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KULTUR/0982: Der Erde entrissen zum Sterben verdammt ... (SB)



Irgendwo in der Inneren Mongolei schiebt sich die Abraumhalde eines gigantischen Kohletagebaus über die grüne Graslandschaft, Grundlage des Lebens der dort seit Jahrtausenden die Steppen durchstreifenden Nomaden und ihrer Schafherden. Das saftige grüne Gras verschwindet unter den Geröllhalden, die durch Dutzende von LKWs permanent weiter in die Landschaft getrieben werden. Wenn der Schafhirte, der dort seine Herde weidet, nach oben schaut, öffnen die hochgekippten Ladeflächen am oberen Ende des Hanges ihr Maul, und es ergießt sich durch Kohlestaub schwarz eingefärbtes Gestein unter großen Staubschwaden auf die grüne Steppe. Nun kommen vermummte Gestalten auf kleinen Transportfahrzeugen heran, springen herunter und schaufeln in hohem Tempo den Abraum auf ihre Hänger. Die Gesichter tiefschwarz eingefärbt, die sehnigen Körper ganz auf die Arbeit an der Schaufel zugerichtet, fristen sie ihr Leben durch den Verkauf der Kohlereste, die sie dem Geröll entreißen.

Was wie ein Schreckensbild aus der apokalyptischen Zukunft des Fossilismus wirkt, ist die Realität des Kohleabbaus in einer der fünf autonomen Provinzen Chinas. "Behemoth - Der schwarze Drache" hat der Filmemacher Zhao Liang sein Werk über die Arbeits- und Lebensbedingungen inmitten der Orte überschrieben, an denen die Energierohstoffe im Tagebau und unter Tage gefördert werden, die die güterproduzierende Industrie des Landes und die Heizungen seiner Bevölkerung befeuern. Was sich vor dem Zuschauer als von Feuer und Rauch, Staub und Dreck, dröhnenden Fahrzeugen und rasselnden Baggern bestimmten Felslandschaft entfaltet, ist so lebensfeindlich, daß eine Topfpflanze, die durch sie getragen wird, ausreicht, um die zerstörerische Kraft des Extraktivismus vor Augen zu führen. Ist die Erde einmal aufgerissen, um das in ihr schlummernde Vermächtnis jahrmillionenalter Fossilien zur Einspeisung in die große Maschine aufzubereiten, werden Mensch und Natur zu Fremdkörpern in einer Welt, die ihr Leben eigentlich auf eine Weise ermöglichen soll, die nicht nur daraus besteht, als Faktor Arbeit im entfesselten Produktivismus zu vergehen.

Die große Errungenschaft dieses Filmes besteht darin, die Förderung fossiler Rohstoffe auf exemplarische Weise als Negation allen bioorganischen Lebens nicht nur anschaulich, sondern fast körperlich erlebbar zu machen. Daß es sich um einen spezifischen Ort in einem der Hotspots der energiepolitischen Infrastruktur Chinas handelt, nimmt dem gezeigten Verhältnis der Errungenschaften gütererzeugender Industrie und städtebaulicher Expansion, die von der zerstörerischen Wirkung ihrer Ressourcenproduktion eingeholt und überholt werden, nichts von ihrem allgemeingültigen Charakter. Ganz im Gegenteil, das namen- und ortlos auf den Kern seiner Destruktivität reduzierte Szenario findet in seiner globalen Entgrenzung den tieferen Sinn seiner immanenten Kritik an den herrschenden Produktionsverhältnissen. Signifikant für den Extraktivismus in aller Welt ist das Beispiel auch deshalb, weil es den Zusammenhang von kapitalistischer Globalisierung und lokaler Verelendung sinnfällig illustriert.

So ist die Erosion aller Lebensgrundlagen, die das nach wie vor hohe Wirtschaftswachstum Chinas ermöglichen, nicht zuletzt dem Warenkonsum in den postindustriellen Metropolengesellschaften Westeuropas und Nordamerikas geschuldet. Dort hat man sich vieler Stahlwerke und Kohleminen entledigt, deren Betrieb nun von chinesischen Wanderarbeiterinnen und -arbeitern mit Staublunge und anderen ihr Leben frühzeitig beendenden Krankheiten bezahlt wird. In der Fabrik der Welt, wie die Volksrepublik aufgrund ihrer spektakulären exportorientierten Produktivitätsentwicklung auch genannt wird, kulminiert der Widerspruch zwischen Naturverbrauch und gesellschaftlicher Reproduktion auf wortwörtlich atemberaubende Weise. Dies geschieht auch deshalb in einem Staat immer noch nachholender industrieller und sozialer Entwicklung, weil man sich hierzulande der sozialökologischen Kosten erreichter Produktivitätsfortschritte entledigen will.

Zhao Liang hat sich jedes die konkreten Umstände der von ihm gefilmten Arbeitsrealität erklärenden Kommentars enthalten, um statt dessen in kunstvoll montierten Sinnbildern und poetischen Versen dem Schrecken über das Erlebte Ausdruck zu verleihen. Ein in Fötalstellung zusammengekrümmt am Boden liegender menschlicher Körper kündet in den zerrissenen Landschaften mit der Nacktheit seines Lebens von dem unauflöslichen Dilemma der Ohnmacht, die der Mensch sich selber zufügt. Wie in einem visionären Schreckenstraum ist er einer Hölle ausgesetzt, die ihn nur deshalb verschont, weil ihm ohnehin nichts genommen werden kann außer dem Schmerz, inmitten widriger Bedingungen keinen Silberstreif am Horizont zu sehen. Dies gilt auch für die Arbeiterin und den Arbeiter, die mit von Anstrengung verzerrtem Gesicht beim Abschaufeln der Kohlereste zu sehen sind. Bei ihnen zu Hause kann der Zuschauer die mühselige Prozedur, die in die Haut regelrecht eingeätzte Kohleschicht wieder abzuwaschen, in ihrer Widrigkeit fast körperlich nachvollziehen. Der unzureichende Versuch einer bloß äußerlichen Reinigung schützt nicht davor, mit kohlestaubdurchtränkter Physis bei künstlicher Sauerstoffzufuhr in einem Krankenbett zu sterben.

Von der durch zahllose Transportfahrzeuge und Fördermaschinen durchpflügten Landschaft, die immer wieder von Sprengungen erschüttert wird, folgt Zhao Liang der Spur der in endlosen LKW-Kolonnen zum Stahlwerk transportierten Kohle, wo unter nicht minder gefährlichen Bedingungen Eisenerz in Werkstoffe für neue Städte verwandelt wird. Wenn die großen Rollen Armierungsdraht für den Betonbau auf einer modernen Autobahn in eine menschenleere Reißbretturbanität transportiert werden, wo ein einsamer Arbeiter verwehte Papierstücken aus verwaisten Straßen entfernt, geht die Utopie des schöner Wohnens in der Unwirtlichkeit einer industriellen Wachstumsdoktrin unter, die die Grundbedürfnisse vieler Menschen nur zum Preis anwachsenden Sterbens sichern kann.

"Behemoth - Der schwarze Drache" wurde am 18. November auf Arte ausgestrahlt und ist noch wenige Tage in der Mediathek des Senders zu sehen:

http://www.arte.tv/guide/de/048772-000/behemoth-der-schwarze-drache

21. November 2015


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