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KULTUR/0850: Duisburger Nekrologe ... "Lebensfreude" zum Abgewöhnen (SB)



Morbider geht's nimmer. "Die Loveparade wurde zum Totentanz. Mitten hinein in ein Fest überbordender Lebensfreude hat der Tod uns allen sein schreckliches Gesicht gezeigt". Was der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Nikolaus Schneider, bei der Trauerfeier zu den 21 Todesopfern der Duisburger Love Parade an nekrophiler Dramatik inszenierte, setzt der Betroffenheitskultur, die um das Ereignis entfaltet wurde, die Krone symbolpolitischer Ablenkung auf. Als wollte man noch den letzten Tropfen grusligen Entsetzens aus einem Publikum herauskitzeln, das ein solches verbleiben soll, um seine Geschicke nicht in die eigene Hand zu bekommen, wurde die Katastrophe mit drastischen Bildern und erschütternden Berichten eine Woche lang auf eine Weise illuminiert, die dem Erlebnischarakter des Events allemal gerecht wurde. Die vielen Beschwerden, die beim Presserat über die sensationsheischende Berichterstattung eingingen, dokumentieren einen wachsenden Widerwillen gegen die kommerzielle Ausbeutung menschlicher Tragödien, die nichts anderes bedienen als den voyeuristischen Reflex, das Leid der anderen zur Bestätigung der eigenen Überlebensratio zu nutzen.

Wenn die Kleriker ihrer Zuständigkeit für die höheren Werte gemäß versuchen, die Trauernden mit der Botschaft göttlicher Liebe zu beschwichtigen, so können sie über den allgemeinen Mangel an praktischer Menschenliebe kaum hinwegtäuschen. So nahm der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck direkten Bezug auf die Veranstaltung, indem er behauptete: "Und doch bleibt etwas und geht weiter, was auch der Name der 'Loveparade' zum Ausdruck bringt: die Liebe". Wirksamer als durch den notorischen Egoismus des Gefühlskonsums könnte man diesen hehren Anspruch kaum dementieren. Nichts anderes demonstrierten die Kommentare einiger Partybesucher, die den Tod anderer Raver vor allem als mißliebige Störung des erwarteten Spaßbades verbuchten. Was mit dem Titel "The Art of Love" grausam konterkariert wurde, wird als profane Realität des alltäglichen Sozialdarwinismus zum Organisationsprinzip der Konkurrenzgesellschaft erhoben. Die ernsthafte Auseinandersetzung mit dieser menschenfeindlichen Form der Vergesellschaftung wurde von den Ravern ebensowenig geleistet wie von den Trauerrednern.

Kein Wunder also, daß die Teilnahme bei der öffentlichen Trauerfeier im Fußballstadion des MSV Duisburg mit 1500 Personen weit hinter den zuvor prognostizierten Besucherzahlen von mehreren Zehntausend zurückblieb. Die eine Woche zuvor zu Hunderttausenden angereisten Raver haben längst etwas besseres zu tun, als sich einer Betroffenheitskultur zu ergeben, die sich auf den von ihnen favorisierten Konsumismus nur als Spaßbremse auswirken kann. Als amorphe und konforme Masse fehlt ihnen jeder Elan, der offiziellen verordneten Trauer eigenständige Formen der Bewältigung entgegenzusetzen.

Wäre es bei der Duisburger Love Parade tatsächlich um ein "Fest überbordender Lebensfreude" gegangen, dann hätten die Raver ihren verstorbenen Freunden nicht mit Nekrologen, sondern einer gemeinsamen Feier eigener Art ein würdiges letztes Geleit gegeben. Offensichtlich jedoch geht dieser Partykultur jeder subversive Gedanke ab. Von "Friede, Freude, Eierkuchen", so das Motto der ersten Love Parade 1989, ist nicht einmal die ironische Konnotation geblieben. Eine Jugendkultur, die sich der Vereinnahmung der Unterhaltungsindustrie auf breiter Front durch den Bruch mit dem warenförmigen Charakter ihrer Einheitsemphase widersetzt, ist seit langem überfällig.

2. August 2010