Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


KULTUR/1023: Presseschleuder Facebook - am Fenster nichts Neues ... (SB)



Die britische Firma GSR hat Facebook erfolgreich als Steinbruch für Millionen von Persönlichkeitsprofilen genutzt und sie an das Unternehmen Cambridge Analytica verkauft, die sie für Wahlkampfzwecke nutzte. Strenggenommen nichts besonderes, da sich die Firma eine von dem sozialen Netzwerk angebotene Programmierschnittstelle zunutze gemacht hat, um die Datensätze auf allerdings nicht einvernehmliche Weise weiterzureichen. Zwar hat Facebook die Weitergabe an Dritte moniert, ist aber auch nicht entschieden dagegen vorgegangen, indem es etwa mit allen Mitteln versucht hätte, die weitere Verwendung der Daten zu unterbinden. In der Aufarbeitung der Affäre hat sich gezeigt, daß derartige Datentransfers gang und gäbe sind unter anderem deshalb, weil Facebook gut an Drittanbieter-Apps verdient [1].

Der umfassend diskutierte und dokumentierte Facebook-Skandal ist nur bedingt ein solcher, wurde die Aufmerksamkeit des Publikums doch auf eine alltägliche Praxis der Bewirtschaftung ihrer Daten gelenkt, die zu skandalisieren zuvor kaum Thema war. Der nun eingetretene Ansehensverlust wirft allerdings Fragen zum System der politischen Kommunikation mit Hilfe massenhaften und systematischen Messagings als auch des Einsatzes sogenannter Bots zur Verstärkung bestimmter Trends auf. Die psychografische Aufbereitung von Persönlichkeitsprofilen im Rahmen eines prädiktiven Persönlichkeitsmodells und deren Einsatz zur Verhaltensbeeinflussung mit Hilfe von Micro Targeting und anderen Methoden aggressiver Manipulation, wie bei Cambridge Analytica geschehen, lassen sich mit der immer noch verbreiteten Mutmaßung, soziale Netzwerke trügen zur demokratischen oder gar herrschaftsfreien Kommunikation bei, kaum verbinden.

An die Stelle egalitärer Verhandlungsprozesse, die den Menschen zumindest theoretisch die Möglichkeit zur Emanzipation lassen, tritt die quantitative Nutzung personengebundener Daten aller Art zur Aufherrschung von Zwecken, denen sich deren ProduzentInnen nur mit großem Aufwand widersetzen können. Auf diesem informationstechnisch bewirtschafteten Markt werden keine Motive und Interessen, die in der ganzen Vielfalt unterschiedlicher sozialer und gesellschaftlicher Kontexte eine lebendige Gesprächs- und Streitkultur hervorbringen, gefördert, sondern Verhaltensmodifikationen entwickelt und durchgesetzt, die in der Eindimensionalität des Marktparadigmas in Dollar und Euro kalkulierbare Resultate erzeugen. Um auf kürzestem Wege kommodifizierbar zu sein, gehen Daten unterschiedlichsten Gehalts analog zum abstrakten Tauschwertcharakter des Geldes in formaler Indifferenz auf. Der Signal- und Zeichencharakter dieses Rohstoffes hat von Zuschreibungen und Deutungen frei zu bleiben, um als Information möglichst profitabel eingesetzt zu werden.

Das Kalkül optimaler Verfügbarkeit und Skalierbarkeit liegt auch der propagierten Offenlegung individueller Datenproduktion zugrunde. Klarname, Telefonnummer, Foto, möglichst viele Angaben zur Personenidentifikation - das Facebookprofil soll einem offenen Buch gleichen, das Nutzer oder Nutzerin so unverwechselbar wie möglich macht. Derart objektiviert werden sie zu Subjekten einer Inwertsetzung, auf deren Praktiken und Kriterien sie so gut wie keinen Einfluß haben. Das alles wird initiiert von einer Kultur unternehmerischer Geheimniskrämerei, die unmißverständlich klarstellt, daß die vielgelobte Transparenz des Netzes einer Weide entspricht, auf der Schlachttiere grasen, die von den Absichten ihrer Metzger nichts ahnen.

All das ist so undemokratisch und geschichtsfern, daß die politischen und kulturellen Ausgangsbedingungen der Plattform kaum beliebiger sein könnten. Dennoch sind fast alle Verlagskonzerne mit ihren Zeitungs- und Zeitschriftentiteln auf Facebook vertreten. Gleiches gilt für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dessen Sender jeweils eigene FB-Seiten betreiben. Das ist schon deshalb erstaunlich, als ihnen dort jede Originalität entzogen wird, unterwerfen sie sich doch einer formalen und ästhetischen Austauschbarkeit, die den eigenen Anspruch auf originäre Gestaltung im Facebook-Universum untergehen läßt. Was dem sozialen Netzwerk zum Vorteil eigener Verbreitung gereicht, kann den Zeitungen und Zeitschriften langfristig nur schaden. Schon aus gesellschaftlichen Gründen weitreichend auf die Norm herrschaftsopportuner Berichterstattung geeicht, verlieren sie auch alle anderen Kriterien einer Unverwechselbarkeit, die das kulturelle Kapital publizistischer Angebote im Kern ausmacht.

Nähme man die professionellen journalistischen Akteure beim Wort ihrer erklärten Bindung an Objektivität und Unbestechlichkeit, dann wäre um so mehr zu fragen, warum nicht einmal der jüngste Skandal das Ende ihres Facebook-Auftrittes eingeleitet hat. Zumindest in den auf Facebook präsentierten Titeln bedarf die Antwort der Frage nicht. Die Verlage täten nichts lieber, als das werbefinanzierte Geschäftsmodell von Facebook in ein eigenes Erfolgsrezept zu verwandeln. In ihrer Abhängigkeit von Werbekunden können sie gar nicht anders, als im Zweifelsfall zu den gleichen manipulativen Methoden zu greifen, mit denen soziale Netzwerke ihr Geschäft machen. Nicht mehr mit der Herde zu laufen und auf eine reiche Ernte an Likes zu hoffen ist keine Option in einer Welt, in der journalistische Unabhängigkeit desto mehr zur inhaltsleeren Pose verkommt, als die Verwertungsbedingungen der Pressearbeit durch die Online-Publizistik immer genauer zu dokumentieren und evaluieren sind. Wo schon die strukturellen Gründe zur Angleichung an ein Zielgruppenprofil übermächtig sind, das der eigenen politischen und kulturellen Projektion entspringt, wird am Wirtschaftsstandort Deutschland niemand anecken, der noch von seinen Eroberungszügen und Unterwerfungsstrategien profitieren will.


Fußnote:

[1] https://netzpolitik.org/2018/cambridge-analytica-was-wir-ueber-das-groesste-datenleck-in-der-geschichte-von-facebook-wissen/

3. April 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang