPD-Politiker Maik Schneider, der als Kopf der rechten Szene in Nauen im Havelland gilt, wegen des Brandanschlags auf eine als Flüchtlingsunterkunft vorgesehene Sporthalle sowie weiterer Straftaten zu neun Jahren und einem Monat Haft. Anfang Oktober wurde der Prozeß gegen die acht Mitglieder der Gruppe "Revolution Chemnitz" eröffnet, denen Bildung und Mitgliedschaft in einer rechtsterroristischen Vereinigung vorgeworfen wird. Ende Januar 2020 verhängte das Bundesinnenministerium ein Verbot gegen "Combat 18 Deutschland", den militanten Arm des neofaschistischen Netzwerks "Blood and Honour". Mitte Februar wurden nach einer Großrazzia zwölf Mitglieder und Unterstützer der mutmaßlich rechtsextreme Zelle "Der harte Kern" inhaftiert. Ende Februar erklärte das Bundesamt für Verfassungsschutz "Uniter" zum Prüffall und kann damit systematisch auswerten, ob es bei dieser Organisation verfassungsfeindliche Tendenzen gibt. Jüngst hat Bundesinnenminister Seehofer erstmals eine Gruppierung der "Reichsbürger" verboten. Der größte Paukenschlag war schließlich die Einstufung des "Flügels" um Björn Höcke und Andreas Kalbitz in der AfD als Beobachtungsfall, die dritte und höchste Stufe geheimdienstlicher Observierung. Dies löste ein innerparteiliches Erdbeben bis hin zur formellen Auflösung des "Flügels" aus.

Diese Flurbereinigung brachte dem Staatsschutz im allgemeinen und dem Verfassungsschutz im besonderen sehr viel Lob und einen dezidierten Stimmungsumschwung ein. Der Eindruck, von Staatsorganen getäuscht und hintergangen zu werden, wich dem integrativen Gefühl, an einem Strang gegen rechte Gewalt zu ziehen. Politik und Behörden hätten lange den Rechtsextremismus und die von ihm ausgehende Gefahr unterschätzt, heißt es nun. Inzwischen habe man jedoch daraus gelernt, die Konsequenzen gezogen und einen Kurs angelegt, wie er für die Zukunft der Demokratie und den Zusammenhalt der Gesellschaft entscheidend sei. Wie unerhört wertvoll dieses strategische Manöver aus Perspektive der Staatsräson ist, zeigt sich gegenwärtig im Umgang mit der Corona-Pandemie. Diese ruft weitreichende Verwerfungen vertrauter Verhältnisse auf den Plan, die der Rechten ein vorzügliches Terrain bereiten könnten. Statt dessen dominiert jedoch der administrierende Staat auf ganzer Linie, der Zug um Zug lange zuvor in Stellung gebrachte Restriktionen verfügt, ohne nennenswerten Protest auf den Plan zu rufen. Daß der Rettung der deutschen Wirtschaft Vorrang vor dem Schutz der Gesundheit eingeräumt wird, geht in einer gesellschaftlichen Debatte unter, die unablässig um die Perspektive kreist, der deutsche Weg werde sich als der erfolgreichste erweisen. Auch aus dieser Krise am geringsten geschädigt und mithin siegreich hervorzugehen, bedarf einer hochentwickelten Fähigkeit, sozialen Widerstand einzubinden und zu befrieden, wie sie deutsche Staatlichkeit in besonderem Maße prägt.


Fußnote:

[1] www.n-tv.de/politik/Rechtsextreme-marschieren-weniger-article21658783.html

23. März 2020


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