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KULTUR/0793: "Twitter-Revolution" ... PR-Fassade der Info-Elite (SB)



Wer nicht twittert, kommt im Medienbetrieb auf keinen grünen Zweig mehr. Das scheint zumindest für denjenigen Bereich der Presse zu gelten, der ganz und gar auf Aktualität abonniert ist, weil er nichts anzubieten hat außer Reflexionen über den Stand der Dinge, die auf absehbare Weise die Maßgaben herrschender Interessen erfüllen. Mit der iranischen Oppositionsbewegung hat sich der Kurznachrichtendienst Twitter als Synonym für eine demokratische Öffentlichkeit im Internet etabliert, die praktisch allein durch die Masse der freigesetzten Informationen in der Lage wäre, despotische Regierungen zu stürzen. Dabei spielten nicht nur die über diesen Dienst verbreiteten Nachrichten eine wichtige Rolle, sondern auch die mittels Twitter verbreiteten Links zu Videodokumenten, die die Brutalität des iranischen Repressionsapparats dokumentieren sollten.

Wie sehr dabei auf die Macht der Bilder gesetzt wird, zeigt die zentrale Bedeutung, die das Video über das Sterben Neda Soltanis erlangt hat. Es spielt keine Rolle, daß die Umstände ihres Todes nicht wirklich aufgeklärt sind. Sie habe der Revolte ein Gesicht gegeben, sei zur Ikone des Protests und zur Jeanne d'Arc der iranischen Jugend geworden, so einige der Euphemismen, mit denen die deutsche Presse die iranische Oppositionsbewegung unterstützt. Der historische Stellenwert, der ihrem Bild bereits zugewiesen wird, sagt jedoch nichts darüber aus, ob das damit angeprangerte Gewaltverhältnis angemessen wiedergegeben ist. Es teilt allerdings sehr viel darüber mit, wie die Neigungen und Interessen der Medienschaffenden gelagert sind, ohne die die Twitter-Revolte wirkungslos verebbt wäre.

Allein die umfassende Resonanz, mit der große Zeitungen und Sender das Thema aufgriffen, gaben den Produzenten der Twitter-Nachrichten die Breitenwirkung, die ihrem Medium per se zugeschrieben wird. Die große Wirkung, die die mit Notebook, Mobiltelefon und Handycam ausgestattete iranische Jugend im westlichen Ausland erzielte, war das Ergebnis einer Interessenkorrespondenz, die in anderen Fällen, wo sie nicht bestand, das Gegenteil einer angemessenen Berichterstattung bewirkte. So wurden die israelischen Bombenangriffe auf den Libanon nicht zuletzt von Mitgliedern der medienkompetenten Hisbollah umfassend in Wort und Bild dokumentiert, allein das Interesse westlicher Nachrichtenagenturen, dieses Material zu reproduzieren, war gering. Das gleiche gilt für den Überfall der israelischen Streitkräfte auf den Gazastreifen, über den es reichhaltiges Bildmaterial gab, der in hiesigen Zeitungen und Sendern nur dünnen Niederschlag fand.

Ganz offensichtlich hat man bei der in der Bundesrepublik politisch prekären Besatzungspolitik des Staates Israel mit einem ähnlichen Mißverhältnis zwischen faktischer Gewaltanwendung und medialer Repräsentanz wie bei dem Mord an Marwa El Sherbini am 1. Juli in Dresden zu tun. Über diesen wurde zwar berichtet, der Aufschrei der Empörung über den rassistischen Charakter der Tat unterblieb jedoch weitgehend, weil der Sachverhalt häufig verkürzt dargestellt wurde und das Eintreten für Muslime mit dem gegen sie gerichteten Terrorismusstigma kollidiert. Erst eine Woche später konnten sich einige Politiker zu entsprechenden Stellungnahmen aufraffen, und das auch nur, weil in der arabischen Welt Zehntausende gegen den antislamischen Rassismus in Deutschland auf die Straße gingen, was dem deutschen Publikum nur auf sparsamste Weise mitgeteilt wurde. Zu einer Ikone des demokratischen Widerstands gegen islamophobe Haßprediger wurde Sherbini nicht, obwohl es, wenn man sich nur die zahlreichen diesem Thema gewidmeten Webseiten anschaut, dazu mehr als genug Anlaß gäbe.

Die Dominanz und Prominenz bestimmter Bilder geht mithin zu Lasten der Schicksale vieler anderer Menschen, denen niemand eine Träne nachweint, weil er sie nicht kennt. Das Leid der NATO-Opfer in Afghanistan bleibt weitgehend ausgeblendet, da es nicht in das propagierte Bild einer angeblich dem Wohl der Afghanen verpflichteten Kriegführung paßt. Die bettelarme und hungernde Landbevölkerung Afrikas könnte täglich noch so viele Twitter-Meldungen über ihre lebensbedrohliche Lage in die Welt senden, ohne auch nur annähernd so viel Aufmerksamkeit zu erzeugen wie die iranische Oppositionsbewegung. Daß viele Produzenten der Twitter-Meldungen aus der exiliranischen Gemeinde stammen, bleibt bei der Bewertung der virtuellen Revolte ebenso unberücksichtigt wie die Manipulationsmöglichkeiten, die sich aus dem anonymen und informellen Charakter des Twitter-Dienstes ergeben.

Schließlich steht zu befürchten, daß auf das Format von Kurzmitteilungen heruntergebrochene PR-Kampagnen zu Lasten einer Analyse der Situation gehen, zu der viele Faktoren beitragen, die sich nicht auf dramatische Weise als gerade eben eingetroffene Neuigkeit annoncieren lassen. Schon die Länge um die umfassende Beurteilung der Lage im Iran bemühter Analysen verträgt sich nicht mit dem Feuerwerk aus Zehntausenden Kurzmitteilungen, die hinter dem Horizont der Echtzeit so schnell verglühen, wie sie eingetippt werden. Was als Massenphänomen der Aktualität inszeniert wird, beschleunigt den Verbrauch eines Interesses, das immer sensationellerer Stimuli bedarf, um die durch die Vielfalt des Angebots angehobene Reizschwelle des News-Junkies zu überwinden und über seine dementsprechend reduzierte Aufmerksamkeitsspanne hinaus aufrechterhalten zu bleiben. Die ohnehin gegebene Tendenz, die politischen Interessen der Menschen mit griffigen Phrasen und schicken Slogans auf selbstevidente Formeln zu verkürzen, verträgt sich mit dem Anspruch auf demokratische Aufklärung schon deshalb nicht, weil dieses Feld bereits von den Agenturen lobbyistischer und kommerzieller PR beherrscht wird.

Nichts gegen einen Informationsdienst, der die schnelle Mobilisierung gegen staatliche Gewalt antretender Demonstranten ermöglicht, um zumindest eine gewisse Waffengleichheit zu erreichen. Die Verklärung dieses Kommunikationsmittels zum Hebel demokratischer Umwälzung ist jedoch so irreführend, wie es die Annahme ist, daß diese Möglichkeit des demokratischen Widerstands hierzulande unangetastet bliebe, wenn es im Rahmen der Weltwirtschaftskrise zu sozialen Kämpfen käme, mit denen sich wirklich etwas verändern ließe. Nicht umsonst verzichtet die Info-Elite auf jeglichen Versuch, die Auseinandersetzung im Iran auch unter klassenspezifischen Gesichtspunkten zu bewerten.

So haben iranische Aktivisten verstärkt zum Anonymisierungsdienst Tor gegriffen, um ihre Nachrichten gegen Zensurmaßnahmen immun zu machen. Mit diesem Dienst läßt sich allerdings auch die in der EU eingeführte Vorratsdatenspeicherung neutralisieren, zudem könnte er dafür eingesetzt werden, beim Kontakt mit Internetsperren unerkannt zu bleiben. Schon 2006 hat die Polizei im Rahmen einer Aktion gegen Webforen, in denen kinderpornografisches Material verbreitet worden sein soll, diverse Server beschlagnahmt, auf denen lediglich der Anonymisierungsdienst Tor lief. Diesem Zugriff entsprechen Forderungen von Politikern, die die Anonymität im Netz generell unterbinden wollen, was sich natürlich auch auf Aktivisten in diktatorisch regierten Staaten negativ auswirkte. Wer die Flut neuer Sicherheitgesetze, die insbesondere auf Kontrolle und Zensur des Internets abzielen, in der EU kennt, dem kann die Euphorie über die angebliche Freiheit der Twitter-Revolte nur Beleg dafür sein, daß die Medien, die sich am Beispiel des Iran basisdemokratisch gerieren, im gleichen Atemzug ihre herrschaftsichernde Funktion unterschlagen.

Ohnehin erzeugen virtuelle Revolten nur Wirkung, wenn sie mit Aktionen auf der Straße verbunden sind, die dem jeweiligen Regime wehtun. Ansonsten bleibt der Info-Widerstand seinem Signalcharakter gemäß ein bloßes Ventil zur Kanalisierung jener streitbaren Energie, die niemals ohne geschicktes Co-Management herrschender Kräfte massenwirksam werden darf. So, wie dieses Jahr die sogenannte friedliche Revolution in der DDR vor 20 Jahren als Ausbund demokratischer Emanzipation gefeiert wird, so wird der heutige Ruf nach Generalstreik und wirksamen Widerstand gegen die Herrschaft des Kapitals kriminalisiert. Nicht die Techniken und Kanäle der Nachrichtenübermittlung sind Medien des gesellschaftlichen Fortschritts, sondern Menschen, die die Transformation furchtlos vorantreiben, indem sie sich in Gefahr bringen, kriminalisiert und bekämpft zu werden. Das gilt nicht nur für die DDR und den Iran, sondern auch für die Bundesrepublik.

14. Juli 2009