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KULTUR/0957: Vernetzt und ausgeliefert - der informationstechnisch zugerichtete Mensch (SB)




Die von der britischen Tageszeitung The Guardian enthüllte Zusammenarbeit zwischen dem IT-Konzern Microsoft und US-amerikanischen Geheimdiensten komplettiert die Palette rundum fürsorglicher Überwachung mit dem zentralen Element des gegenseitigen Nutznießverhältnisses von Staat und Kapital. Dabei geht es bestenfalls im zweiten Rang um das Interesse der Anbieter informationstechnischer Dienstleistungen an staatlichen Aufträgen, wie etwa Bernd Schlömer von der Piratenpartei vermutet. Die führende Position von den USA aus agierender und mit den gesellschaftlichen und administrativen Funktionseliten des Landes eng verknüpfter IT-Konzerne im Bereich der Betriebssysteme und Serverarchitekturen, der Cloudangebote und Programmanwendungen, der sozialen Netzwerke und Unternehmensdienstleistungen ist vielleicht der größte Aktivposten zur Sicherung des globalen Führungsanspruches, den die USA gegen die Prognose des Verlustes dieser Machtstellung ins Feld zu führen hat.

Der darüber ermöglichte Einfluß auf die ökonomischen, kulturellen und sozialen Lebensverhältnisse anderer Gesellschaften beschränkt sich nicht auf die jetzt debattierten Oberservationspraktiken. Er durchdringt deren funktionelle und organisatorische Textur adäquat, um im Bilde zu bleiben, des pervasiven oder ubiquitären Computings, sprich der Allgegenwart informationstechnischer Systeme in Produktion und Reproduktion, in Zirkulation und Distribution, in Kommunikation und Unterhaltung. Der Begriff der Vernetzung gibt in seiner dystopischen Semantik unmißverständlich Auskunft über die komplexe Verstrickung und Verfügbarkeit des einzelnen durch die zunehmende Erfassung und Auswertung seiner Lebensbelange. Was individuell etwa bei der personalisierten Werbung im Internet als Präsenz ungreifbarer Instanzen erlebt werden kann, die mehr über die eigenen Vorlieben und Gewohnheiten zu wissen scheinen als man selbst, läuft gesamtgesellschaftlich auf die radikale Rationalisierung der Produktivität zugunsten der von der Krise der Überakkumulation in den Abgrund gezogenen Profitraten wie der Einschränkung ökonomisch unrentabler Sozialleistungen hinaus.

Dies ereignet sich am Arbeitsplatz in der Fabrik, wo die Automatisierung gutbezahlte Arbeit entbehrlich macht, im Büro, wo Workflowsysteme den Durchsatz bearbeiteter Dokumente und Verwaltungsvorgänge erhöhen und die Evaluation des individuellen Verhaltens am Rechner jede Ungewißheit über die eigene Arbeitsleistung beendet, auf dem Finanzmarkt, wo die elektronisch beschleunigte Kapitalverwertung Gewinnerwartungen erzeugt, denen keine materielle Arbeit standhalten kann. Dies findet im informellen Sektor sogenannter Free Agents statt, die an Jobbörsen im Internet zu Lasten ihrer Entlohnung mit tausenden Mitbewerbern konkurrieren, und bei der elektronischen Auftragsvergabe, durch die die Zahl in Frage kommender Auftragnehmer vervielfacht wurde. Dies setzt sich in der privatisierten Gesundheitswirtschaft durch, wo neuartige Abrechnungsmodelle monopolistische Strukturen begünstigen und der einzelne Patient unter das Diktat der Präventionsmedizin gerät. Dies geschieht bei der Überwachung des Einkommens und Konsums auf staatliche Leistungen angewiesener Versorgungsbedürftiger.

So lastet auf der informationstechnisch organisierten und strukturierten Gesellschaft ein Innovationsdruck, dessen Zweck mit den absehbaren Resultaten anwachsender Kosteneffizienz in der Produktion und der abnehmenden Alimentierung derjenigen reproduktiven Belange, die nicht nach marktwirtschaftlicher Logik über bezahlbare Nachfrage befriedigt werden, unzureichend erfaßt ist. Es geht um nichts geringeres als den Zugriff auf den Menschen selbst, auf die letzten noch nicht ausbeutbaren Potentiale autonomer Schaffenskraft und das Schleifen verbliebener Widerstände gegen seine umfassende Verfügbarkeit. Dieses Interesse treibt die informationstechnische Innovation in besonderer Weise voran, geht sie doch von einem sogenannten Wissenskapitalismus aus, in dem der immateriellen Ware der Information alle anderen Formen der Wertschöpfung nachgeordnet werden sollen. Die Zurichtung des Menschen auf eine betriebswirtschaftlicher Logik unterworfene Input-Output-Monade, die nach Maßgabe ihrer Verwertbarkeit honoriert und diszipliniert werden kann, um ihr noch bessere Ergebnisse der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft und des Verzichts auf unrentable Versorgungsansprüche abringen zu können, ist zumindest angelegt in den Praktiken und Präferenzen der sogenannten Informationsgesellschaft.

Die weltweit führenden IT-Konzerne haben daher allen Grund, mit dem Staat, der die Ordnung ihres Geschäftsmodells schützt, so eng zusammenzuarbeiten, wie dieser es mit ihnen tut, um in der globalen Standortkonkurrenz zu obsiegen. Kontrolle über die kulturelle Produktivität, über Sprache, Bildung und Unterhaltung zu erlangen, ist Bestandteil des Griffs nach dem Menschen in seiner historischen wie gegenwärtigen Gestalt. Man braucht nicht zu dem antiquiert wirkenden Begriff des Kulturimperialismus zu greifen, um zu wissen, daß die Formen und Inhalte der kognitiven Informations-, Wissens- und Animationsware großen Anteil an der Entscheidung haben, wer die Produktionsverhältnisse bestimmt und die Kommandohöhe gesellschaftlicher Macht besetzt. Es ist daher nur folgerichtig, das durchaus widersprüchliche Verhältnis von Staat und Kapital auf den gemeinsamen Nenner einer gegen alle anderen gerichteten Verfügungsgewalt zu bringen. Daß diese in ihrer nationalstaatlichen Konstitution blau-weiß-rot markiert ist, heißt allerdings nicht, daß der von ihr ausgehende Zugriff nicht transnational entufert. Die große Einmütigkeit, mit der EU und USA die transatlantischen Differenzen kleinreden, läßt ahnen, daß der einzelne Mensch sich noch konsequenter unterwirft, wenn er die derzeit offener als üblich zutage tretende Staatenkonkurrenz zum Anlaß nimmt, der eigenen Regierung mehr Souveränität abzuverlangen.


Siehe dazu auch:

REPRESSION/1495: Trennscharf entufert - die panoptische Klassengesellschaft (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1495.html

REPRESSION/1493: Die Geheimexekutive als institutionalisierter Ausnahmezustand (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1493.html

REPRESSION/1491: Informationelle Selbstbestimmung wird nicht mehr reichen ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1491.html

12. Juli 2013