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KULTUR/0764: Totalitarismusverdacht! Wenn Widerstand zur Pflicht wird ... (SB)



Auch nach der Europapremiere des Films "Operation Walküre - Das Stauffenberg Attentat" meinen einige Politiker, aus der Scientology-Mitgliedschaft des Hauptdarstellers Tom Cruise politisches Kapital schlagen zu müssen. So erklärte der FDP-Bundestagsabgeordnete Patrick Meinhardt, es könne für "die deutsche Widerstandsbewegung gegen Hitler im Nachhinein keine größere Ohrfeige geben, als dass ein Kämpfer gegen den Totalitarismus durch einen Scientologen dargestellt wird" (Welt Online, 22.01.2009). Sein CDU-Kollege Michael Brand ist gar der Ansicht, daß Stauffenberg selbst heute gegen eine Veranstaltung wie die Premierenvorführung in Berlin Widerstand leisten würde (Stuttgarter Nachrichten, 21.01.2009), und spricht sich für einen Boykott des Films aus.

Hier kann Widerstand in denkbar kleiner Münze geleistet werden. Nichts ist leichter, als sich an einer US-Kirche mit ruiniertem Ruf, die zudem vom deutschen Inlandgeheimdienst observiert wird, schadlos zu halten. Wenn deren schlechtes Renommee auch noch gegen ein geschichtspolitisches Identifikationssujet ersten Ranges gehalten wird, wer wollte sich da nicht einreihen in die Volksfront gegen die sogenannte Sekte? Die Frage, wieso deren Mitgliedern in einer demokratischen Gesellschaft mit geheimdienstlichen Mitteln nachgestellt wird, bleibt denn auch so ungestellt wie die Gewißheit, daß die Offiziere des 20. Julis 1944 die Gesamtheit des deutschen Widerstands gegen Hitler repräsentierten, unhinterfragt.

Meinhardt unterschlägt aus gutem Grund, daß die Hauptwucht des Widerstands gegen das NS-Regime von Kommunisten und Sozialisten getragen wurde, die dafür häufig mit dem Leben und langjährigen Aufenthalten im Konzentrationslagern büßen mußten. Es paßt nicht ins totalitarismustheoretische Weltbild, internationalistische Klassenkämpfer mit deutschen Offizieren auf eine Ebene zu stellen, waren letztere doch nicht zuletzt auf den antibolschewistischen Krieg Hitlers eingeschworen, den sie mit verbrecherischen Mitteln wie unter anderem dem berüchtigten Komissarbefehl führten.

Bevor man den Hauptdarsteller von "Operation Walküre" mit dem Makel einer zur Menschenfeindlichkeit des Nazismus vermeintlich wesensverwandten Doktrin behaftet, wäre es im Rahmen der damit angeblich bezogenen aufklärerischen Position wünschenswert, daran zu erinnern, daß die Attentäter des 20. Juli 1944 politische Werte vertraten, die als Leitmotiv für die Bundeswehr ebensowenig taugen wie die Großmachtallüren jener Wehrmachtsgeneräle, die Hitler bis zum Schluß die Treue hielten. Die Offiziere des 20. Julis gehörten einer Wehrmacht an, die die Aufgabe einer Eroberungsarmee schon lange vor diesem Tag in einer Weise übererfüllt hatte, die mit den heute propagierten Idealen des militärischen Widerstands kaum konform geht. Alle hatten ihren Eid auf Hitler abgelegt, keiner hatte gegen die Ermordung der SA-Führung protestiert, mit denen Hitler einen mächtigen Konkurrenten der Wehrmacht aus dem Feld schlug, keiner hatte seine Stimme gegen die Ermordung der Generäle v. Schleicher und v. Bredow erhoben. Die Offiziere des 20. Juli hatten den Tod von 3,3 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen ebenso mitzuverantworten wie die Hinrichtung Hunderttausender Partisanen, Geiseln, Juden, Sinti und Roma vor allem in Rußland und auf dem Balkan. Sie gehörten einer nationalkonservativen Elite an, die Hitler 1933 ins Amt gehievt hatte, um mit seiner Hilfe die linke Opposition zu unterdrücken, die nun allerdings angesichts der drohenden Niederlage Schadensbegrenzung betreiben und sich in den Stand versetzen wollte, Einfluß auf die Gestaltung des Nachfolgestaats zu nehmen.

Zweifellos haben einige Mitglieder des Widerstands vom 20. Juli großen Mut bewiesen, doch das kann kein Grund sein, ihre historische Leistung zu Lasten aller anderen Menschen, die Opposition gegen das NS-Regime übten, zu verabsolutieren. Gegen die angemessene Würdigung des Attentäters Georg Elser, dessen in Eigenregie vorbereiteter Anschlag weit früher stattfand, regte sich noch in den 1990er Jahren erbitterter Widerstand konservativer Historiker. Auch der Schweizer Theologiestudent Maurice Bavaud, der seinen Plan, den Diktator 1938 vor der Münchner Feldherrnhalle zu erschießen, wie Elser mit dem Leben bezahlte, gehört nicht zu den Figuren des zivilen Widerstands, die sich besonderer Beachtung erfreuen.

In der Bundesrepublik hält man vor allem deshalb große Stücke auf die Verschwörer des 20. Juli, weil sich mit ihnen der Mythos einer Wehrmacht fortschreiben läßt, die von den Nazis lediglich mißbraucht wurde und keine eigenen Aktien in den Eroberungsfeldzügen durch ganz Europa hatte. Seit 1999 wird der 20. Juli an historischem Ort im Berliner Bendlerblock mit einem Rekrutengelöbnis begangen, um eine direkte Linie zwischen den Widerstandskämpfern, die dort hingerichtet wurden, und einer Bundeswehr, die angeblich in alle Welt ausrücken muß, um Demokratie und Menschenrechte mit Waffengewalt zu verbreiten, zu ziehen. Kurz nach Ende des völkerrechtswidrigen Überfalls der NATO auf Jugoslawien erklärte der dafür verantwortliche Bundeskanzler Gerhard Schröder am 20. Juli 1999 in seiner Ansprache an die Bundeswehrrekruten, warum Krieg und Frieden nicht länger zweierlei Ding sind:

"Der Einsatz im Kosovo hat jedem gezeigt: Unsere Bundeswehr ist tatsächlich eine Friedens-Streitmacht. Sie ist keine Eroberungs-Armee, die andere Länder unterwirft. Sondern unsere Soldatinnen und Soldaten setzen das um, was wir alle aus der Geschichte gelernt haben: Verantwortung für die Menschenrechte zu übernehmen - auch und gerade dort, wo deutsche Armeen in der Vergangenheit Terror und Verbrechen über die Völker gebracht haben."

Aus den Verbrechen der Wehrmacht die Legitimation herzuleiten, Kriegseinsätze in den Stiefelspuren der Landser Hitlers durchzuführen, bedarf einer schon abenteuerlich zu nennenden Unverfrorenheit. Was wäre wohl geschehen, wenn sich ein Soldat der Bundeswehr auf das vom damaligen Verteidigungsminister Rudolf Scharping bei diesem Anlaß beschworene Recht auf Widerstand berufen hätte, um gegen die durch die Beteiligung der Bundesrepublik am Jugoslawienkrieg erfolgte Verletzung von Völkerrecht wie Grundgesetz zu protestieren?

Wenn der offensichtlich nicht enden wollende Eklat um das persönliche Bekenntnis Tom Cruises darin mündet, eine Pflicht zum Widerstand gegen eine vielleicht obskure, aber auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhenden Organisation zu postulieren, dann ist das nicht nur ein Affront gegenüber Menschen, die ihr Leben im Kampf gegen eine Diktatur riskiert und verloren haben. Derartige ideologische Kurzschlüsse zeigen vor allem, daß die Propagierung des Widerstands gegen verbrecherische Befehle und menschenfeindliche Praktiken eine wirksame Negation dieser Pflicht darstellen kann. Mit diesem Imperativ kann sich die Regierung eines Staates in einen Zustand moralischer Unangreifbarkeit manövrieren, käme sie doch als allerletztes für einen solchen Akt in Frage, selbst wenn es, wie im Fall des Jugoslawienkriegs, dafür Anlaß gegeben hätte.

Wenn politische oder religiöse Organisationen in der Bundesrepublik mit geheimdienstlichen Mitteln verfolgt werden, dann stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen demokratischen Rechten und exekutiver Ermächtigung. Was immer man Scientology anlastet, die Ergebnisse der über zehn Jahre währenden Observation der Organisation scheinen so mager zu sein, daß es nicht einmal, wie im Falle diverser islamischer Organisationen, für ein Vereinsverbot reicht, geschweige denn den gerichtlichen Nachweis strafrechtlich relevanter Praktiken, die in ihrem Auftrag begangen wurden. Während die gegen Scientology gerichteten Vorwürfe, mit angeblich unlauteren Mitteln Mitglieder zu werben, manipulative esoterische Praktiken zu verwenden, eine protokapitalistische Weltanschauung zu propagieren und dementsprechend geschäftlich aktiv zu sein, weiterhin ihrer Verwandlung in Straftatbestände harren, ist von den Anhängern der US-Kirche nicht bekannt, daß sie rassistische Hetze verbreiten, Menschen verschleppen oder Kriege anzetteln. Scientology mag in vielerlei Hinsicht kritikwürdig sein, doch ihre Überzeugungsarbeit unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der Indoktrinierung, mit der politische Parteien, die Amtskirchen, neoliberale Propagandisten wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft oder mächtige gesellschaftliche Einflußagenturen wie die Bertelsmann Stiftung oder McKinsey ihre Interessen durchsetzen.

Der geradezu phobische Reflex, den Cruise bei einigen Politikern und sogenannten Weltanschauungsbeauftragten der Amtskirchen auszulösen scheint, provoziert zu der Frage, wie heilig ein Schauspieler eigentlich sein muß, um wie Stauffenberg das "heilige Deutschland" beschwören zu können? Man scheint nicht weit davon entfernt zu sein, den am 20. Juli 1944 gestifteten Nationalmythos mit einem ideologischen Reinheitsgebot zu versehen, das an nationalistischer Irrationalität nichts zu wünschen übrig läßt. Kein seriöser Politiker möchte sich in die Nähe von Verschwörungstheorien rücken lassen, und doch wird gerade bei der Dämonisierung Scientologys, die immerhin auf einer regierungsamtlichen Beschlußlage basiert, deutlich, daß man auch in etablierten Parteien Affinität zu hintergründigen Bezichtigungskonstrukten hat. Es wäre nicht schwierig, gegen Scientology gerichteten Behauptungen wie der Unterstellung, die Organisation sei so verschlagen, daß man ihre Untaten nur unter großen Schwierigkeiten nachweisen könnte, ihres angeblichen Versuchs, die deutsche Wirtschaft zu unterwandern, oder ihrer angeblich notorischen Geldgier strukturellen Antisemitismus anzulasten. Zumindest schreckten deutsche Politiker während der Verfilmung von "Operation Walküre" nicht davor zurück, die jüdischen Mitglieder Scientologys mit NS-Vergleichen zu behelligen.

Unter Linken herrscht breiter Konsens darüber, daß Scientology ein übles System der Menschenfängerei und Manipulation ist. Zu einer Verführung gehören immer zwei Seiten. Das Postulat vom willenlosen Opfer, das derartigen Machenschaften nichts entgegenzusetzen hätte, ist allerdings zutiefst reaktionär, negiert es doch jedes emanzipatorische Potential. Zudem scheint kaum jemandem aufzufallen, daß mit Aktionen gegen die Organisation nicht nur die Arbeit des Staatsschutzes verrichtet, sondern auch einer Ablenkungsstrategie gefrönt wird, die darauf basiert, Feindbilder zu produzieren und Nebenkriegschauplätze zu eröffnen, um sich nicht mit den wirklich mächtigen gesellschaftlichen Kräften anlegen zu müssen.

Wenn Menschen im breiten gesellschaftlichen Konsens hartnäckig und dauerhaft von Staat und Medien diffamiert werden, besteht immer Anlaß, über Ziel, Zweck und Nutzen derartiger Kampagnen nachzudenken. Dies sollte man sich schon im eigenen Interesse nicht verbieten lassen. Wenn es wieder einmal so weit ist, daß bestimmte Gruppen der Gesellschaft kollektiv stigmatisiert werden können, ohne daß sich Widerspruch außerhalb ihrer eigenen Reihen regt, dann sind die Tore für altbekannten Verfolgungspraktiken weit geöffnet.

23. Januar 2009