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KULTUR/0987: Gehört die AfD zu Deutschland? (SB)



Wer zu Deutschland gehört? Natürlich diejenigen, die zu wissen behaupten, wer es nicht tut. Gehört die AfD zu Deutschland? Schon die starke Resonanz, auf die die Partei mit der Aussage trifft, der Islam tue es nicht, stärkt ihren Anspruch auf Definitionsgewalt in der Sache. Anderen Menschen auf den Kopf zuzusagen, daß sie nicht dazugehören, entspringt der positiven Bestimmung eines Nationalkollektivs, das Interessen unterworfen ist, die mit den verfassungsrechtlich verbürgten Grund- und Menschenrechten eines demokratischen Gemeinwesens nichts am Hut haben. Die AfD greift nach kultureller Deutungshoheit, weil diese die Ein- und Ausschlußkritierien zur Formierung einer autoritären Staatlichkeit setzt, deren Souverän in klassisch Schmittscher Manier derjenige ist, der über den Ausnahmezustand befindet.

Wie beim Staatsnotstand, der sich bei der Einschränkung bürgerlicher Freiheiten auf die gleiche Verfassung beruft, die diese garantiert, nimmt die AfD demokratische Partizipation in Anspruch, um diese dadurch, daß sie gleicher als alle anderen zu sein behauptet, zu negieren. Ein wie auch immer hergeleitetes kulturelles Vermächtnis zu repräsentieren, setzt diejenigen, die ihm nicht entsprechen können oder wollen, ins Unrecht, was wiederum die Gewalt eigener Normsetzung legitimiert - im Endeffekt siegt, wer in dem darüber entfachten Krieg die größere Feuerkraft und intelligentere Strategie hat.

Was den Unionsparteien mit dem Versuch, der kapitalistischen Klassengesellschaft ein Wertekorsett namens "Leitkultur" überzuwerfen, das kein Oben und Unten, sondern nur drinnen und draußen kennt, nicht so recht gelungen ist, vollzieht die AfD mit der Chuzpe des Newcomers in der Gang, der seinen Willen, um jeden Preis dazuzugehören, mit aller Kraft unter Beweis stellt. Auf den Popanz einer vermeintlichen Hegemonie der 68iger einzuprügeln gehört ebenso zum Aufnahmeritual wie die Bereitschaft, auf der Bühne bella figura zu machen und sich staatstragend zu geben, während das ideologische Umfeld in den Schmuddelecken des Internets rassistisch ablästert und der deutschen Tugend des Aufknüpfens zu einer bislang noch verbalradikalen Renaissance verhilft.

Daß die neue Rechtspartei Fleisch vom Fleische bürgerlicher Altparteien ist, darüber erteilt nicht nur ihre geistige Verwandtschaft mit dem SPD-Politiker Thilo Sarrazin Auskunft. Ihre Aufgabe, diese von außen in konzeptionell längst vorgedachte Positionen zu manövrieren, wurde spätestens durch die Aufforderung der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel an die Adresse des Parteipräsidiums bestätigt, verstärkt auf konservative Wähler rechts von der Mitte zuzugehen. Dies tat sie nach dem AfD-Parteitag am letzten Wochenende in Stuttgart, der, von extensiver Berichterstattung des Staatsfunks und der Verlagskonzerne begleitet, 36 Jahre nach Helmut Kohls Ausrufung einer "geistig-moralischen Wende" das Finale neuer deutscher Herrlichkeit einläuten soll. Was einst dem auf dem langen Marsch in Amt und Würden steckengebliebenen Aufstand der 68er den restaurativen Rest geben sollte, wird nun auf die kulturalistische Spitze eines neuen imperialistischen Aufschwungs getrieben.

All dies ist im Sinne eines Hegemonialstrebens, dessen Fürsprecher sich Schritt für Schritt an die Front neuer Kriege nach außen wie innen heranarbeiten. Wer in Stuttgart gegen den Bundesparteitag der AfD demonstrierte, bekam schon einmal einen Vorgeschmack darauf, wie in einer Republik durchgegriffen werden wird, der etwa eine Koalition aus Unionsparteien und AfD vorsteht. 900 Festnahmen und mehrstündige Inhaftierung in einer eigens für Massenverhaftungen vorbereiteten Messehalle, Berichte über stundenlange Fesselungen, über schmerzhafte Mißhandlungen, willkürliche Schikanen und verbale Demütigungen [1] komplettieren das Bild von der bereitwilligen Aufnahme der AfD im Kreis sogenannter Volksparteien, durch die endlich möglich wird, was aus deren Parteiräson heraus zu bewirken zumindest längere Zeit in Anspruch nähme.

Wer zu Deutschland gehört? Die Frage zu stellen heißt, nach der Macht zu greifen, sie unumkehrbar beantworten zu können. Unumkehrbar, weil die damit angemaßte Souveränität politischer Entscheidungsgewalt die massive Unterdrückung des politischen Gegners voraussetzt. Den Islam oder irgendeine andere bislang legale Religion, Weltanschauung oder Ideologie auszugrenzen, ist keine Entscheidung, die am Katheder eines politikwissenschaftlichen Seminars getroffen wird. Sie überhaupt in Betracht zu ziehen, ist ohne den Willen zu ihrer exekutiven Durchsetzung unvorstellbar, und dazu bedarf es der Eroberung der Kommandohöhen in Staat und Gesellschaft. Der Kulturfeind, zu dem das andere, fremde Kollektiv erklärt wird, muß desto rücksichtsloser bekämpft werden, als die eigene Existenz national definiert und so als schicksalhafte Fügung dem eigenen Zugriff entzogen wird. Auch deshalb erfreut sich der Propagandist des Führerprinzips Carl Schmitt wenn es gilt, das Verhältnis zwischen Demokratie und Staatsräson zugunsten des letzteren zu klären, nach wie vor ungebrochener Beliebtheit.


Fußnoten:

[1] http://www.neues-deutschland.de/artikel/1010474.stunden-schikane.html

5. Mai 2016


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