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REPRESSION/1701: Tasereinsatz - Inkaufnahme von Schmerz und Lebensgefahr ... (SB)



Wer je einen Taser-Stromschlag am eigenen Leib erlebt hat, vergisst ihn nie mehr. "Sie nennen es die fünf längsten Sekunden deines Lebens. Niemand möchte ein zweites Mal davon getroffen werden", sagt ein Sheriff aus dem US-Bundesstaat Michigan. Und ein US-Waffenexperte gibt zu: "Ich habe niemals grössere Schmerzen empfunden."
[1]

Wenngleich Taser als nichttödliche Waffen gelten, sind infolge des Einsatzes solcher Elektroschockpistolen weltweit zahlreiche Menschen gestorben. Auch in Deutschland werden mehrere Todesfälle darauf zurückgeführt, was die Polizeien einer Reihe von Bundesländern jedoch nicht daran hindert, die Ausstattung von Streifenpolizisten mit Tasern zu erproben und durchzusetzen. Dies steht in Zusammenhang mit der massiven Ausweitung exekutiver Verfügungsgewalt, die durch die neuen Polizeigesetze auf breiter Front vorangetrieben wurde und eine Aufrüstung bis hin zu Kriegswaffen einschließt. Die in Hinsicht auf ihre Gefährlichkeit umstrittenen Taser werden nach offizieller Lesart als Instrumente der Deeskalation eingestuft, weil sie angeblich den Gebrauch von Schußwaffen vermindern und durch ihre sofortige Demobilisierung des Getroffenen weitere Schadensfolgen für alle Beteiligten abwenden. Da sie jedoch extreme Schmerzen zufügen, die das Opfer nie wieder erleben will, handelt es sich im Kern um Folterwaffen, die unmittelbar zu diesem Zweck oder dessen Androhung eingesetzt werden. Sie repräsentieren das Potential einer gefürchteten Polizeigewalt, deren bloße Präsenz Menschen einschüchtern, abschrecken und von bestimmten Orten oder Aktionen fernhalten soll.

Wie aus deutschen Polizeikreisen berichtet wird, genüge oft schon das Zeigen des Tasers, um die Lage zu beruhigen. "Viele Leute haben Youtube-Videos von Taser-Einsätzen gesehen und ziehen es vor, das nicht selbst zu erleben." Für die Polizisten geht es nicht zuletzt um Selbstschutz: Werden sie bedroht, können sie sich mit dem Taser Respekt verschaffen oder den Angreifer abwehren. Einsatzkräfte loben daher die "deeskalierende Wirkung" der Waffe. Tatsächlich zeigt die Einsatzpraxis, daß deutsche Streifenpolizisten den Schuß aus der Elektroschockpistole bislang häufiger androhen als anwenden.

Um die Wirkung zu testen, führte die Polizei auch Selbstversuche durch. "Es sind fünf schreckliche Sekunden", beschreibt ein Berliner Polizist den Moment, als ihn der Schuß aus einer Elektroschockpistole traf. "Es tut weh wie ein Krampf", erinnert sich der Hauptkommissar, der sich zu Übungszwecken beschießen ließ. Durch den Stromschlag verlieren die Getroffenen die Kontrolle über ihre Muskeln und stürzen zu Boden. Dieses Erlebnis vergißt auch ein Polizeitrainer aus Rheinland-Pfalz nicht, der sich ebenfalls einen Stromstoß mit dem Taser verpassen ließ: "Auf einer Schmerzskala von eins bis zehn ist das eine Neun, vielleicht sogar eine Zehn". Obgleich der Schmerz nach wenigen Sekunden nachläßt und der Betroffene wieder aufstehen kann, wolle er das nicht noch einmal erleben, betont der Polizist. "Ich war bedient." [2]

Das ist auch kein Wunder, da Strom in einer Spannung von 50.000 Volt durch den Körper gejagt wird. Mit der Elektroschockpistole können aus einer Distanz von maximal sechs Metern zwei kleine Pfeile abgefeuert werden, die durch dünne Drähte mit dem Gerät verbunden bleiben und so den Stromfluß aufrechterhalten. Die hohe Spannung lähmt für einige Sekunden das Nervensystem. Die beschossene Person bricht zusammen und kann widerstandslos festgenommen werden. Die optimale Entfernung beim Einsatz eines Tasers liegt zwischen einem und drei Meter. Das Gerät ist mit zwei Kartuschen ausgestattet und besitzt eine Laserzieleinrichtung. [3]

Das UNO-Komitee gegen Folter hat sich in einer öffentlichen Stellungnahme vom 23. November 2007 äußerst besorgt über die Tatsache gezeigt, daß "die Verwendung von Taser-Waffen, welche enorme Schmerzen verursachen und eine Form der Folter darstellen, unter gewissen Umständen tödlich sein können". Taser müßten als potentiell tödliche Waffen angesehen werden, vor allem beim Einsatz gegen Personen, die an Herz- oder Atemproblemen leiden. Wie Amnesty International fordert das Komitee, daß der Einsatz von Elektroschockwaffen ausschließlich in Situationen größter Gefahr anstelle des Einsatzes von tödlichen Feuerwaffen erlaubt werde.

Die Elektroschocker, die pro Stück etwa 1400 Euro kosten, werden nach dem US-amerikanischen Erfinder und Hersteller "Taser" genannt. Inzwischen hat sich die Firma, die unangefochtener Weltmarktführer ist, in "Axon" umbenannt. Axon unterhält ein Büro in Frankfurt am Main und wirbt bei der deutschen Polizei offensiv für die Anschaffung von Tasern: Sie könnten Leben retten, da ein kurzer Stromstoß viel harmloser sei als ein Schuß mit der Waffe oder ein Hieb mit dem Schlagstock. Aber auch der Hersteller räumt ein, daß der Einsatz nicht frei von Risiken sei. Seit der Erfindung des Geräts vor einem Vierteljahrhundert habe es "26 Todesfälle durch Stürze und Feuer" gegeben, erklärte Axon der Deutschen Welle in einer schriftlichen Stellungnahme. Damit meint die Firma Fälle, in denen ein Sturz nach dem Stromschlag tödliche Folgen hatte oder die Kleidung des Getroffenen durch den Taser-Beschuß entzündet wurde. Nach der Lesart von Axon ist also kein einziger Todesfall auf die Folgen des Elektroschocks für das Herz-Kreislauf-System des Opfers zurückzuführen.

Ein ganz anderes Bild ergeben die Zahlen, die die Nachrichtenagentur Reuters zusammengetragen hat: Demnach starben in den Vereinigten Staaten in den vergangenen 20 Jahren mehr als 1000 Menschen nach einem Taser-Beschuß durch die Polizei. In mindestens 153 Fällen war der Taser die alleinige Todesursache oder trug nachweislich zum Tod mit bei, wie Obduktionsberichte und Prozeßakten belegen. In vielen Fällen konnte die Todesursache jedoch nicht eindeutig geklärt werden. Nach den Recherchen von Reuters liegt das auch daran, daß der Hersteller in den USA gezielt Einfluß auf medizinische Gutachten nehme. Axon pflege Beziehungen zu jenen Fachleuten, "die entscheiden, ob ein Taser-Schock an einem tödlichen Unfall schuld ist oder nicht", so der Befund der Nachrichtenagentur.

In den USA werden Taser-Pistolen landesweit von mehr als 11.000 Strafverfolgungs- und Vollzugsbehörden versuchsweise oder definitiv eingesetzt. Die US-Armee verwendete Taser unter anderem bei der Überführung von Terrorverdächtigen nach Guantánamo Bay. Wie die Praxis in den USA zeigt, sinkt die Schwelle für eine Anwendung fortlaufend. Beispielsweise streckte ein Polizist in Arizona ein neunjähriges, psychisch behindertes Mädchen nieder, das aus einem Heim davongelaufen war. Hunderte, wenn nicht Tausende von Häftlingen werden jedes Jahr mit Tasern diszipliniert.

Im Sommer 2003 ließ die Herstellerfirma verlauten, die Schweiz habe als erstes europäisches Land den Taser offiziell bewilligt. Polizeikorps in mehreren Kantonen und Städten haben Taser getestet oder in Einsatz genommen. In einigen Kantonen lehnte die Polizei eine Beschaffung jedoch explizit ab oder verzichtete nach einer Testphase auf die Einführung, weil sie die Verletzungsgefahr offenbar für unvertretbar hielt. In den Niederlanden kam es bereits in der Testphase im Jahr 2017 zu einer so exzessiven Anwendung der Elektroschockpistolen, daß das UN-Komitee gegen Folter das Land ermahnte. Polizisten hatten den Taser oft im "Kontaktmodus" angewendet, bei dem er direkt gegen den Körper gehalten wird. Das löst zwar keine Lähmung, aber extreme Schmerzen aus. Amnesty International beklagt, daß sogar Menschen in Handschellen und Gefängniszellen getasert wurden, was gesetzlich verboten sei. "Die Polizeigewalt hat nach der Einführung des Tasers zugenommen", sagte AI-Sprecher Emile Affolter. Viele Polizisten hätten mit dem Gerät einfach "herumexperimentiert". Erst nachdem das Training ausgeweitet und verbessert wurde, sei die Zahl der Taser-Einsätze erheblich gesunken.

Wenngleich die Einführung in Deutschland moderater vonstatten gehen dürfte, sind grundsätzliche Befürchtungen nicht von der Hand zu weisen. Der Hersteller selbst weist in einem Informationsblatt darauf hin, daß ältere und geschwächte Menschen, Herzkranke oder Asthmatiker besonders gefährdet seien. Auch vor Wechselwirkungen mit Medikamenten oder Drogen wird gewarnt. Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul, räumte 2018 als erster Regierungspolitiker in der Bundesrepublik ein, daß bei der Anwendung von Pfefferspray und Tasern "an Personen mit (Vor-) Erkrankungen, insbesondere des Herz-Kreislauf-Atmungssystems oder unter Medikamenten-, Alkohol- und Drogeneinfluss stehend", ein Risiko gesundheitlicher Folgeschäden gegeben ist - "mitbedingt durch die aus der Situation entstehenden Stressreaktionen". Hinzu kommt, daß die plötzliche Bewegungsunfähigkeit die Gefahr schwerer Kopfverletzungen mit sich bringt. [4]

Ganz abgesehen davon, daß ein Polizist im Einsatz kaum Kenntnis von möglichen Erkrankungen seines Gegenübers haben kann, wird mit diesen Warnhinweisen ausgerechnet jene Personengruppe beschrieben, die hohe Gefahr liefe, im Falle einer Eskalation getasert zu werden, weil sie nach polizeilichem Ermessen nicht anders unter Kontrolle gebracht werden kann. Gerade bei Menschen, die durch Alkohol, Drogen oder psychische Probleme "im Ausnahmezustand" seien, könne der Taser das Mittel der Wahl sein, sagte der Sprecher des rheinland-pfälzischen Innenministeriums der DW. Der Taser gilt als probates Einsatzmittel gegen Menschen, die sehr aggressiv oder in einem psychischen Ausnahmezustand sind, die sich gegen die Einlieferung in ein Krankenhaus wehren oder sich umbringen wollen. Diese Menschen haben aber oft Medikamente oder Drogen eingenommen, außerdem stehen sie stark unter Streß. All das erhöht das Risiko, daß der Stromschlag zu einem Herzinfarkt zumindest beitragen kann. In ihrem Taser-Training werden deutsche Polizisten ausdrücklich für bestimmte Risikogruppen sensibilisiert und angewiesen, den Taser "bei erkennbar Herzkranken, Schwangeren oder Kindern unter 14 Jahren" nicht zu benutzen. Da sie jedoch keine Ärzte sind, ist ihnen die medizinische Vorgeschichte einer Zielperson natürlich nicht bekannt.

Zudem kam das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste NRW nach einer internen Prüfung der Taser zu dem Schluß, daß sich deren Einsatz nur für "statische Einsatzsituationen" eigne. Bei Angriffen von potentiellen Delinquenten mit Schuß- oder anderen Waffen gilt der Taser als nicht geeignet, da der Beschuß mit den Pfeilen auf sich bewegende Ziele als ausgesprochen schwierig gilt. Das schränkt die für zweckmäßig erachteten Anwendungsmöglichkeiten derart ein, daß das Argument, der Gebrauch von Schußwaffen werde auf diese Weise nennenswert reduziert, auf tönernen Füßen steht.

Ungeachtet der damit verbundenen Gefahren gehören Taser bei Sondereinsatzkommandos bundesweit schon seit vielen Jahren zum Arsenal, auch der Bundespolizei soll der Einsatz in Kürze gestattet werden. Hessen und Rheinland-Pfalz sind Vorreiter beim Einsatz im Streifendienst der Polizei, erprobt werden die Waffen diesbezüglich auch im Saarland, in Berlin oder Bremen, und in Bayern läuft ein Pilotprojekt bei der Bereitschaftspolizei. Nun legt auch NRW nach und will bis zum Jahreswechsel drei bis sechs Polizeibehörden im Rahmen eines Pilotprojekts damit ausrüsten. Anhand dieser Testphase, die für einen Zeitraum von fünf Jahren zwischen 57 und 61 Millionen Euro kosten wird, soll über einen landesweiten Einsatz der Waffe entschieden werden.

Innenminister Reul hatte in der am 28. Juni 2019 veröffentlichten Antwort auf eine parlamentarische Anfrage bestätigt, daß es 2018 bei 14 Personen zu nicht näher benannten Verletzungen infolge des Einsatzes von Tasern durch Sondereinsatzkommandos gekommen war. Bundesweit sind mehrere Todesfälle dokumentiert, die mit dem Einsatz dieser Waffe in Verbindung gebracht werden. Mitte Januar 2019 sollte in Pirmasens ein psychisch kranker Mann aus seiner Wohnung ins Krankenhaus gebracht werden. Weil er sich mit Händen und Füßen dagegen wehrte, wurde er getasert. Der 56jährige kollabierte im Polizeiwagen und starb kurz darauf in der Notaufnahme des Krankenhauses. Im Mai 2019 starb im Raum Frankfurt ein getaserter Mann, der sich zuvor aggressiv gegen die Einnahme dringend notwendiger Medikamente gewehrt hatte. Der Diabetiker übergab sich nach dem Elektroschock, wurde ohnmächtig und kam ins Krankenhaus. Er starb vier Tage später, laut Obduktion unter anderem an Lungenentzündung, weil er nach dem Taser-Einsatz Erbrochenes eingeatmet hatte. [5]

In Fulda hatte ein 63 Jahre alter Mann in seiner Wohnung um sich geschossen und dabei auch einen Polizeihund getötet. Der Mann brach nach dem Elektroschock zusammen und wurde ins Krankenhaus gebracht, wo er etwa zwei Wochen später starb. Bei diesem Fall hatte die Polizei nichts über den Taser-Gebrauch berichtet, Innenminister Peter Beuth machte es erst auf eine Anfrage der Linken-Fraktion hin publik. In Nürnberg gab die Staatsanwaltschaft nicht weniger als vier Gutachten zum Todesfall eines 43jährigen "Randalierers" in Auftrag, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, "dass irgendetwas unter den Teppich gekehrt wird", wie eine Sprecherin betonte.

Im hessischen Landtag forderte die Linksfraktion, den Taser-Gebrauch auszusetzen, bis die Todesfälle abschließend geklärt seien. Innenminister Beuth kam dieser Forderung jedoch nicht nach und erklärte, daß sich die Elektroschocker im Testbetrieb seit 2017 bewährt hätten. So könnten Störer "aus der Distanz ohne anhaltende Verletzungen kampfunfähig gemacht werden". In Rheinland-Pfalz zeigte sich sein Amtskollege Roger Lewentz nach einer Testphase überzeugt: Taser seien "ein geeignetes Mittel, um von Gewalt und Aggression geprägte Einsatzlagen ohne die Herbeiführung schwerer Verletzungen zu bewältigen", wobei er besonders die abschreckende Wirkung hervorhob. Daß die Landesregierung NRW nun trotz aller Bedenken in dieselbe Kerbe schlägt, unterstreicht die Notwendigkeit, dieser Ausweitung Einhalt zu gebieten, ehe die schwarz-gelben Waffen flächendeckend vom erweiterten Repressionsarsenal deutscher Streifenpolizeien zeugen.


Fußnoten:

[1] www.amnesty.ch/de/themen/weitere/taser/dok/2007/umwerfende-spannung

[2] www.dw.com/de/taser-für-die-deutsche-polizei-wie-gefährlich-sind-elektroschockpistolen/a-49823267

[3] rp-online.de/nrw/panorama/polizei-in-nrw-beamte-im-streifendienst-sollen-taser-testen_aid-50512695

[4] www.jungewelt.de/artikel/378214.neue-waffen-für-die-polizei-testlauf-für-taser.html

[5] www.hessenschau.de/politik/minister-bestaetigt-zweiten-todesfall-nach-taser-einsatz-der-polizei,taser-einsatz-polizei-100.html

13. Mai 2020


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