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KULTUR/0909: Kulturrassistische Offensive - Anders Behring Breivik und die Zwickauer Zelle (SB)



Weniger als vier Monate liegen zwischen dem Massaker in Norwegen, bei dem Anders Behring Breivik am 22. Juli 2011 aus politischen Gründen 77 Menschen ermordete, und dem Bekanntwerden der blutigen Spur, die die aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bestehende Zwickauer Zelle nach bisherigen Erkenntnissen zwischen 2000 und 2007 durch die Bundesrepublik gezogen hat. In Anbetracht der ausführlichen Berichterstattung über das bislang angeblich unbekannte Gewaltpotential des Rechtsterrorismus erstaunt das geringe Interesse, beide Ereignisse miteinander zu verknüpfen. Schließlich handelt es sich in beiden Fällen um massive, im Selbstverständnis der Täter offensichtlich als eine Form der Kriegführung verstandene Gewaltanwendung, die auf einem zumindest verwandten ideologischen Nährboden herangereift ist.

Auffällig ist des weiteren, daß Breivik trotz der umfassenden Begründung seiner Tat in den Medien bis heute fast ausnahmslos als "Attentäter" und "Massenmörder", nicht jedoch als "Terrorist" bezeichnet wird. Dabei erfüllt er das Kriterium des Rechtsterrorismus weit mehr als die bislang identifizierten Angehörigen der Zwickauer Zelle. Während diese sich lediglich im Nachhinein zum rassistischen Motiv ihrer Morde bekannten, wobei ungeklärt ist, inwiefern sie tatsächlich vorhatten, sich mit dem aufgefundenen Bekennervideo an die Öffentlichkeit zu wenden, hat Breivik schon vor seiner monströsen Tat dafür Sorge getragen, daß die Definitionshoheit über ihren ideologischen Hintergrund in seinen Händen verbleibt. Die Versendung seines Manifests "2083 - A European Declaration of Independence" und eines Videos, in dem er sich mit einigen Kernaussagen aus diesem Pamphlet und Bildern in voller Kampfmontur als Krieger für eine eurozentrischen Kultursuprematie stilisiert, noch vor dem seiner Aussage nach neun Jahre lang geplanten Blutbad lassen auf eine wohldurchdachte strategische Planung schließen.

Wie in seiner Schrift angekündigt ging es ihm um die maximale Verbreitung ihres Inhalts. Die Instrumentalisierung des von ihm begangenen Massenmords für propagandistische Zwecke scheint insofern gelungen zu sein, als daß sein Manifest die Adressaten, die es interessieren könnte, allemal erreicht hat. In der Bundesregierung schnell laut werdende Stimmen, die Freiheit des Internets einzuschränken, um die rechtsextremistische Indoktrination und Organisation zu unterbinden, ließen über den notorischen Versuch, den freien demokratischen Austausch zu zensieren, hinaus entsprechende staatliche Gegenstrategien erkennen. Dennoch scheint die von Breivik beabsichtigte Breitenwirkung allein am aufwendigen Textkorpus seiner 1500seitigen Schrift zu scheitern. Umfang wie Diktion grenzen ihre Lektüre auf diejenigen Kräfte ein, denen die betont islamfeindliche, antikommunistische und kulturchauvinistische Botschaft Breiviks bereits in Fleisch und Blut übergegangen ist.

Um so fahrlässiger erscheint die bis heute in den etablierten Medien aufrechterhaltene Sprachregelung, bei Breiviks Gedankengut handle es sich um die Ausgeburt eines Wahnsinnigen, um wirres Zeug oder bloßes Geschwafel. Die mangelnde Bereitschaft, sich angesichts des nach einem Jahrzehnt, in dem die Abwehr des sogenannten islamistischen Terrorismus ganz oben auf der Agenda der Sicherheitsbehörden stand, nicht mehr zu leugnenden Aufkommens einer mörderischen Bedrohung aus der entgegengesetzten Ecke des Haßspektrums mit deren ideologischen Grundlagen auseinanderzusetzen, wirkt desto weniger als bloße Nachlässigkeit, als die Ansichten eines Breivik auf ihre Anschlußfähigkeit für die arrivierte gutbürgerliche Rechte hin untersucht wird. Ein Blick auf die ersten Seiten des Pamphlets "2083" reicht aus, um zu erkennen, daß Breivik im Trüben eines rechten Mainstreams fischte, dessen Bekenntnisse und Feindbilder unverändert jene Blogs und Webseiten bevölkern, deren islamfeindliche Klientel ihrem Selbstverständnis als identitäre Eigner der herrschenden Kultur gemäß des Terrorismus nicht unverdächtiger sein könnte.

Bezeichnenderweise besteht Breiviks Einstieg in die Begründung der von ihm ausgerufenen, bis zum Jahr 2083 abzuschließenden "konservativen Revolution" in einer umfassenden Auseinandersetzung mit dem Topos der "political correctness". Dabei handelt es sich um ein von konservativen Kreisen unterstelltes Sprach- und Gesinnungsdiktat linker Genese, dessen sozialistische, egalitäre und multikulturelle Ideale in unversöhnlichem Gegensatz zu den christlich-europäischen Werten nicht nur des Kreuzzüglers Breivik stehen. "Political correctness" und "cultural Marxism" sind diesem eins, und so nehmen Analyse und Überwindung linker Gesinnung fast 50 Seiten seines Manifests ein. Erst nachdem der "cultural Marxism", mit dem Breivik insbesondere die Kritische Theorie der Frankfurter Schule meint, ausführlich mit Hilfe ideologiekritischer, historischer und biographischer Exkurse als Triebkraft des multikulturellen Niedergangs Europas dargestellt wurde, geht er dazu über, die angebliche islamische Bedrohung auf allerdings noch breitere Füße geschichtspolitischer und kulturrassistischer Betrachtungen zu stellen. Die kausale Herleitung der von ihm ausgemachten Bedrohung belegt nicht nur, daß der Feind im eigenen Land und Kulturkreis links steht, sondern daß er die eigentliche Ursache der angeblich drohenden Eroberung und Zerstörung des christlichen Europas durch die islamische Kultur sei.

Fernab vom wirren Schwadronieren eines debilen Eiferers bedient sich Breivik des Jargons und der Ideologeme eines neokonservativen Kulturrassismus, der bereits in einigen europäischen Parlamenten Fuß gefaßt hat. Mit der Legitimationsfigur des "Krieges der Kulturen" wie dessen imperialistischer Durchführung ist diese Freund-Feind-Dichotomie im neurechten Diskurs längst hegemonial geworden. Breivik verschärft die virulente Feindseligkeit gegenüber nichtweißen Bevölkerungen durch die Negation humanistischer Werte und propagiert die faschistische Ideologie der heroischen Tat, für die er mit seinem Massaker Modell steht. Was in der sogenannten Sarrazin-Debatte mit der sich das Opferschicksal einer unterdrückten Minderheit anheischig machenden Redensart "Man wird ja wohl noch sagen dürfen" als liberales Aufbegehren gegen angeblich linke "political correctness" maskiert wurde, tritt bei dem selbsternannten Retter Europas ganz offen als Rezeptur für den totalen Kulturkrieg hervor.

Die Verharmlosung Breiviks als angeblich wahnsinniger Einzeltäter korrespondiert denn auch aufs Engste mit dem nach der Aufdeckung der rechtsradikalen Mordserie in Deutschland von rechtskonservativen Regierungspolitikern unternommenen Versuch, nazistische Gewalt unter Verweis auf die angeblich schlimmere Bedrohung eines Linksterrorismus zu relativieren. Daß für dessen angebliche Existenz in jüngster Zeit lediglich Brandanschläge auf Autos und Gleisstrecken geltend gemacht werden konnten, tat der entschiedenen Apologie der eigenen Beteiligung an tödlicher Flüchtlingsabwehr und Kriegführung keinen Abbruch. Das Konstrukt einer "braunen RAF" [1] wurde nach dem nicht mehr zu vermeidenden Eingeständnis der Existenz eines genuinen Rechtsterrorismus dafür aufgeboten, den Blick auf die Irrelevanz der totalitarismustheoritischen Gleichsetzung faschistischer und kommunistischer Weltanschauung zu trüben.

In erster Linie jedoch soll die ideologische Nähe, in der die Meinungsführer des sozialrassistischen und islamfeindlichen Neokonservativismus zur blutigen Doktrin eines Breivik stehen, rundheraus geleugnet werden. Eine ernsthafte Untersuchung der von diesem aufgestellten Behauptungen und Theorien förderte bei aller immanenten Ungereimtheit sehr schnell zutage, daß der rechte Diskurs in Zeiten dramatisch anwachsender sozialer Konflikte von dem gleichen Herrenmenschentum imprägniert ist, das den angeblichen Einzeltäter Breivik als Märtyrer eines unabdinglichen und gerechten Kampfes adelt. Will man der rechtsradikalen Mordabsicht wirksam entgegentreten, dann läuft jeder Versuch, sie mit psychologistischen oder extremismustheoretischen Mitteln vom Hauptstrom rechten Gedankenguts zu isolieren, auf die Verharmlosung sozialrassistischer, xenophober und eugenischer Suprematie hinaus. Der mit der weithin unterlassenen Untersuchung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die zwischen den ideologischen Beweggründen Breiviks und der Zwickauer Zelle bestehen, erfolgte Bruch in der Positionierung gegen eine Gefahr, die alle Menschen bedroht, die vom solidarischen Widerstand gegen Ausbeutung und Unterdrückung nicht lassen wollen, kann bereits als Erfolg der neokonservativen Rechten gewertet werden.

Fußnote:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/prop1441.html

28. November 2011