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KULTUR/0827: Olympische Schattenseiten ... sozialer Protest in Vancouver (SB)



Bei den Olympischen Spielen in Peking war Meinungsfreiheit ein großes Thema. Der satzungsmäßig apolitische Charakter des größten gesellschaftlichen Spektakels der Welt wurde ganz offiziell von westlichen Politikern und Funktionären in Frage gestellt, indem sie die Sportler dazu aufforderten, öffentlich Stellung zur Tibetfrage oder zur Menschenrechtslage in China zu beziehen. Im kanadischen Vancouver hingegen ist von Meinungsfreiheit nicht die Rede, sie wird viel mehr nach Kräften unterdrückt. So stellte die Stadtverwaltung das Zeigen von Plakaten, die nicht dem Abfeiern des Ereignisses dienten, selbst auf Privatgelände unter Strafe. Die Aktivisten des Olympic Resistance Network mußten ihr Recht, gegen den kommerziellen, umwelt- und sozialfeindlichen wie die Ansprüche der indigenen Bevölkerung mißachtenden Charakter der Spiele zu protestieren, erst vor Gericht durchsetzen. Dennoch verhallt ihre Stimme, da sie sich nicht gegen ein kommunistisches, sondern kapitalistisches System richtet, weitgehend ungehört.

So stehen auch diese Olympischen Spiele ganz im Zeichen der Logos internationaler Konzerne, die die Gelegenheit nutzen, sich als Sachwalter für die schönsten Dinge des Lebens zu feiern, während in Kanada immer mehr Menschen nicht wissen, wie sie satt werden sollen. Acht Prozent der Bevölkerung leiden unter Nahrungsmittelunsicherheit, während die hundert höchstbezahlten Vorstandsvorsitzenden des Landes schon vor zwei Jahren das 173fache Durchschnittseinkommen verdienten. Ein, wenn man vom Verfassungsstatus der parlamentarischen Monarchie absieht, ganz normaler Staat des kapitalistischen Weltsystems eben, dessen neoliberale Politik die soziale Spaltung fortwährend vertieft und dessen Soldaten mit afghanischen Folterern kollaborieren. Unter anderem aus diesem Grund hat Premierminister Stephen Harper das Parlament in eine verlängerte, bis zum 3. März ausgedehnte Weihnachtspause geschickt. Die gerne als Schaufenster der freien Welt gefeierten Olympischen Spiele finden in einem Land statt, dessen Volksvertretung vom eigenen Regierungschef ausgesperrt wurde, auf daß sich die Abgeordneten ganz den unterhaltsamen Seiten des Lebens widmen können.

Zu diesen gehört das sicherheitsstaatliche Rahmenprogramm eher nicht, wartet es doch, als wäre Vancouver von den Taliban belagert, mit einem furchteinflößenden Repressionsarsenal auf. Die Sonderverordnung, die es den Sicherheitsbehörden ermöglicht, die zahlreichen Obdachlosen der Stadt auf unbürokratische Weise zusammenzutreiben und in staatliche Unterkünfte einzuweisen, wurde zwar freundlicherweise "Gesetz zur Unterbringungshilfe" getauft, basiert aber auf Zwang und Gewalt. Die Aufrüstung der Polizeikräfte etwa mit modernen Schallwaffen, die schon im Irakkrieg erprobt wurden, die flächendeckende Kameraüberwachung des öffentlichen Raums und sonstige Sicherheitsmaßnahmen sind nicht billig, wie die Aufblähung des dafür vorgesehenen Etats von 175 Millionen, von denen die Ausrichter der Spiele 2003 sprachen, auf eine Milliarde Kanadischer Dollar belegt. Sportliche Großereignisse werden routinemäßig zur Erprobung neuer Überwachsungstechnik und Entwicklung innovativer Sicherheitsstrategien genutzt, so auch in Kanada. Das romantische Bild vom berittenen Mountie, der die schneebedeckten Berge dieses schönen Landes durchstreift, um verlorengegangene Touristen zu finden oder Wilderer zu stellen, wurde durch die ganz normale Geheimdienstarbeit des Canadian Security Intelligence Service (CSIS) abgelöst.

Da die Olympiakritiker befürchteten, von verdeckten Ermittlern unterwandert und durch gezielte Provokationsakte kriminalisiert zu werden, wandte sich der Chef der Menschenrechtsorganisation Civil Liberties Association, Rob Holmes, 2009 mit der Bitte an die Behörden, ihm zuzusichern, daß keine Versuche unternommen werden, "die politische Richtung, die politischen Positionen oder internen Diskussionen welcher Organisation auch immer durch die Sicherheitskräfte, die sie infiltriert haben, zu manipulieren" (Counterpunch, 10.02.2010). Darauf wollten sich der kanadische Geheimdienst und die eigens für die Spiele geschaffene Sicherheitsadministration Integrated Security Unit (ISU) nicht einlassen.

Aktivisten, die öffentlich gegen die Austragung der Spiele Stellung bezogen, erhielten Besuch von Sicherheitskräften oder wurden an der Landesgrenze aufgehalten. Wo die massive Polizeipräsenz dennoch Protest erlaubt, wird jeder denkbare Vorwand zu seiner Unterbindung genutzt. Da die in Vancouver allgegenwärtige Parole "No Olympics on Stolen Native Land'' in direktem Widerspruch zur offiziellen Darstellung der kanadischen Regierung steht, laut der sich die First Nations nichts mehr wünschten, als gute Gastgeber zu sein, werden indigene Aktivisten besonders häufig zum Ziel repressiver Maßnahmen. Dank des umfassenden PR-Managements, mit dem der multiethnische Charakter Kanadas und die großzügige Förderung, die die indigene Bevölkerung angeblich genießt, hervorgehoben wird, hat sich in der internationalen Berichterstattung weitgehend die Sprachregelung durchgesetzt, daß deren Rechte in Kanada auf vorbildliche Weise geschützt werden.

In der Provinz British Columbia befindet sich der größte Teil des Landes im Eigentum der auf ihm lebenden Stämme. Die meisten ihrer Mitglieder sind der Ansicht, daß ihr Anspruch auf dieses Land durch die baulichen und infrastrukturellen Maßnahmen, die für die Austragung der Olympischen Spiele erforderlich waren, rechtswidrig übergangen wurde. Nur indem sich die Regierung mit Hilfe besonderer Vergünstigungen die Zustimmung einiger lokaler Honoratioren erkauft hat, konnte der Eindruck erweckt werden, die Spiele würden in Übereinstimmung mit den Interessen der indigenen Bevölkerung ausgetragen. Dem wirken die Aktivisten der antiolympischen Bewegung entgegen. Sie finden in Anbetracht des kommerziellen Charakters der Spiele, durch den die internationalen Medien ganz auf die unterhaltsamen Aspekte des Spektakels abonniert sind, jedoch kaum Gehör mit ihrer Sicht der Dinge.

Vier Prozent der Kanadier sind indigener Herkunft, dennoch stellt diese Gruppe 20 Prozent der Strafgefangenen. Einige von ihnen sind Stammesführer, die sich gegen die Ausbeutung ihrer Territorien durch Minenkonzerne oder Holzfällerfirmen gewehrt haben. Ähnlich wie bei den Ureinwohnern der USA herrschen in den Reservaten der First Nations soziale Bedingungen, wie man sie normalerweise nur in den ärmsten Ländern der Welt findet. "Kanada hält uns in Armut, um den Raub unseres Landes zu rechtfertigen. Die Regierung versucht den Eindruck zu erwecken, daß eine indigene Bevölkerung, die so schlecht ausgebildet und so arm ist, auch nicht in der Lage ist, über ihre Gebiete zu verfügen", erklärt der indigene Aktivist Arthur Manuel (Counterpunch, 17.02.2010).

In einer stark polarisierten Gesellschaft wie der Kanadas, deren soziale Widersprüche kaum weniger explosiv sind als in den USA, gibt es stets gute Gründe, Widerstand zu leisten. Die besondere Benachteiligung der indigenen Bevölkerung verleiht dem demokratischen Ansinnen, ein internationales Großereignis wie die Olympischen Spiele zu diesem Zweck zu nutzen, besondere Legitimität. Aufgefangen wurde diese Herausforderung nicht nur durch das perfekte PR-Management, das man als Markenzeichen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) bezeichnen könnte, sondern auch durch die Rekrutierung eines Großteils der politisch aktiven Bevölkerung für die Austragung der Spiele.

So wurde die große Künstlerszene der Stadt Vancouver in das aufwendige Kulturprogramm, das die Spiele begleitet, derart eingebunden, daß sie für Protestaktionen weitgehend ausfällt. Dabei hat sie sich, wie Nicolaus Schafhausen in der Süddeutschen Zeitung (23.02.2010) berichtet, einem regelrechten Maulkorberlaß unterworfen. Eine Klausel des vom Vancouver Olympic Committee (Vanoc) aufgesetzten Vertrags, der den kulturellen Aktivitäten des Rahmenprogramms zugrundliegt, besagt: "Der Künstler soll zu jeder Zeit davon Abstand nehmen, irgendwelche negativen oder abschätzigen Bemerkungen zu machen, über Vanoc, die Olympischen und Paralympischen Spiele, die Olympische Bewegung im Allgemeinen, und/oder andere mit Vanoc in Verbindung stehenden private und andere Förderer."

Nun soll das etwa eine Milliarde Kanadische Dollar umfassende Defizit, das der Stadt als Vermächtnis dieses Megaevents bleibt, unter anderem durch die Streichung von bis zu 90 Prozent der Kulturförderung refinanziert werden. Die Aktivisten der antiolympischen Bewegung hatten unter Verweis auf das Schicksal anderer Städte, in denen Olympische Spiele ausgetragen wurden, von vornherein davor gewarnt, daß dieses Ereignis insbesondere zu Lasten mittelloser Bürger gehen wird. Wenn die olympische Karawane nach London weitergezogen ist, werden die Schulden der Stadt Vancouver noch lange nicht abbezahlt worden sein. Für diese dunkle Seite des Spektakels interessiert sich auch deshalb kaum jemand, weil es der angeblich unpolitische Charakter der Spiele verbietet. Um so mehr ist es an der Zeit, dieses Schaufenster des globalen Kapitalismus in ein Forum für die Anliegen der davon betroffenen Menschen zu verwandeln.

24. Februar 2010