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KULTUR/0784: Murdoch sagt Gratiskultur im Internet den Kampf an (SB)



Nachdem der Gewinn der Zeitungssparte des Medienkonzerns News Corp im Jahresvergleich von 216 Millionen auf 7 Millionen Dollar und der Umsatz um fast 16 Prozent auf knapp 7,4 Milliarden Dollar eingebrochen ist, ruft der Medientycoon Rupert Murdoch das Ende des kostenlosen Nachrichtenkonsums im Internet aus. Noch vor zwei Jahren hatte Murdoch beim Erwerb des Wall Street Journals (WSJ) eine ausschließlich im Internet verfügbare Netzausgabe dieses führenden Blatts für Wirtschaftsinformationen angekündigt, die allein über Werbeeinnahmen finanziert werden sollte. Von diesem Plan rückte er bald wieder ab, ist das WSJ doch eine der wenigen konventionellen Pressepublikationen, die aufgrund des speziellen Charakters der dort erhältlichen Nachrichten auch als Onlineausgabe Gewinn abwerfen.

Die nicht nur die Zeitungen dieses neokonservativen Pressemagnaten arg beutelnde Wirtschaftskrise hat in den USA zu erheblichen Gewinneinbrüchen der Verlagskonzerne geführt. Die Werbeeinnahmen der Zeitungen sind drastisch zurückgegangen, und zwar weit mehr als in der Bundesrepublik, wo der Verlust innerhalb eines Jahres 17 Prozent betrug, bei Spitzentiteln wie Spiegel, Zeit und Stern allerdings zwischen 28 und 32 Prozent lag. In den USA haben vier Verlage, die 33 Zeitungen besitzen, in den vergangenen drei Monaten Insolvenz angemeldet, und in anderen traditionellen Medienbereichen sieht es kaum besser aus.

Das von Murdoch prognostizierte Ende kostenloser Nachrichtenmedien im Internet dürfte dennoch auf sich warten lassen. Zum einen handelt es sich beim Zeitungssterben in den USA um eine Folge der Wirtschaftskrise, die unvermindert auf den Mediensektor durchgeschlagen ist, da die Menschen bei Ausgaben für Bildung und Unterhaltung häufig zuerst den Rotstift ansetzen. Zum andern sorgt die vielfältige Verfügbarkeit medialer Inhalte nicht nur im Internet, sondern auch im werbefinanzierten Privatfernsehen dafür, daß Zeitungen verzichtbar geworden sind. Dies gilt insbesondere für die junge, besonders internetaffine Generation, wird diese doch eigens auf die mikroelektronische Produktionsweise als zentrales Mittel der Arbeits- und Konsumgesellschaft konditioniert.

Dieser Paradigmenwechsel ist ein Grund dafür, daß die Übertragung des konventionellen Akkumulationsmodells auf elektronischen Content kaum vollständig gelingen wird. Die via Datennetz vermittelten Inhalte klassischer Medien sind viel zu bedeutsam für die Regulation gesellschaftlicher Widersprüche, als daß eine ökonomisch determinierte Logik Produktion und Verbreitung von Inhalten allein bestimmen könnte. Auch in den USA, wo der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf einige wenige, mit staatlichen Mitteln lediglich teilfinanzierte Nischenangebote reduziert ist, wird man nicht dazu übergehen, den über Informations- und Unterhaltungsangebote erreichten Stand der Sozialkontrolle ersatzlos zu streichen.

Selbst Murdoch hat die Bezahlkultur bei seinem US-Flaggschiff WSJ niemals vollständig umgesetzt, und er käme wohl kaum darauf, seinen immensen politischen Einfluß, den er über Fox TV in den USA besitzt, dadurch einzubüßen, daß er einen Pay TV-Kanal aus dem neokonservativen Sender machte. Die Beschwerde über das seiner Ansicht nach überkommene Geschäftsmodell werbefinanzierter Gratisangebote großer Zeitungen im Internet ist so konjunkturabhängig wie das Lamentieren über das Wetter, das niemals genau so ist, wie man es gerne hätte. Murdochs Plan, das Geschäftsmodell der kommerziell erfolgreichen Onlineausgabe des WSJ auf andere Blätter übertragen zu wollen, ignoriert die Austauschbarkeit der meisten massenmedialen Inhalte, die im Falle von Wirtschaftszeitungen nicht im gleichen Maße gegeben ist wie etwa in der Boulevardpresse.

Der verengte Blickwinkel auf die ökonomische Seite des Publizierens hängt denn auch direkt mit dem schwindenden Interesse, das viele großen Zeitungen in den USA wie hierzulande erleiden, zusammen. Verlagskonzerne bieten keinen neutralen Content an, sondern sind als Akteure kapitalistischer Gesellschaften mit ihren Produkten auf denkbar direkte Weise in die Sicherung ihrer Interessen involviert. Deren Konsolidierung nimmt unmittelbaren Einfluß auf die angebotenen Inhalte, die in ihrem beschwichtigenden und konformistischen Charakter desto unglaubwürdiger wirken, als die gesellschaftlichen Widersprüche eine ganz andere Sprache sprechen als diejenige der Journalisten, die ihre unabhängige Kritikfähigkeit gegen ihren Gehaltsscheck eintauschen.

Die Sicherung verlegerischer Kapitalmacht steht in einem antagonistischen Verhältnis zur gesellschaftlichen Relevanz publizistischer Produktion, so daß die schlichte Rechnung, man könne das Publikum in einen Verwertungsmechanismus einbinden, der seinen materiellen Interessen zuwiderläuft, indem man behauptet, es verhalte sich nicht so, bei anwachsender sozialer Unruhe immer weniger aufgehen dürfte. Indem Murdoch und Konsorten unter allen Umständen vermeiden, Rechenschaft über ihre Kumpanei mit dem hegemonialen Block aus Staat und Kapital abzulegen, tragen sie immens zum Wachstum einer unabhängigen publizistischen Szene im Internet bei. Deren Vertreter können gerade deshalb Kritik an den herrschenden Verhältnissen artikulieren, weil sie keine massive Kapitalmacht im Rücken und damit entsprechende Verpflichtungen zur Systemintegrität auf den Schultern lasten haben. Diese Stimmen zum Schweigen zu bringen ist ein wesentlicher Grund für das Lamento über die Gratiskultur des Internets.

Deren Beendigung wäre mit ordnungspolitischen Maßnahmen und strafrechtlichen Sanktionen verbunden, die die publizistischen Möglichkeiten unabhängiger Organe des demokratischen Diskurses stark einschränkte. Schon die presserechtliche Bedingung, für den Erhalt eines Presseausweises den Nachweis erbringen zu müssen, daß die journalistische Tätigkeit als Erwerbsarbeit ausgeübt wird, dokumentiert die zwanghafte Ökonomisierung einer im Grundsatz vitalen demokratischen Arbeit. Während unter dem Vorzeichen der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung Vorbereitungen zur umfassenden Zensur des Internets getroffen werden, wird mit dem Ruf nach der weiteren Kommodifizierung elektronischer Inhalte ein vermeintlicher Sachzwang aufgebaut, dessen Zielsetzungen sich im Endeffekt nur mit staatlicher Hilfe durchsetzen lassen. Die Bezichtigung, die Nutzer von kostenlosen Onlineangeboten wollten ausschließlich abgreifen, jedoch nichts beitragen, erfüllt in diesem Rahmen den Zweck einer bloßen Diffamierung, mit der jeder basisdemokratische Aufbruch zu neuen Ufern gesellschaftlicher Organisation unterbunden werden soll.

Aus dem Widerspruch zwischen der Unverzichtbarkeit medialer Befriedung - Stichwort "Unterschichtenfernsehen" - und mehrwertabschöpfender Verwertung im Verlagsbereich dürfte sich am ehesten ein Regulationskonzept entwickeln, das mit einer Aufwertung staatlich kontrollierter Medien, mit starken Eingriffen in den inhaltlichen Charakter freier Publikationen unter dem Vorwand der Gefahrenabwehr sowie einer strikteren Reglementierung des Zugangs zu sogenannten Wissens nach Maßgabe seiner Herrschaftsrelevanz einhergeht. Die Indoktrination der Bevölkerung ist zu wichtig, als daß man sie ausschließlich marktfundamentalistischen Kräften überlassen könnte, und sie ist zu gefährdet, als daß ihre Widerlegung über einen eng umgrenzten Kreis ohnehin ausgegrenzter Menschen Wirkung zeigen darf.

13. Mai 2009