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KULTUR/0916: Rassistische Schreihälse aufgepaßt - Verfassungsschutz nimmt Islamfeinde ins Visier (SB)



Dem Staat und seinen Organen Blindheit auf dem rechten Auge vorzuwerfen und bedenkenlos Sanktionen bis hin zur Strafverfolgung für rechtsgerichtete Kreise und Bestrebungen anzumahnen, hat sich noch immer als Eigentor der antifaschistischen Linken erwiesen. Grundsätzlich kann man die Haltung, die Staatsgewalt dort zu bejahen, wo sie dem eigenen Vorteil dienlich scheint und dem Konkurrenten schadet, als Inbegriff bürgerlicher Akzeptanz der herrschenden Verhältnisse ausweisen, deren Kritik an der Handhabung derselben sich darin erschöpft, um ein größeres Stück vom Kuchen zu streiten und dafür nach Herzenslust gegen den mutmaßlichen Freßfeind zu treten. Zudem wäre es fatal zu übersehen, daß gesetzgeberische, juristische, geheimdienstliche und polizeiliche Zwangsmaßnahmen gegen sogenannte extremistische Gesinnung des darüber in eins gesetzten linken und rechten Flügels des politischen Spektrums wahlweise, doch in der Konsequenz unterschiedslos gegen den einen oder andern in Stellung gebracht, darüber erprobt und nicht zuletzt kompatibel mit der öffentlichen Meinung gemacht werden. Wer daher die längst in der gesellschaftlichen Mitte um sich greifende Islamfeindlichkeit vom Grundsatz her kritisiert und ihrem Wesen nach analysiert, mag angesichts aktueller Meldungen, der Verfassungsschutz nehme Betreiber islamfeindlicher Internetseiten ins Visier, eine gewisse Genugtuung oder Erleichterung empfinden. Zu jubelfeierndem Schulterklopfen sollte indessen kein Anlaß bestehen.

Es gebe Anhaltspunkte dafür, daß die Betreiber antimuslimischer Websites "ein gestörtes Verhältnis zum demokratischen Rechtsstaat haben", signalisiert der Leiter des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz, Manfred Murck, Handlungsbedarf aus geheimdienstlicher Sicht. Auf solchen Seiten fänden sich häufig Angriffe auf die vom Grundgesetz geschützten Menschenrechte, tritt er gewissermaßen eine - zumindest aus leidvoller Alltagserfahrung vieler in Deutschland lebender Muslime - offene Tür ein. Medienberichten zufolge ermittelt die Staatsanwaltschaft München gegen einen Autor der Seite "Politically Incorrect" (PI), der die Abschaffung der Religionsfreiheit und die Abschiebung aller Muslime gefordert haben soll. Zudem soll auch die Internetseite "Nürnberg 2.0" ins Blickfeld der Ermittler geraten sein. Auf deren Homepage wird unter anderem Politikern, Wissenschaftlern und Kirchenvertretern wegen angeblicher Nähe zum Islam gedroht. Einige der dort Genannten hätten daraufhin Morddrohungen erhalten. [1]

Dafür sei der Verfassungsschutz "eindeutig zuständig", sagt der 62jährige Soziologe Manfred Murck, der seit Mai 2011 Hamburgs Landesamt für Verfassungsschutz leitet. Zusätzlich gebe es Anhaltspunkte für eine strafrechtliche Relevanz: "In Frage kämen Tatbestände wie Bedrohung oder öffentliche Aufforderung zu Straftaten." Wie die Staatsanwaltschaft München unterdessen bestätigt hat, werde gegen "Politically Incorrect" wegen des Verdachts der Volksverhetzung ermittelt. Das Verfahren laufe seit Ende 2011 gegen den früheren CSU-Sprecher von München, Michael Stürzenberger. Dieser sei einer der führenden PI-Autoren und einer der wenigen, der unter Klarnamen auftrete. [2]

Im Interview mit der Frankfurter Rundschau wollte Murck die Meldung nicht explizit bestätigen, daß seine Behörde den Internet-Pranger "Nürnberg 2.0" beobachten läßt. Es treffe aber zu, daß sich die Verfassungsschutzbehörden in den letzten Monaten verstärkt mit dem Thema Islam- und Muslimfeindlichkeit befaßt haben. Ob und welche Internetseiten bereits als extremistisch eingestuft werden, wolle er auch aus operativen Gründen nicht offenlegen. Bei "Nürnberg 2.0" sei neben möglichen Straftatbeständen jedoch noch etwas interessant: Allen Gegnern werde mit dem Tag X gedroht, an dem man die Macht übernehmen und ihnen den Prozeß machen wolle. Diese Konstruktion, mit einer Abrechnung für die Zeit nach der Machtergreifung zu drohen, kenne man auch aus dem klassisch rechtsextremen Milieu. [3]

Der Verfassungsschutz dürfe nur nachrichtendienstlich beobachten, so Murck, wenn es klare Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die demokratische Grundordnung gebe. Diese können von einer Gruppe oder Organisation ausgehen, aber auch von Publikationen, in diesem Fall Websites. Bei Angriffen auf die vom Grundgesetz geschützten Menschenrechte sei der Verfassungsschutz eindeutig zuständig. Wie die bisherigen Erkenntnisse zeigten, werde Muslimen häufig die Menschenwürde bestritten, man betrachte sie nicht als gleichwertige Rechtssubjekte. Angriffe auf die in Artikel 4 des Grundgesetzes geschützte Glaubensfreiheit stehen demnach im Zentrum dieser Bestrebungen.

Um eine Website insgesamt als Beobachtungsobjekt einstufen zu können, bedürfe es aber einer Verdichtung solcher Belege. Angriffe auf die Grundrechte seien für die Verfassungsschutzbehörde auch eindeutiger zu belegen als verklausulierte Angriffe auf den Rechtsstaat, wie die genannten Drohungen mit dem Tag X. Zumindest bigott seien seines Erachtens auch die verbreiteten Szenarien zu einem angeblich bevorstehenden Bürgerkrieg: Man gebe sich besorgt, daß dieser Krieg bevorstehe, fördere ihn aber faktisch. Berüchtigt sei etwa der Aufruf von Michael Mannheimer an die Deutschen: "Erhebt euch von euren Sofas! Geht auf die Straßen! Greift zu den Waffen, wenn es keine anderen Mittel gibt!" Auf die Frage, ob "Politically Incorrect" noch auf dem Boden der demokratischen Grundordnung stehe, da dieser Blog ebenfalls den Aufruf Mannheimers verbreitet habe, enthielt sich Murck wiederum einer Stellungnahme zu einzelnen "Beobachtungsobjekten". Man registriere "natürlich" die Zunahme islamfeindlicher Äußerungen und richte das Augenmerk zudem auf Gruppen wie die Pro-Bewegung. Es zeichne sich nämlich eine Art Netzwerk zwischen realen Gruppen und diversen Websites ab, wozu auch "Politically Incorrect" zähle. Erste Analysen habe man schon vor den Breivik-Attentaten angefertigt, danach seien die Anstrengungen intensiviert worden, gab Murck durchaus einen Hinweis, in welchen Kontext die nun publik gemachten Aktivitäten des Verfassungsschutzes zu stellen sind.

Ob sich die Behörden schwer mit der Szene täten, weil diese sich nicht antisemitisch gibt, sondern pro-israelisch, pro-amerikanisch und grundgesetztreu etikettiert? Darauf erwidert Murck, daß man derzeit diskutiere, ob Islamfeindlichkeit in direkter Analogie zum Antisemitismus gesehen werden kann. Man bearbeite aktuell die Frage, ob Islamfeindlichkeit eine eigenständige verfassungsfeindliche Bestrebung sei oder nur von anderen Ideologien vor allem aus dem rechtsextremistischen und rechtspopulistischen Milieu, mit dem die Weblogs personell und über Links verbunden seien, mittransportiert werde.

Was auf den ersten Blick überraschen mag, ist so erstaunlich nicht. Breivik, der seine geistigen Vorbilder dezidiert aufgelistet hat, beschleunigte den Prozeß, staatlicherseits den ins Kraut schießenden Rassismus zu zügeln und zu beschneiden. Nicht, daß man keiner Sozialrassisten vom Schlage Sarrazins bedürfte, um die Abgründe der Klassengesellschaft zu verschleiern und der Wut und Verzweiflung zahlloser ins Elend getriebener Menschen im nationalen wie weltweiten Hauen und Stechen um die rapide schwindenden Existenzmöglichkeiten Feindbilder zu geben. Wo aber im Namen eines Feldzugs gegen den Islam nicht nur im fernen Afghanistan, sondern in europäischen Städten Dutzende Menschen ermordet, Ausländer auf offener Straße totgeschlagen und rechtsradikale Zellen jahrelang ihr mörderischen Unwesen treiben können, droht ein Überschlag: Erkennt der zugerichtete, vereinsamte, verelendete Mensch erschüttert von solchen Grausamkeiten im Denken und Handeln plötzlich seinesgleichen in jenen, die zu verachten und zu bezichtigen man ihm so nachhaltig eingebleut hat, tun sich Risse in der Kerkerwand umfassender Beherrschbarkeit auf. Das ruft den Verfassungsschutz auf den Plan, der weit Wichtigeres zu verteidigen hat als die Großmannssucht geschwätziger Opportunisten, die sich ihres Einprügelns auf Schwächere lauthals rühmen.

Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/politik/deutschland/article13797587/Verfassungsschuetzer-nehmen-Islamfeinde-ins-Visier.html

[2] http://www.focus.de/politik/deutschland/menschenrechte-verfassungsschutz-beobachtet-islamfeindliche-szene_aid_699278.html

[3] http://www.fr-online.de/die-neue-rechte/muslimfeindliche-szene-gestoertes-verhaeltnis-zum-rechtsstaat,10834438,11385886.html

4. Januar 2012